Wäre mein Brief auch elender als das jezige Wetter: so würd' er doch keine einzige Wolke mehr in Wielands Himmel ziehen, da ich es mit Wieland wie mit einem Fürsten mache, dem man unangenehme5 Depeschen gern durch seinen Günstling übergeben lässet. -- Sie sind, bester Freund, blos ein aktiver für mich und ich nur ein passiver für Sie -- Sie interessieren sich für mich in einem Grade, der mehr Ihrer Menschenliebe als meinen Verdiensten um Sie angemessen ist, die wirklich darauf hinauslaufen, daß ich Ihnen recht viele -- Dank-10 adressen übergebe. Ich wünsche mir eine Gelegenheit, Sie nach- zuahmen und Sie durch eine Menge von Gefälligkeiten zu nöthigen, daß Sie mir einen Brief vol Dank zufertigen müsten wie ich da thue. Leben Sie wol. Ich sehe Sie bald wieder.
Ihr15 Jean Paul Fr. Richter
[Adr.] An H. Oberkonsistorial Rath Böttiger.
347. Ins Stammbuch von August Duvau.[218]
Das Schiksal drükt den Menschen auf die Erde nieder, damit er wie20 der Riese Antäus in der Tiefe Kräfte hole und sich mit neuem Wuchse erhebe wie in Indien gewisse Bäume den Gipfel auf die Wurzel niederbeugen und in die Erde senken und dan als neue Bäume auf- erstehen. -- Nichts ist beständig, darum, lieber du Vau, ist der Schmerz der halbe Anfang der Freude. -- Wenn man sich denkt, man25 habe seine Rolle für den Abend dieses von 5 bis 8 Uhr dauernden Lebens selbst gewählt wie andere Akteurs: so spielet man wie diese die weinenden gern -- dan hält man das Gefängnis für ein Zuhause- bleiben -- den Mangel für eine medizinische Enthaltung -- das Exilium für eine Reise -- die Schlacht für einen Aderlastag -- und das30 Schiksal für einen Entschlus... Wenn aber das Schauspiel mit dem Vorhang des Leichentuchs bedecket und beschlossen ist: so dauern doch die Schauspieler fort. -- Diese Trostgründe, und noch schönere, geliebter du Vau, müssen ewig in Ihrem Herzen neben seinen Wunden bleiben.
[Spaltenumbruch]Ihr Freund35 Jean Paul Fr. Richter[Spaltenumbruch]Weimar d. 29. Jun. 1796.
346. An Karl Auguſt Böttiger in Weimar.
Weimar d. 29 Jun. 96.
Wäre mein Brief auch elender als das jezige Wetter: ſo würd’ er doch keine einzige Wolke mehr in Wielands Himmel ziehen, da ich es mit Wieland wie mit einem Fürſten mache, dem man unangenehme5 Depeſchen gern durch ſeinen Günſtling übergeben läſſet. — Sie ſind, beſter Freund, blos ein aktiver für mich und ich nur ein paſſiver für Sie — Sie intereſſieren ſich für mich in einem Grade, der mehr Ihrer Menſchenliebe als meinen Verdienſten um Sie angemeſſen iſt, die wirklich darauf hinauslaufen, daß ich Ihnen recht viele — Dank-10 adreſſen übergebe. Ich wünſche mir eine Gelegenheit, Sie nach- zuahmen und Sie durch eine Menge von Gefälligkeiten zu nöthigen, daß Sie mir einen Brief vol Dank zufertigen müſten wie ich da thue. Leben Sie wol. Ich ſehe Sie bald wieder.
Ihr15 Jean Paul Fr. Richter
[Adr.] An H. Oberkonſiſtorial Rath Böttiger.
