über deine schmeichelnden Irthümer. Noch mehr irrest du dich über mich selber: alles was du sahest (nicht schlossest) hab' ich wirklich, aber du sahst nicht alles was ich habe, und darunter ist fast nichts als Schlimmes. Auch steht in deinen Augen ein Mädgen, deren Reize ein[248] leichtes Streiflicht zu Tugenden macht, auf einem viel zu hohen5 Postament, und eben so die Liebe zu ihnen. Ach leihe mir deine Ir- thümer! -- Ich zerreisse hier den ganzen Fehdebrief mit dir -- ich habe keinen Waffenplaz auf so engem Papier dazu -- behalte deine Meinung und lasse mir die obige schweigend.
Schreibe unserer Amöne (wie Otto'n) recht bald: dein gestriges10 Stilschweigen, so nothwendig es war, war ihr doch unerwartet. Gieb ihrem welkenden Sommer einen Nachsommer mit Blüten -- sez' ihr wieder neue Sprossen in ihre zersplitterte Himmelsleiter ein und gieb ihrem wunden Herzen einen frohern Pulsschlag, damit es sich täusche und verwundert ausrufe: ach ich bin ja wieder glüklich.15
Du wirsts werden, Gute: denn du stirbst bald!
Mässige aber dein edles Feuer gegen sie: du machst sie unzu- frieden -- nicht mit dir -- sondern mit der ganzen Welt. -- Nie ent- wische dir in deinen Briefen an mich die kleinste Anspielung auf A[mönens] oder Ren[atens] Geheimnisse. Wilst du dich entladen, so20 thu es auf einem beigelegten Nebenblätgen.
Deine Bücher wohnen nun in 4 Zimmern und liegen vielleicht in 14 Händen. Deine Rapsodien und dein Karl Flor sind (nach meinen flüchtigsten Blicken) deine besten Werke: blos aus deinen Arbeiten erklär' ich mir deine Vor und Überliebe für meine. Dein und mein25 Herz hat der grosse Genius in Einer Minute geründet und weich und warm gemacht. Deine Philosophie und dein Stil (aber dieser nicht in allen Büchern) gefallen mir sehr. Ich mus aber erst ver- nünftig lesen.
Schreib' an die Ostheim und mal' ihr deine hiesigen Tage, damit30 die Gute, die unter ihrer Vergangenheit erliegt, auch komme. --
Den Bogenüberschus wil ich dem lieben Beygang gern ver- gönnen; aber wenn ich ihm den "Jubelsenior" nicht gebe, bekömt er gar nichts, weil mir grössere Werke die Zeit zu kleinen nehmen. Ich werd' ihm den Senior in der Mitte des Winters schicken -- er mag35 mir dan 20 Ldor geben -- und die andern 20 erst im Frühling; -- und im Herbste es drucken.
über deine ſchmeichelnden Irthümer. Noch mehr irreſt du dich über mich ſelber: alles was du ſaheſt (nicht ſchloſſeſt) hab’ ich wirklich, aber du ſahſt nicht alles was ich habe, und darunter iſt faſt nichts als Schlimmes. Auch ſteht in deinen Augen ein Mädgen, deren Reize ein[248] leichtes Streiflicht zu Tugenden macht, auf einem viel zu hohen5 Poſtament, und eben ſo die Liebe zu ihnen. Ach leihe mir deine Ir- thümer! — Ich zerreiſſe hier den ganzen Fehdebrief mit dir — ich habe keinen Waffenplaz auf ſo engem Papier dazu — behalte deine Meinung und laſſe mir die obige ſchweigend.
Schreibe unſerer Amöne (wie Otto’n) recht bald: dein geſtriges10 Stilſchweigen, ſo nothwendig es war, war ihr doch unerwartet. Gieb ihrem welkenden Sommer einen Nachſommer mit Blüten — ſez’ ihr wieder neue Sproſſen in ihre zerſplitterte Himmelsleiter ein und gieb ihrem wunden Herzen einen frohern Pulsſchlag, damit es ſich täuſche und verwundert ausrufe: ach ich bin ja wieder glüklich.15
Du wirſts werden, Gute: denn du ſtirbſt bald!
Mäſſige aber dein edles Feuer gegen ſie: du machſt ſie unzu- frieden — nicht mit dir — ſondern mit der ganzen Welt. — Nie ent- wiſche dir in deinen Briefen an mich die kleinſte Anſpielung auf A[mönens] oder Ren[atens] Geheimniſſe. Wilſt du dich entladen, ſo20 thu es auf einem beigelegten Nebenblätgen.
