Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.sichtigen. -- Und so leicht reissest du deine Seele aus den Armen zweier Ich und Otto sind kühler -- nämlich mit dem Kopfe -- wie du und Richter Du wirst noch einen Brief bekommen, lies dieses Blat zulezt. Nachschrift den 6 Nov. um 5 Uhr als ich deinen lezten Brief bekam. O du mein Geliebter, du demüthigst mein Herz. Edler war kein Brief Richter ſichtigen. — Und ſo leicht reiſſeſt du deine Seele aus den Armen zweier Ich und Otto ſind kühler — nämlich mit dem Kopfe — wie du und Richter Du wirſt noch einen Brief bekommen, lies dieſes Blat zulezt. Nachſchrift den 6 Nov. um 5 Uhr als ich deinen lezten Brief bekam. O du mein Geliebter, du demüthigſt mein Herz. Edler war kein Brief Richter <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0282" n="267"/> ſichtigen. — Und ſo leicht reiſſeſt du deine Seele aus den Armen zweier<lb/> Menſchen? Darf kein Freund dem andern vorwerfen, nicht einmal die<lb/><hi rendition="#g">unſchuldige und unwilkührliche</hi> Verwandlung der Freundſchaft<lb/> in Liebe? Und nicht einmal das hat einer von uns gethan, weil keiner<lb/> ſie glaubt; aber wenn nun? Wilſt du keine Meinung hören als deine? —<lb n="5"/> Deine harte Feſtigkeit und Ründung in dir ſelber ſtellet dich vor meinem<lb/> moraliſchen Ich hoch und ich liebe ſogar deine — Erbitterung; aber wie<lb/> hart wareſt du gegen uns beide! Ich ſchweige über mehrere Täu-<lb/> ſchungen, weil ich dir verſprochen habe, dir nicht meine Meinung zu<lb/> ſagen als wenn ſie deine iſt, welches ja nicht ſelten zutrift.<lb n="10"/> </p> <p>Ich und Otto ſind kühler — nämlich mit dem Kopfe — wie du und<lb/> wir beide hatten eine Freude über das <hi rendition="#g">moraliſche</hi> Aufbrauſen in<lb/> deinen Briefen; aber mich drükt die Reue, dir Schmerzen — und noch<lb/> dazu <hi rendition="#g">vergebliche</hi> — gemacht zu haben. Mit der <hi rendition="#aq">Scientia media</hi> hätt<note place="right"><ref target="1922_Bd2_267">[267]</ref></note><lb/> ich jenen Brief nicht geſchrieben. — — Alſo: ich ehre und liebe dein<lb n="15"/> Verhältnis zu A., das iſt wie meines — (aber nicht deine erotiſche<lb/> Hyperphyſik) — und daher entziehe unſerer dreifachen Freundin keine<lb/> Zeile! Das Schauen in die ofnen Paradieſesthore des Elyſiums deiner<lb/> Phantaſie ſchlieſſet ihr milde bunte Welten auf — brich deinen ſchönen<lb/> Frühling nicht ſo ſchnel mit Nordwinden ab! Alſo, lieber Oertel, ſchreib<lb n="20"/> ihr wie immer, durch Ottoiſche, Renat[ens] oder meine Adreſſe. Ach es<lb/> thut mir ſo wehe, dir mit einem unſchuldigen Widerſpruche eine ſo un-<lb/> nüze Wunde in dein mit frohem Blute gefültes Herz geriſſen zu haben.<lb/> Ach daß es ſich nicht in dieſer Minute ſchlieſſen kan, ſondern erſt nach 3<lb/> Tagen! — Schreibe ihr, Lieber! und vergieb mir, denn ich vergebe dir!<lb n="25"/> </p> <closer> <salute> <hi rendition="#right">Richter</hi> </salute> </closer><lb/> <postscript> <p>Du wirſt noch einen Brief bekommen, lies <hi rendition="#g">dieſes</hi> Blat <hi rendition="#b">zulezt.</hi></p><lb/> <p>Nachſchrift den 6 Nov. um 5 Uhr als ich deinen lezten Brief bekam.