nur den Geist auskernt. -- Wo flattern die 3 melodischen Grazien, die 3 Noten von Rousseau? -- Es wird Ihr Herz wie ein h. Geist überschatten, wenn Sie diese Bücher lesen. -- Handeln Sie, dan befriedigt sich Ihre übervolle Seele: die That ist die Zunge des Herzens.5
357. An Karoline Herder in Weimar.
Hof im Voigtl. d. 12 Jul. 1796.
Wenn man aus Ihrer poetischen Welt wieder in die Höfer pro- saische zurükgefallen ist: so wundert man sich, daß man ein Insas zweier so unähnlicher Welten sein können und daß man neben Ihnen,10 Verehrungswürdigste, gesessen und geplaudert hat. Ihre Abende kolorieren meine Träume und entfärben meine Tage. Warlich, mein Kopfkissen ist für mich der Präsentierteller von Weimar: ich wünsche Ihrer Wirklichkeit alle Stickerei und Dekorazion meiner Träume.
Ich hoffe, bis dieses Blat nach Weimar auf trägen Pferden kömt,15 hab' ich mich in Ihren Augen aus einem Lügenpropheten in einen Wetterpropheten umgesezt: denn heute wirft der Himmel seine schmuzi-[222] gen Wolken unter den Horizont und ruht in den nächsten Wochen mit unermeslichen himmelblauen Schmetterlingsflügeln über Ihnen beiden, wenn Sie nach Halberstadt wie ein Tempe-Flus durch lauter20 hereingebükte Blumen ziehen. Nehmen Sie in Halberstadt Ihr Auge vol Liebe und sehen Sie den guten edlen Gleim lange an und sagen: "So möchte Sie, wenn er näher wäre, Jean Paul auch an- sehen!" --
Wär' ich das Verhängnis, so macht' ich eines Ihrer geliebten25 Kinder so seelig als es zwischen den Wogen der schwankenden Sünd- fluth unserer Zeit sein kan, und führt' es vor Ihr Herz und sagte: "Das sei dein Lohn für die Abende und Worte, die du wie Frucht- "guirlanden um die Tage des glüklichen Jean Paul geschlungen hast!" Wenn einmal der Hesperus in Ihre Fenster glänzt: so nehmen Sie30 die Hand Ihres grossen Geliebten und sagen: "schau den andern erdigtern Hesperus auch an und schreibe fünf Zeilen darüber nach Hof!" -- Alle guten Genien mögen Sie heben, tragen, kühlen und begleiten! --
Ihr35 Jean Paul Fr. Richter
nur den Geiſt auskernt. — Wo flattern die 3 melodiſchen Grazien, die 3 Noten von Rousseau? — Es wird Ihr Herz wie ein h. Geiſt überſchatten, wenn Sie dieſe Bücher leſen. — Handeln Sie, dan befriedigt ſich Ihre übervolle Seele: die That iſt die Zunge des Herzens.5
357. An Karoline Herder in Weimar.
Hof im Voigtl. d. 12 Jul. 1796.
Wenn man aus Ihrer poetiſchen Welt wieder in die Höfer pro- ſaiſche zurükgefallen iſt: ſo wundert man ſich, daß man ein Inſas zweier ſo unähnlicher Welten ſein können und daß man neben Ihnen,10 Verehrungswürdigſte, geſeſſen und geplaudert hat. Ihre Abende kolorieren meine Träume und entfärben meine Tage. Warlich, mein Kopfkiſſen iſt für mich der Präſentierteller von Weimar: ich wünſche Ihrer Wirklichkeit alle Stickerei und Dekorazion meiner Träume.