Deine Bücher wohnen nun in 4 Zimmern und liegen vielleicht in 14 Händen. Deine Rapſodien und dein Karl Flor ſind (nach meinen flüchtigſten Blicken) deine beſten Werke: blos aus deinen Arbeiten erklär’ ich mir deine Vor und Überliebe für meine. Dein und mein25 Herz hat der groſſe Genius in Einer Minute geründet und weich und warm gemacht. Deine Philoſophie und dein Stil (aber dieſer nicht in allen Büchern) gefallen mir ſehr. Ich mus aber erſt ver- nünftig leſen.
Schreib’ an die Oſtheim und mal’ ihr deine hieſigen Tage, damit30 die Gute, die unter ihrer Vergangenheit erliegt, auch komme. —
Den Bogenüberſchus wil ich dem lieben Beygang gern ver- gönnen; aber wenn ich ihm den „Jubelſenior“ nicht gebe, bekömt er gar nichts, weil mir gröſſere Werke die Zeit zu kleinen nehmen. Ich werd’ ihm den Senior in der Mitte des Winters ſchicken — er mag35 mir dan 20 Ldor geben — und die andern 20 erſt im Frühling; — und im Herbſte es drucken.
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über deine ſchmeichelnden Irthümer. Noch mehr irreſt du dich über
mich ſelber: alles was du ſaheſt (nicht ſchloſſeſt) hab’ ich wirklich,
aber du ſahſt nicht alles was ich habe, und darunter iſt faſt nichts als
Schlimmes. Auch ſteht in deinen Augen ein Mädgen, deren Reize ein
leichtes Streiflicht zu Tugenden macht, auf einem viel zu hohen 5
Poſtament, und eben ſo die Liebe zu ihnen. Ach leihe mir deine Ir-
thümer! — Ich zerreiſſe hier den ganzen Fehdebrief mit dir — ich habe
keinen Waffenplaz auf ſo engem Papier dazu — behalte deine Meinung
und laſſe mir die obige ſchweigend.
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Schreibe unſerer Amöne (wie Otto’n) recht bald: dein geſtriges 10
Stilſchweigen, ſo nothwendig es war, war ihr doch unerwartet. Gieb
ihrem welkenden Sommer einen Nachſommer mit Blüten — ſez’ ihr
wieder neue Sproſſen in ihre zerſplitterte Himmelsleiter ein und gieb
ihrem wunden Herzen einen frohern Pulsſchlag, damit es ſich täuſche
und verwundert ausrufe: ach ich bin ja wieder glüklich. 15
Du wirſts werden, Gute: denn du ſtirbſt bald!
Mäſſige aber dein edles Feuer gegen ſie: du machſt ſie unzu-
frieden — nicht mit dir — ſondern mit der ganzen Welt. — Nie ent-
wiſche dir in deinen Briefen an mich die kleinſte Anſpielung auf
A[mönens] oder Ren[atens] Geheimniſſe. Wilſt du dich entladen, ſo 20
thu es auf einem beigelegten Nebenblätgen.
Deine Bücher wohnen nun in 4 Zimmern und liegen vielleicht in
14 Händen. Deine Rapſodien und dein Karl Flor ſind (nach meinen
flüchtigſten Blicken) deine beſten Werke: blos aus deinen Arbeiten
erklär’ ich mir deine Vor und Überliebe für meine. Dein und mein 25
Herz hat der groſſe Genius in Einer Minute geründet und weich
und warm gemacht. Deine Philoſophie und dein Stil (aber dieſer
nicht in allen Büchern) gefallen mir ſehr. Ich mus aber erſt ver-
nünftig leſen.
Schreib’ an die Oſtheim und mal’ ihr deine hieſigen Tage, damit 30
die Gute, die unter ihrer Vergangenheit erliegt, auch komme. —
Den Bogenüberſchus wil ich dem lieben Beygang gern ver-
gönnen; aber wenn ich ihm den „Jubelſenior“ nicht gebe, bekömt er
gar nichts, weil mir gröſſere Werke die Zeit zu kleinen nehmen. Ich
werd’ ihm den Senior in der Mitte des Winters ſchicken — er mag 35
mir dan 20 Ldor geben — und die andern 20 erſt im Frühling; — und
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/264>, abgerufen am 30.07.2024.
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