</p><lb/> <p>O du mein Geliebter, du demüthigſt mein Herz. Edler war kein Brief<lb/> geſchrieben als dein lezter; ſchönere und reuigere Thränen hab ich nie<lb n="30"/> vergoſſen. Nim wieder meine Seele an deine, nicht meine liebende —<lb/> denn die hatteſt du ſchon — ſondern meine ſanftere. Ach ich möchte dich<lb/> jezt umarmen. O du Theuerer, ich habe dich geliebt, ich liebe dich, ich<lb/> werde dich lieben — Und du, ſei gegen mich wie ich gegen dich! — Lebe<lb/> wohl, Tugendhafter, Geliebter und Liebender!<lb n="35"/> </p> <closer> <salute> <hi rendition="#right">Richter</hi> </salute> </closer> </postscript> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [267/0282]
ſichtigen. — Und ſo leicht reiſſeſt du deine Seele aus den Armen zweier
Menſchen? Darf kein Freund dem andern vorwerfen, nicht einmal die
unſchuldige und unwilkührliche Verwandlung der Freundſchaft
in Liebe? Und nicht einmal das hat einer von uns gethan, weil keiner
ſie glaubt; aber wenn nun? Wilſt du keine Meinung hören als deine? — 5
Deine harte Feſtigkeit und Ründung in dir ſelber ſtellet dich vor meinem
moraliſchen Ich hoch und ich liebe ſogar deine — Erbitterung; aber wie
hart wareſt du gegen uns beide! Ich ſchweige über mehrere Täu-
ſchungen, weil ich dir verſprochen habe, dir nicht meine Meinung zu
ſagen als wenn ſie deine iſt, welches ja nicht ſelten zutrift. 10
Ich und Otto ſind kühler — nämlich mit dem Kopfe — wie du und
wir beide hatten eine Freude über das moraliſche Aufbrauſen in
deinen Briefen; aber mich drükt die Reue, dir Schmerzen — und noch
dazu vergebliche — gemacht zu haben. Mit der Scientia media hätt
ich jenen Brief nicht geſchrieben. — — Alſo: ich ehre und liebe dein 15
Verhältnis zu A., das iſt wie meines — (aber nicht deine erotiſche
Hyperphyſik) — und daher entziehe unſerer dreifachen Freundin keine
Zeile! Das Schauen in die ofnen Paradieſesthore des Elyſiums deiner
Phantaſie ſchlieſſet ihr milde bunte Welten auf — brich deinen ſchönen
Frühling nicht ſo ſchnel mit Nordwinden ab! Alſo, lieber Oertel, ſchreib 20
ihr wie immer, durch Ottoiſche, Renat[ens] oder meine Adreſſe. Ach es
thut mir ſo wehe, dir mit einem unſchuldigen Widerſpruche eine ſo un-
nüze Wunde in dein mit frohem Blute gefültes Herz geriſſen zu haben.
Ach daß es ſich nicht in dieſer Minute ſchlieſſen kan, ſondern erſt nach 3
Tagen! — Schreibe ihr, Lieber! und vergieb mir, denn ich vergebe dir! 25
[267]Richter
Du wirſt noch einen Brief bekommen, lies dieſes Blat zulezt.
Nachſchrift den 6 Nov. um 5 Uhr als ich deinen lezten Brief bekam.
O du mein Geliebter, du demüthigſt mein Herz. Edler war kein Brief
geſchrieben als dein lezter; ſchönere und reuigere Thränen hab ich nie 30
vergoſſen. Nim wieder meine Seele an deine, nicht meine liebende —
denn die hatteſt du ſchon — ſondern meine ſanftere. Ach ich möchte dich
jezt umarmen. O du Theuerer, ich habe dich geliebt, ich liebe dich, ich
werde dich lieben — Und du, ſei gegen mich wie ich gegen dich! — Lebe
wohl, Tugendhafter, Geliebter und Liebender! 35
Richter
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(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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