Die meisten Menschen bleiben so eckig und fleckig als sie sind, weil sie sich auf einmal ausflicken und aufbauen wollen. Aus dem Marmor schäälet man die schöne Statue durch Millionen Schläge heraus und5 doch wil der Mensch seiner mit Wust umklebten Seele mit einem einzigen Schlage die schöne Gestalt anzaubern und sich in 1 Stunde bessern, da er sich kaum in 1 verschlimmern kan. Jätet der Mensch nur jeden Monat einen Fehler aus, so braucht er nicht viele Jahre, um ein Mensch zu werden, und noch ein Paar dazu, um ein Engel zu werden. --10 Ich wünsche, daß Sie mit Ihrem Purpursak um Ihre Hausthür flankieren, nicht um mir den Bart sondern die Fanny abzunehmen -- und daß Sie nicht war reden sondern wahr -- und daß Sie auf der Himmels Leiter des Lernens immer von einer Sprosse auf die andere klettern.15
11. An Pfarrer Vogel in Arzberg.
Hof d. 14 Jul. [1794]
Nicht Titular- sondern wirklicher H. Kirchen-Rath!
Die Freundschaft und der Braunkohl schmecken am besten, wenn beide ein wenig in der Kälte gestanden waren. Ich hoffe, unsere ist20 längst über den November weg und blüht jezt in dem Monat, wo hier geschrieben und gemähet wird. Sie behandeln mich wie das Publikum -- d. h. Sie schreiben nicht. Warlich man mus ein Konsistorium, ein ganzes corpus -- oft impium -- sein, um nur eine Zeile von dem Arzberger Manne zu kriegen, dessen Dintenfas wie die Arzberger25 Schachte zugefallen scheint.
Apropos! Den Titel Kirchenrath hab' ich Ihnen blos gegeben, weil Sie ihn (wie ich hoffe) nicht verdienen. Um ihn zu verdienen, mus man sich so wie H. Seiler um die Kirchen bekümmern -- d. h. gar nicht; so wurde auch die h. Zäzilie die Schuzpatronin der Musik, blos weil sie30 aus Tugend auf keine hörte. Die Heiligen nehmen nicht blos die[5] Vernunft gefangen, auch ihre Sinne und die Vernünftigen. Was sagen Sie zur neuen Re- oder Deformazion Ihres Standes, wo es den Kandidaten wie den Bierfässern -- dieses Gleichnis ist nicht weit hergeholet -- ergehen sol und wo keine Lehrer und Fässer aufrecht35 bleiben als die leeren? --
10. An Karl Chriſtian Rolſch in Schwarzenbach.
[Kopie][Hof, 14. Juli 1794]
Die meiſten Menſchen bleiben ſo eckig und fleckig als ſie ſind, weil ſie ſich auf einmal ausflicken und aufbauen wollen. Aus dem Marmor ſchäälet man die ſchöne Statue durch Millionen Schläge heraus und5 doch wil der Menſch ſeiner mit Wuſt umklebten Seele mit einem einzigen Schlage die ſchöne Geſtalt anzaubern und ſich in 1 Stunde beſſern, da er ſich kaum in 1 verſchlimmern kan. Jätet der Menſch nur jeden Monat einen Fehler aus, ſo braucht er nicht viele Jahre, um ein Menſch zu werden, und noch ein Paar dazu, um ein Engel zu werden. —10 Ich wünſche, daß Sie mit Ihrem Purpurſak um Ihre Hausthür flankieren, nicht um mir den Bart ſondern die Fanny abzunehmen — und daß Sie nicht war reden ſondern wahr — und daß Sie auf der Himmels Leiter des Lernens immer von einer Sproſſe auf die andere klettern.15
11. An Pfarrer Vogel in Arzberg.
Hof d. 14 Jul. [1794]
Nicht Titular- ſondern wirklicher H. Kirchen-Rath!
