Jeden Tag wird für mein Auge der doppelte Gipfel des Helikons kahler und zu einem Kreidenberg.
454. An Christian Otto.5
[Hof, 8. Nov. 1796]
Bringe den Almanach bis morgen Mittags durch, weil ich ihn dan hinauslesen und mit der nächsten Post schicken wil. Wär' er nicht spas- haft, so würde mich das Doppelporto für das Poetische reuen. Das von[269] Oertel steht p. 94, er las mirs aus seiner Uebersezung vor: es ist öde10 und leer. Jezt kriegt man überal Gemälde, und keine Bilder.
*455. An Emanuel.
Hof d. 8 Nov. 1796.
Mein guter Emanuel!
Meine Hofnung, Ihnen die Blumenstücke und einen Brief zu15 schicken, lösete sich sehr spät in den Empfang der blossen Aushänge- bogen auf, aus denen erst in 3 Wochen der entpupte Sommervogel bricht. So lange kont' ich nun nicht schweigen. Aber was hab' ich zu reden? oder über was? Bei der Wahl zwischen Universum und Nichts, zwischen Abhandlungen und Einfällen -- denn das ist die meinige --20 kan ich sie auf nichts als auf das Schlimste richten. Ich beantworte jezt allen meinen Freunden kaum den dritten Brief. Ich habe so viel zu lesen, zu exzerpieren, zu visitieren, Papier und Feder zu schneiden, manchmal Athem zu holen, Gänge auf der Chaussee und auf dem Klavier und zuweilen wohl gar ein Buch zu machen, daß ich mir offen-25 bar nichts leichter machen kan als Feind-innen durch Schweigen: Feinde nicht, mein Emanuel ist ein Man und also -- ein vergebender Beichtvater.
Sagen Sie Elrodt auf seinen Brief, daß ich das Blätgen, das er fodert, machen wil.30
Ach mein Emanuel, ich denke immer an die lezte schöne zerrinnende Stunde bei Ihnen.
Ich habe Sie, was noch bei wenig Menschen möglich war, jedes Jahr stärker geliebt. Achtung und erotische Liebe kan die schnelle
453. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
[Kopie][Hof, 7. (?) Nov. 1796]
Jeden Tag wird für mein Auge der doppelte Gipfel des Helikons kahler und zu einem Kreidenberg.
454. An Chriſtian Otto.5
[Hof, 8. Nov. 1796]
Bringe den Almanach bis morgen Mittags durch, weil ich ihn dan hinausleſen und mit der nächſten Poſt ſchicken wil. Wär’ er nicht ſpas- haft, ſo würde mich das Doppelporto für das Poetiſche reuen. Das von[269] Oertel ſteht p. 94, er las mirs aus ſeiner Ueberſezung vor: es iſt öde10 und leer. Jezt kriegt man überal Gemälde, und keine Bilder.
*455. An Emanuel.
Hof d. 8 Nov. 1796.
Mein guter Emanuel!
Meine Hofnung, Ihnen die Blumenſtücke und einen Brief zu15 ſchicken, löſete ſich ſehr ſpät in den Empfang der bloſſen Aushänge- bogen auf, aus denen erſt in 3 Wochen der entpupte Sommervogel bricht. So lange kont’ ich nun nicht ſchweigen. Aber was hab’ ich zu reden? oder über was? Bei der Wahl zwiſchen Univerſum und Nichts, zwiſchen Abhandlungen und Einfällen — denn das iſt die meinige —20 kan ich ſie auf nichts als auf das Schlimſte richten. Ich beantworte jezt allen meinen Freunden kaum den dritten Brief. Ich habe ſo viel zu leſen, zu exzerpieren, zu viſitieren, Papier und Feder zu ſchneiden, manchmal Athem zu holen, Gänge auf der Chauſſée und auf dem Klavier und zuweilen wohl gar ein Buch zu machen, daß ich mir offen-25 bar nichts leichter machen kan als Feind-innen durch Schweigen: Feinde nicht, mein Emanuel iſt ein Man und alſo — ein vergebender Beichtvater.
Sagen Sie Elrodt auf ſeinen Brief, daß ich das Blätgen, das er fodert, machen wil.30
Ach mein Emanuel, ich denke immer an die lezte ſchöne zerrinnende Stunde bei Ihnen.
Ich habe Sie, was noch bei wenig Menſchen möglich war, jedes Jahr ſtärker geliebt. Achtung und erotiſche Liebe kan die ſchnelle
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453. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
[Hof, 7. (?) Nov. 1796]
Jeden Tag wird für mein Auge der doppelte Gipfel des Helikons
kahler und zu einem Kreidenberg.
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[Hof, 8. Nov. 1796]
Bringe den Almanach bis morgen Mittags durch, weil ich ihn dan
hinausleſen und mit der nächſten Poſt ſchicken wil. Wär’ er nicht ſpas-
haft, ſo würde mich das Doppelporto für das Poetiſche reuen. Das von
Oertel ſteht p. 94, er las mirs aus ſeiner Ueberſezung vor: es iſt öde 10
und leer. Jezt kriegt man überal Gemälde, und keine Bilder.
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*455. An Emanuel.
Hof d. 8 Nov. 1796.
Mein guter Emanuel!
Meine Hofnung, Ihnen die Blumenſtücke und einen Brief zu 15
ſchicken, löſete ſich ſehr ſpät in den Empfang der bloſſen Aushänge-
bogen auf, aus denen erſt in 3 Wochen der entpupte Sommervogel
bricht. So lange kont’ ich nun nicht ſchweigen. Aber was hab’ ich zu
reden? oder über was? Bei der Wahl zwiſchen Univerſum und Nichts,
zwiſchen Abhandlungen und Einfällen — denn das iſt die meinige — 20
kan ich ſie auf nichts als auf das Schlimſte richten. Ich beantworte
jezt allen meinen Freunden kaum den dritten Brief. Ich habe ſo viel zu
leſen, zu exzerpieren, zu viſitieren, Papier und Feder zu ſchneiden,
manchmal Athem zu holen, Gänge auf der Chauſſée und auf dem
Klavier und zuweilen wohl gar ein Buch zu machen, daß ich mir offen- 25
bar nichts leichter machen kan als Feind-innen durch Schweigen:
Feinde nicht, mein Emanuel iſt ein Man und alſo — ein vergebender
Beichtvater.
Sagen Sie Elrodt auf ſeinen Brief, daß ich das Blätgen, das er
fodert, machen wil. 30
Ach mein Emanuel, ich denke immer an die lezte ſchöne zerrinnende
Stunde bei Ihnen.
Ich habe Sie, was noch bei wenig Menſchen möglich war, jedes
Jahr ſtärker geliebt. Achtung und erotiſche Liebe kan die ſchnelle
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/284>, abgerufen am 07.07.2024.
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