Zartgefühl wird gegen diese Verspätung sprechen aber doch -- einige gefällige theilnehmende Zeilen für sie in irgend einen fremden Brief. Lebe wohl!
Dein Richter5
N. S. Wiederhole, bei jedem Zweifel, dein voriges isoliertes Neben- blat. -- Sanfte Grüsse von A. an dich! --
442. An Karoline (?) Herold.
[Kopie][Hof, 23. Okt. 1796]
Sanft vertausch' ich Sie mit Ihrem Bilde und dan noch eine Stunde10 dieses mit Ihnen. Ihr Brief zeigt mir Ihr Herz durch eine durch- sichtige Brust. Mein rohes Geschlecht hält oft den todten Schleier für das lebende Gesicht. Es giebt für mich keine Proben, nur Freuden -- o Sie müssen es sehr verwunden, eh' Sie es verlieren. Selber [?] in der Welt nach dem Tod [ist] die ideal[ische] nur [in] uns[erm] Geist und15 Gott selbst kan das Ideal nur in, aber nicht ausser sich schaffen. -- Der zu- rüktretende Strom euerer Liebe erstikte und zerrüttete euere Brust, wenn nicht der Unendliche diesen warmen Quellen mehr als ein Ufer gäbe.
*443. An Heinrich von Spangenberg in Gera.
[Hof, 24. Okt. 1796]20
... Ich werde nun auf meinem litterarischen Spiel- und Marktplaz keine Kinder weiter erziehen als meine eignen. Ich werde jezt nach der Manumission des Schiksals in meiner innern Reichsunmittelbarkeit leben und sterben. Aber auch ohne diese Rüksicht mus ich, wenn ich dieses reizende Scholarchat annähme, entweder die Musen oder die25 [264]Eleven versäumen: jedes von diesen begehrt eine ungetheilte Seele. Ich habe aber noch so viel zu schreiben, daß ich, wenn ich im achtzigsten Jahre vom Schreibtische aufstehe, oder vielmehr umfalle, mich ärgern werde, daß mir der Tod aus der Schreibstube des Lebens schon veniam exeundi giebt.30
*444. An Amöne Herold.
[Hof, 24. (?) Okt. 1796]
... Schicken Sie mir Oertels Briefgen an mich und Ihre von ihm so sehr gewünschte Antwort mit. Sie müssen meine Uneigennüzigkeit
Zartgefühl wird gegen dieſe Verſpätung ſprechen aber doch — einige gefällige theilnehmende Zeilen für ſie in irgend einen fremden Brief. Lebe wohl!
Dein Richter5
N. S. Wiederhole, bei jedem Zweifel, dein voriges iſoliertes Neben- blat. — Sanfte Grüſſe von A. an dich! —
442. An Karoline (?) Herold.
[Kopie][Hof, 23. Okt. 1796]
Sanft vertauſch’ ich Sie mit Ihrem Bilde und dan noch eine Stunde10 dieſes mit Ihnen. Ihr Brief zeigt mir Ihr Herz durch eine durch- ſichtige Bruſt. Mein rohes Geſchlecht hält oft den todten Schleier für das lebende Geſicht. Es giebt für mich keine Proben, nur Freuden — o Sie müſſen es ſehr verwunden, eh’ Sie es verlieren. Selber [?] in der Welt nach dem Tod [iſt] die ideal[iſche] nur [in] unſ[erm] Geiſt und15 Gott ſelbſt kan das Ideal nur in, aber nicht auſſer ſich ſchaffen. — Der zu- rüktretende Strom euerer Liebe erſtikte und zerrüttete euere Bruſt, wenn nicht der Unendliche dieſen warmen Quellen mehr als ein Ufer gäbe.
*443. An Heinrich von Spangenberg in Gera.
[Hof, 24. Okt. 1796]20
... Ich werde nun auf meinem litterariſchen Spiel- und Marktplaz keine Kinder weiter erziehen als meine eignen. Ich werde jezt nach der Manumiſſion des Schikſals in meiner innern Reichsunmittelbarkeit leben und ſterben. Aber auch ohne dieſe Rükſicht mus ich, wenn ich dieſes reizende Scholarchat annähme, entweder die Muſen oder die25 [264]Eleven verſäumen: jedes von dieſen begehrt eine ungetheilte Seele. Ich habe aber noch ſo viel zu ſchreiben, daß ich, wenn ich im achtzigſten Jahre vom Schreibtiſche aufſtehe, oder vielmehr umfalle, mich ärgern werde, daß mir der Tod aus der Schreibſtube des Lebens ſchon veniam exeundi giebt.30
*444. An Amöne Herold.
[Hof, 24. (?) Okt. 1796]
... Schicken Sie mir Oertels Briefgen an mich und Ihre von ihm ſo ſehr gewünſchte Antwort mit. Sie müſſen meine Uneigennüzigkeit
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Zartgefühl wird gegen dieſe Verſpätung ſprechen aber doch — einige
gefällige theilnehmende Zeilen für ſie in irgend einen fremden Brief.
Lebe wohl!
Dein
Richter 5
N. S. Wiederhole, bei jedem Zweifel, dein voriges iſoliertes Neben-
blat. — Sanfte Grüſſe von A. an dich! —
442. An Karoline (?) Herold.
[Hof, 23. Okt. 1796]
Sanft vertauſch’ ich Sie mit Ihrem Bilde und dan noch eine Stunde 10
dieſes mit Ihnen. Ihr Brief zeigt mir Ihr Herz durch eine durch-
ſichtige Bruſt. Mein rohes Geſchlecht hält oft den todten Schleier für
das lebende Geſicht. Es giebt für mich keine Proben, nur Freuden —
o Sie müſſen es ſehr verwunden, eh’ Sie es verlieren. Selber [?] in der
Welt nach dem Tod [iſt] die ideal[iſche] nur [in] unſ[erm] Geiſt und 15
Gott ſelbſt kan das Ideal nur in, aber nicht auſſer ſich ſchaffen. — Der zu-
rüktretende Strom euerer Liebe erſtikte und zerrüttete euere Bruſt, wenn
nicht der Unendliche dieſen warmen Quellen mehr als ein Ufer gäbe.
*443. An Heinrich von Spangenberg in Gera.
[Hof, 24. Okt. 1796] 20
... Ich werde nun auf meinem litterariſchen Spiel- und Marktplaz
keine Kinder weiter erziehen als meine eignen. Ich werde jezt nach der
Manumiſſion des Schikſals in meiner innern Reichsunmittelbarkeit
leben und ſterben. Aber auch ohne dieſe Rükſicht mus ich, wenn ich
dieſes reizende Scholarchat annähme, entweder die Muſen oder die 25
Eleven verſäumen: jedes von dieſen begehrt eine ungetheilte Seele. Ich
habe aber noch ſo viel zu ſchreiben, daß ich, wenn ich im achtzigſten
Jahre vom Schreibtiſche aufſtehe, oder vielmehr umfalle, mich ärgern
werde, daß mir der Tod aus der Schreibſtube des Lebens ſchon veniam
exeundi giebt. 30
[264]
*444. An Amöne Herold.
[Hof, 24. (?) Okt. 1796]
... Schicken Sie mir Oertels Briefgen an mich und Ihre von ihm
ſo ſehr gewünſchte Antwort mit. Sie müſſen meine Uneigennüzigkeit
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/279>, abgerufen am 30.07.2024.
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