Sommerfrucht Eines Tages sein; aber freundschaftliche ist die zögernde Wintersaat der Angewöhnung. Tausend Stunden müssen erst mit ihrem Wurzelnepheu zwei Herzen durchwachsen und sie so mit un- zähligen Fasern an einander ziehen. Freilich kont' ich in Einer Minute der Freund Herders sein; aber im Grunde war ichs doch erst durch5 viele Jahre d. h. Bücher von ihm geworden: seine Feder war der Ersaz der Angewöhnung und die Enthüllung des Autors vertrat die des Menschen.
Ich wohne jezt unter einer ganzen Orangerie von Liebe, und wünsche [270]nun nichts mehr in der (Höfer) Welt als -- Zeit. Ach jezt solten Sie10 unter uns sein in unserem Kongresse und Konvente der Freundschaft. Leben Sie wohl, mein Guter, mein Hochgeachteter, Unvergeslicher, so Weicher und so Starker! Gewähren Sie mir so viel Verzeihung als ich Ihnen Liebe!
Richter15
Meine wärmsten Grüsse an Ihre Lieblinge oder an meine!
(*)456. An Charlotte von Kalb in Weimar.
[Kopie, z. T. Konzept][Hof, 8. Nov. 1796]
[Da mich Ihre Gründe gegen die "Vernichtung" und "Monds- finsternis" nicht überzeugen, so würde ich durch die Befolgung Ihrer20 Bitte mich selbst verläugnen. Ich kan viel opfern, aber nicht meine Be- geisterung für die Unsterblichkeit und deren Hofnung. Kein Verhältnis darf auf das des Dichters einen Einflus gewinnen. Vortreflich gesunde Naturen wie Sie haben wohl ähnliche Meinungen über Verhältnisse, aber für Schwächlinge ist es Arsenik.25
Zehn Tage war ich in Bayreuth, an den zwei lezten sprach ich zu einem langen Abschiede die Fr. v. Krüdner, die nach Lausanne reiste,] um ihre schöne Seele an den Gletschern zu erwärmen. [Ihre grosse Aehnlichkeit und Unähnlichkeit brauchte eine mündliche Schilderung.
Durch die Krüdner sind mir die Etudes de la nature von St. Pierre30 bekant worden. Sie kennen sie wohl? Rousseau hat auf ihn gewirkt, aber nach ihm hat auch keiner weder schöner noch wahrer geschrieben.
In Ihrem Urtheil ist eignes Gefühl zuweilen vorlaut, daher gefält Ihnen Ihr Echo im Hesperus. -- In den Mumien und der Monds- finsternis misfält Ihnen zu sehr das mit Ihnen Dissonierende; aber ich35 verlange Ihr Urtheil über den dritten Theil des Hesperus. Sie sind eine
Sommerfrucht Eines Tages ſein; aber freundſchaftliche iſt die zögernde Winterſaat der Angewöhnung. Tauſend Stunden müſſen erſt mit ihrem Wurzelnepheu zwei Herzen durchwachſen und ſie ſo mit un- zähligen Faſern an einander ziehen. Freilich kont’ ich in Einer Minute der Freund Herders ſein; aber im Grunde war ichs doch erſt durch5 viele Jahre d. h. Bücher von ihm geworden: ſeine Feder war der Erſaz der Angewöhnung und die Enthüllung des Autors vertrat die des Menſchen.
Ich wohne jezt unter einer ganzen Orangerie von Liebe, und wünſche [270]nun nichts mehr in der (Höfer) Welt als — Zeit. Ach jezt ſolten Sie10 unter uns ſein in unſerem Kongreſſe und Konvente der Freundſchaft. Leben Sie wohl, mein Guter, mein Hochgeachteter, Unvergeslicher, ſo Weicher und ſo Starker! Gewähren Sie mir ſo viel Verzeihung als ich Ihnen Liebe!
Richter15
Meine wärmſten Grüſſe an Ihre Lieblinge oder an meine!
(*)456. An Charlotte von Kalb in Weimar.