Die Freundſchaft und der Braunkohl ſchmecken am beſten, wenn beide ein wenig in der Kälte geſtanden waren. Ich hoffe, unſere iſt20 längſt über den November weg und blüht jezt in dem Monat, wo hier geſchrieben und gemähet wird. Sie behandeln mich wie das Publikum — d. h. Sie ſchreiben nicht. Warlich man mus ein Konſiſtorium, ein ganzes corpus — oft impium — ſein, um nur eine Zeile von dem Arzberger Manne zu kriegen, deſſen Dintenfas wie die Arzberger25 Schachte zugefallen ſcheint.
Apropos! Den Titel Kirchenrath hab’ ich Ihnen blos gegeben, weil Sie ihn (wie ich hoffe) nicht verdienen. Um ihn zu verdienen, mus man ſich ſo wie H. Seiler um die Kirchen bekümmern — d. h. gar nicht; ſo wurde auch die h. Zäzilie die Schuzpatronin der Muſik, blos weil ſie30 aus Tugend auf keine hörte. Die Heiligen nehmen nicht blos die[5] Vernunft gefangen, auch ihre Sinne und die Vernünftigen. Was ſagen Sie zur neuen Re- oder Deformazion Ihres Standes, wo es den Kandidaten wie den Bierfäſſern — dieſes Gleichnis iſt nicht weit hergeholet — ergehen ſol und wo keine Lehrer und Fäſſer aufrecht35 bleiben als die leeren? —
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[13/0022]
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ſchäälet man die ſchöne Statue durch Millionen Schläge heraus und 5
doch wil der Menſch ſeiner mit Wuſt umklebten Seele mit einem
einzigen Schlage die ſchöne Geſtalt anzaubern und ſich in 1 Stunde
beſſern, da er ſich kaum in 1 verſchlimmern kan. Jätet der Menſch nur
jeden Monat einen Fehler aus, ſo braucht er nicht viele Jahre, um ein
Menſch zu werden, und noch ein Paar dazu, um ein Engel zu werden. — 10
Ich wünſche, daß Sie mit Ihrem Purpurſak um Ihre Hausthür
flankieren, nicht um mir den Bart ſondern die Fanny abzunehmen —
und daß Sie nicht war reden ſondern wahr — und daß Sie auf der
Himmels Leiter des Lernens immer von einer Sproſſe auf die andere
klettern. 15
11. An Pfarrer Vogel in Arzberg.
Hof d. 14 Jul. [1794]
Nicht Titular- ſondern wirklicher H. Kirchen-Rath!
Die Freundſchaft und der Braunkohl ſchmecken am beſten, wenn
beide ein wenig in der Kälte geſtanden waren. Ich hoffe, unſere iſt 20
längſt über den November weg und blüht jezt in dem Monat, wo hier
geſchrieben und gemähet wird. Sie behandeln mich wie das Publikum
— d. h. Sie ſchreiben nicht. Warlich man mus ein Konſiſtorium, ein
ganzes corpus — oft impium — ſein, um nur eine Zeile von dem
Arzberger Manne zu kriegen, deſſen Dintenfas wie die Arzberger 25
Schachte zugefallen ſcheint.
Apropos! Den Titel Kirchenrath hab’ ich Ihnen blos gegeben, weil
Sie ihn (wie ich hoffe) nicht verdienen. Um ihn zu verdienen, mus man
ſich ſo wie H. Seiler um die Kirchen bekümmern — d. h. gar nicht; ſo
wurde auch die h. Zäzilie die Schuzpatronin der Muſik, blos weil ſie 30
aus Tugend auf keine hörte. Die Heiligen nehmen nicht blos die
Vernunft gefangen, auch ihre Sinne und die Vernünftigen. Was
ſagen Sie zur neuen Re- oder Deformazion Ihres Standes, wo es den
Kandidaten wie den Bierfäſſern — dieſes Gleichnis iſt nicht weit
hergeholet — ergehen ſol und wo keine Lehrer und Fäſſer aufrecht 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/22>, abgerufen am 30.07.2024.
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