347. Ins Stammbuch von Auguſt Duvau.[218]
Das Schikſal drükt den Menſchen auf die Erde nieder, damit er wie20 der Rieſe Antäus in der Tiefe Kräfte hole und ſich mit neuem Wuchſe erhebe wie in Indien gewiſſe Bäume den Gipfel auf die Wurzel niederbeugen und in die Erde ſenken und dan als neue Bäume auf- erſtehen. — Nichts iſt beſtändig, darum, lieber du Vau, iſt der Schmerz der halbe Anfang der Freude. — Wenn man ſich denkt, man25 habe ſeine Rolle für den Abend dieſes von 5 bis 8 Uhr dauernden Lebens ſelbſt gewählt wie andere Akteurs: ſo ſpielet man wie dieſe die weinenden gern — dan hält man das Gefängnis für ein Zuhauſe- bleiben — den Mangel für eine mediziniſche Enthaltung — das Exilium für eine Reiſe — die Schlacht für einen Aderlastag — und das30 Schikſal für einen Entſchlus... Wenn aber das Schauſpiel mit dem Vorhang des Leichentuchs bedecket und beſchloſſen iſt: ſo dauern doch die Schauſpieler fort. — Dieſe Troſtgründe, und noch ſchönere, geliebter du Vau, müſſen ewig in Ihrem Herzen neben ſeinen Wunden bleiben.
[Spaltenumbruch]Ihr Freund35 Jean Paul Fr. Richter[Spaltenumbruch]Weimar d. 29. Jun. 1796.
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346. An Karl Auguſt Böttiger in Weimar.
Weimar d. 29 Jun. 96.
Wäre mein Brief auch elender als das jezige Wetter: ſo würd’ er
doch keine einzige Wolke mehr in Wielands Himmel ziehen, da ich es
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Depeſchen gern durch ſeinen Günſtling übergeben läſſet. — Sie ſind,
beſter Freund, blos ein aktiver für mich und ich nur ein paſſiver für
Sie — Sie intereſſieren ſich für mich in einem Grade, der mehr Ihrer
Menſchenliebe als meinen Verdienſten um Sie angemeſſen iſt, die
wirklich darauf hinauslaufen, daß ich Ihnen recht viele — Dank- 10
adreſſen übergebe. Ich wünſche mir eine Gelegenheit, Sie nach-
zuahmen und Sie durch eine Menge von Gefälligkeiten zu nöthigen,
daß Sie mir einen Brief vol Dank zufertigen müſten wie ich da thue.
Leben Sie wol. Ich ſehe Sie bald wieder.
Ihr 15
Jean Paul
Fr. Richter
[Adr.] An H. Oberkonſiſtorial Rath Böttiger.
347. Ins Stammbuch von Auguſt Duvau.
Das Schikſal drükt den Menſchen auf die Erde nieder, damit er wie 20
der Rieſe Antäus in der Tiefe Kräfte hole und ſich mit neuem Wuchſe
erhebe wie in Indien gewiſſe Bäume den Gipfel auf die Wurzel
niederbeugen und in die Erde ſenken und dan als neue Bäume auf-
erſtehen. — Nichts iſt beſtändig, darum, lieber du Vau, iſt der
Schmerz der halbe Anfang der Freude. — Wenn man ſich denkt, man 25
habe ſeine Rolle für den Abend dieſes von 5 bis 8 Uhr dauernden
Lebens ſelbſt gewählt wie andere Akteurs: ſo ſpielet man wie dieſe die
weinenden gern — dan hält man das Gefängnis für ein Zuhauſe-
bleiben — den Mangel für eine mediziniſche Enthaltung — das
Exilium für eine Reiſe — die Schlacht für einen Aderlastag — und das 30
Schikſal für einen Entſchlus... Wenn aber das Schauſpiel mit dem
Vorhang des Leichentuchs bedecket und beſchloſſen iſt: ſo dauern doch
die Schauſpieler fort. — Dieſe Troſtgründe, und noch ſchönere, geliebter
du Vau, müſſen ewig in Ihrem Herzen neben ſeinen Wunden bleiben.
Ihr Freund 35
Jean Paul Fr. Richter
Weimar d. 29. Jun. 1796.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/233>, abgerufen am 16.02.2025.
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