[Kopie, z. T. Konzept][Hof, 8. Nov. 1796]
[Da mich Ihre Gründe gegen die „Vernichtung“ und „Monds- finſternis“ nicht überzeugen, ſo würde ich durch die Befolgung Ihrer20 Bitte mich ſelbſt verläugnen. Ich kan viel opfern, aber nicht meine Be- geiſterung für die Unſterblichkeit und deren Hofnung. Kein Verhältnis darf auf das des Dichters einen Einflus gewinnen. Vortreflich geſunde Naturen wie Sie haben wohl ähnliche Meinungen über Verhältniſſe, aber für Schwächlinge iſt es Arſenik.25
Zehn Tage war ich in Bayreuth, an den zwei lezten ſprach ich zu einem langen Abſchiede die Fr. v. Krüdner, die nach Lauſanne reiſte,] um ihre ſchöne Seele an den Gletſchern zu erwärmen. [Ihre groſſe Aehnlichkeit und Unähnlichkeit brauchte eine mündliche Schilderung.
Durch die Krüdner ſind mir die Etudes de la nature von St. Pierre30 bekant worden. Sie kennen ſie wohl? Rouſſeau hat auf ihn gewirkt, aber nach ihm hat auch keiner weder ſchöner noch wahrer geſchrieben.
In Ihrem Urtheil iſt eignes Gefühl zuweilen vorlaut, daher gefält Ihnen Ihr Echo im Heſperus. — In den Mumien und der Monds- finſternis misfält Ihnen zu ſehr das mit Ihnen Diſſonierende; aber ich35 verlange Ihr Urtheil über den dritten Theil des Heſperus. Sie ſind eine
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Sommerfrucht Eines Tages ſein; aber freundſchaftliche iſt die
zögernde Winterſaat der Angewöhnung. Tauſend Stunden müſſen erſt
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zähligen Faſern an einander ziehen. Freilich kont’ ich in Einer Minute
der Freund Herders ſein; aber im Grunde war ichs doch erſt durch 5
viele Jahre d. h. Bücher von ihm geworden: ſeine Feder war der Erſaz
der Angewöhnung und die Enthüllung des Autors vertrat die des
Menſchen.
Ich wohne jezt unter einer ganzen Orangerie von Liebe, und wünſche
nun nichts mehr in der (Höfer) Welt als — Zeit. Ach jezt ſolten Sie 10
unter uns ſein in unſerem Kongreſſe und Konvente der Freundſchaft.
Leben Sie wohl, mein Guter, mein Hochgeachteter, Unvergeslicher, ſo
Weicher und ſo Starker! Gewähren Sie mir ſo viel Verzeihung als
ich Ihnen Liebe!
[270]
Richter 15
Meine wärmſten Grüſſe an Ihre Lieblinge oder an meine!
(*)456. An Charlotte von Kalb in Weimar.
[Hof, 8. Nov. 1796]
[Da mich Ihre Gründe gegen die „Vernichtung“ und „Monds-
finſternis“ nicht überzeugen, ſo würde ich durch die Befolgung Ihrer 20
Bitte mich ſelbſt verläugnen. Ich kan viel opfern, aber nicht meine Be-
geiſterung für die Unſterblichkeit und deren Hofnung. Kein Verhältnis
darf auf das des Dichters einen Einflus gewinnen. Vortreflich geſunde
Naturen wie Sie haben wohl ähnliche Meinungen über Verhältniſſe,
aber für Schwächlinge iſt es Arſenik. 25
Zehn Tage war ich in Bayreuth, an den zwei lezten ſprach ich zu
einem langen Abſchiede die Fr. v. Krüdner, die nach Lauſanne reiſte,]
um ihre ſchöne Seele an den Gletſchern zu erwärmen. [Ihre groſſe
Aehnlichkeit und Unähnlichkeit brauchte eine mündliche Schilderung.
Durch die Krüdner ſind mir die Etudes de la nature von St. Pierre 30
bekant worden. Sie kennen ſie wohl? Rouſſeau hat auf ihn gewirkt,
aber nach ihm hat auch keiner weder ſchöner noch wahrer geſchrieben.
In Ihrem Urtheil iſt eignes Gefühl zuweilen vorlaut, daher gefält
Ihnen Ihr Echo im Heſperus. — In den Mumien und der Monds-
finſternis misfält Ihnen zu ſehr das mit Ihnen Diſſonierende; aber ich 35
verlange Ihr Urtheil über den dritten Theil des Heſperus. Sie ſind eine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/285>, abgerufen am 30.07.2024.
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