gros bis zum Schmerz, wenn man vom Gegenstand wie von der Freiheit überal sprechen höret, indes beide wie die Krystalle so hoch und so ferne, bei den Gletschern sind. -- --
Die Träume meiner Phantasie flogen Ihnen oft auf Ihrem Rükzuge ins gelobte Land der Jugend nach; und wenn sie dan nichts5 sahen als den beglükten Dichter und den Solon der Zeit, vor dem im Herbste seines Lebens alle Bäume und Haine des Jugend-Arkadiens wieder in die Blüte traten: so sagt' ich: "o, es sei dir unendlich wol, "von uns allen Geliebter! -- Auf die Natur um dich falle der doppelte "Wiederschein der Dichtkunst und der Vergangenheit! Apollo, der dir10 "alles gegeben, schenke dir auch seine ewige Jugend! -- Und dan "wenn die Natur in ihrer grossen Gestalt dich erhoben hat, so "erscheine sie dir, ohne ihre Alpen und Seen, in der sanftern und "falle in der Gestalt deiner Tochter an dein Herz -- dan ist dein volles "Leben belohnt!" --15
Jean Paul Friedr. Richter
340. An Christian Otto.
Weimar d. 17 Jun. 1796 [Freitag].
Lieber Bruder,
Du hast hoffentlich einen Brief aus Jena, und einen aus Weimar20 vom Sonabend. Das späte Datum des dritten sage dir mein freude- trunknes Leben an; mich schnellet gleichsam ein Blütengipfel in den andern hinein. Ich habe in Weimar zwanzig Jahre in wenigen Tagen verlebt -- meine Menschenkentnis ist wie ein Pilz Manshoch in die Höhe geschossen. Ich werde dir von Meerwundern, von ganz25 unbegreiflichen, unerhörten Dingen (keinen unangenehmen) zu erzählen haben, aber nur dir allein. Ich sehe keine Möglichkeit, dir [209]nur eine Duodezerzählung von meiner Universalhistorie zu schenken. Ich brauche fast so viele Tage als sonst Seiten, um dir nicht diesen Weg, sondern diese Flur meines Lebens zu malen. Ich bin ganz30 glüklich, Otto, ganz, nicht blos über alle Erwartung, auch über alle Beschreibung und nichts fehlet mir mehr in der weiten Welt als Du, aber auch nur du. -- Heute ess' ich bei Göthe -- Gestern früh war ich mit der Ostheim zur Herzogin-Mutter nach Tiefurth geladen, und ich werde nächstens bei ihr essen. Die Herzogin ist Wielands, und ihr35 sanftes Tiefurth -- ein Lautenzug unter den sonst schreienden eng-
gros bis zum Schmerz, wenn man vom Gegenſtand wie von der Freiheit überal ſprechen höret, indes beide wie die Kryſtalle ſo hoch und ſo ferne, bei den Gletſchern ſind. — —
Die Träume meiner Phantaſie flogen Ihnen oft auf Ihrem Rükzuge ins gelobte Land der Jugend nach; und wenn ſie dan nichts5 ſahen als den beglükten Dichter und den Solon der Zeit, vor dem im Herbſte ſeines Lebens alle Bäume und Haine des Jugend-Arkadiens wieder in die Blüte traten: ſo ſagt’ ich: „o, es ſei dir unendlich wol, „von uns allen Geliebter! — Auf die Natur um dich falle der doppelte „Wiederſchein der Dichtkunſt und der Vergangenheit! Apollo, der dir10 „alles gegeben, ſchenke dir auch ſeine ewige Jugend! — Und dan „wenn die Natur in ihrer groſſen Geſtalt dich erhoben hat, ſo „erſcheine ſie dir, ohne ihre Alpen und Seen, in der ſanftern und „falle in der Geſtalt deiner Tochter an dein Herz — dan iſt dein volles „Leben belohnt!“ —15
Jean Paul Friedr. Richter
340. An Chriſtian Otto.
Weimar d. 17 Jun. 1796 [Freitag].