Ich hoffe, bis dieſes Blat nach Weimar auf trägen Pferden kömt,15 hab’ ich mich in Ihren Augen aus einem Lügenpropheten in einen Wetterpropheten umgeſezt: denn heute wirft der Himmel ſeine ſchmuzi-[222] gen Wolken unter den Horizont und ruht in den nächſten Wochen mit unermeslichen himmelblauen Schmetterlingsflügeln über Ihnen beiden, wenn Sie nach Halberſtadt wie ein Tempe-Flus durch lauter20 hereingebükte Blumen ziehen. Nehmen Sie in Halberſtadt Ihr Auge vol Liebe und ſehen Sie den guten edlen Gleim lange an und ſagen: „So möchte Sie, wenn er näher wäre, Jean Paul auch an- ſehen!“ —
Wär’ ich das Verhängnis, ſo macht’ ich eines Ihrer geliebten25 Kinder ſo ſeelig als es zwiſchen den Wogen der ſchwankenden Sünd- fluth unſerer Zeit ſein kan, und führt’ es vor Ihr Herz und ſagte: „Das ſei dein Lohn für die Abende und Worte, die du wie Frucht- „guirlanden um die Tage des glüklichen Jean Paul geſchlungen haſt!“ Wenn einmal der Heſperus in Ihre Fenſter glänzt: ſo nehmen Sie30 die Hand Ihres groſſen Geliebten und ſagen: „ſchau den andern erdigtern Heſperus auch an und ſchreibe fünf Zeilen darüber nach Hof!“ — Alle guten Genien mögen Sie heben, tragen, kühlen und begleiten! —
Ihr35 Jean Paul Fr. Richter
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nur den Geiſt auskernt. — Wo flattern die 3 melodiſchen Grazien,
die 3 Noten von Rousseau? — Es wird Ihr Herz wie ein h. Geiſt
überſchatten, wenn Sie dieſe Bücher leſen. — Handeln Sie, dan
befriedigt ſich Ihre übervolle Seele: die That iſt die Zunge des
Herzens. 5
357. An Karoline Herder in Weimar.
Hof im Voigtl. d. 12 Jul. 1796.
Wenn man aus Ihrer poetiſchen Welt wieder in die Höfer pro-
ſaiſche zurükgefallen iſt: ſo wundert man ſich, daß man ein Inſas
zweier ſo unähnlicher Welten ſein können und daß man neben Ihnen, 10
Verehrungswürdigſte, geſeſſen und geplaudert hat. Ihre Abende
kolorieren meine Träume und entfärben meine Tage. Warlich, mein
Kopfkiſſen iſt für mich der Präſentierteller von Weimar: ich wünſche
Ihrer Wirklichkeit alle Stickerei und Dekorazion meiner Träume.
Ich hoffe, bis dieſes Blat nach Weimar auf trägen Pferden kömt, 15
hab’ ich mich in Ihren Augen aus einem Lügenpropheten in einen
Wetterpropheten umgeſezt: denn heute wirft der Himmel ſeine ſchmuzi-
gen Wolken unter den Horizont und ruht in den nächſten Wochen
mit unermeslichen himmelblauen Schmetterlingsflügeln über Ihnen
beiden, wenn Sie nach Halberſtadt wie ein Tempe-Flus durch lauter 20
hereingebükte Blumen ziehen. Nehmen Sie in Halberſtadt Ihr Auge
vol Liebe und ſehen Sie den guten edlen Gleim lange an und
ſagen: „So möchte Sie, wenn er näher wäre, Jean Paul auch an-
ſehen!“ —
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Wär’ ich das Verhängnis, ſo macht’ ich eines Ihrer geliebten 25
Kinder ſo ſeelig als es zwiſchen den Wogen der ſchwankenden Sünd-
fluth unſerer Zeit ſein kan, und führt’ es vor Ihr Herz und ſagte:
„Das ſei dein Lohn für die Abende und Worte, die du wie Frucht-
„guirlanden um die Tage des glüklichen Jean Paul geſchlungen haſt!“
Wenn einmal der Heſperus in Ihre Fenſter glänzt: ſo nehmen Sie 30
die Hand Ihres groſſen Geliebten und ſagen: „ſchau den andern
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Ihr 35
Jean Paul Fr. Richter
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/237>, abgerufen am 16.02.2025.
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