Lieber Bruder,
Du haſt hoffentlich einen Brief aus Jena, und einen aus Weimar20 vom Sonabend. Das ſpäte Datum des dritten ſage dir mein freude- trunknes Leben an; mich ſchnellet gleichſam ein Blütengipfel in den andern hinein. Ich habe in Weimar zwanzig Jahre in wenigen Tagen verlebt — meine Menſchenkentnis iſt wie ein Pilz Manshoch in die Höhe geſchoſſen. Ich werde dir von Meerwundern, von ganz25 unbegreiflichen, unerhörten Dingen (keinen unangenehmen) zu erzählen haben, aber nur dir allein. Ich ſehe keine Möglichkeit, dir [209]nur eine Duodezerzählung von meiner Univerſalhiſtorie zu ſchenken. Ich brauche faſt ſo viele Tage als ſonſt Seiten, um dir nicht dieſen Weg, ſondern dieſe Flur meines Lebens zu malen. Ich bin ganz30 glüklich, Otto, ganz, nicht blos über alle Erwartung, auch über alle Beſchreibung und nichts fehlet mir mehr in der weiten Welt als Du, aber auch nur du. — Heute eſſ’ ich bei Göthe — Geſtern früh war ich mit der Oſtheim zur Herzogin-Mutter nach Tiefurth geladen, und ich werde nächſtens bei ihr eſſen. Die Herzogin iſt Wielands, und ihr35 ſanftes Tiefurth — ein Lautenzug unter den ſonſt ſchreienden eng-
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gros bis zum Schmerz, wenn man vom Gegenſtand wie von der
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Die Träume meiner Phantaſie flogen Ihnen oft auf Ihrem
Rükzuge ins gelobte Land der Jugend nach; und wenn ſie dan nichts 5
ſahen als den beglükten Dichter und den Solon der Zeit, vor dem im
Herbſte ſeines Lebens alle Bäume und Haine des Jugend-Arkadiens
wieder in die Blüte traten: ſo ſagt’ ich: „o, es ſei dir unendlich wol,
„von uns allen Geliebter! — Auf die Natur um dich falle der doppelte
„Wiederſchein der Dichtkunſt und der Vergangenheit! Apollo, der dir 10
„alles gegeben, ſchenke dir auch ſeine ewige Jugend! — Und dan
„wenn die Natur in ihrer groſſen Geſtalt dich erhoben hat, ſo
„erſcheine ſie dir, ohne ihre Alpen und Seen, in der ſanftern und
„falle in der Geſtalt deiner Tochter an dein Herz — dan iſt dein volles
„Leben belohnt!“ — 15
Jean Paul Friedr. Richter
340. An Chriſtian Otto.
Weimar d. 17 Jun. 1796 [Freitag].
Lieber Bruder,
Du haſt hoffentlich einen Brief aus Jena, und einen aus Weimar 20
vom Sonabend. Das ſpäte Datum des dritten ſage dir mein freude-
trunknes Leben an; mich ſchnellet gleichſam ein Blütengipfel in den
andern hinein. Ich habe in Weimar zwanzig Jahre in wenigen
Tagen verlebt — meine Menſchenkentnis iſt wie ein Pilz Manshoch
in die Höhe geſchoſſen. Ich werde dir von Meerwundern, von ganz 25
unbegreiflichen, unerhörten Dingen (keinen unangenehmen) zu
erzählen haben, aber nur dir allein. Ich ſehe keine Möglichkeit, dir
nur eine Duodezerzählung von meiner Univerſalhiſtorie zu ſchenken.
Ich brauche faſt ſo viele Tage als ſonſt Seiten, um dir nicht dieſen
Weg, ſondern dieſe Flur meines Lebens zu malen. Ich bin ganz 30
glüklich, Otto, ganz, nicht blos über alle Erwartung, auch über alle
Beſchreibung und nichts fehlet mir mehr in der weiten Welt als Du,
aber auch nur du. — Heute eſſ’ ich bei Göthe — Geſtern früh war ich
mit der Oſtheim zur Herzogin-Mutter nach Tiefurth geladen, und ich
werde nächſtens bei ihr eſſen. Die Herzogin iſt Wielands, und ihr 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/224>, abgerufen am 16.02.2025.
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