Guten Morgen! Es geht also! Der Pak-Bote ist schon da. Gehst du noch? Kanst du noch?
335. An Christian Otto.5
Jena Freitags [10. Juni] 96 um 4 Uhr abends.
Mein Bruder,
Aus dem Ort, wo du so viel Litteraturzeitungen bekömst, schick' ich dir nun die illitterarische, daß ich da size und schreibe und passe bis die10 Extrapost-Buzephale -- denn der Wirth zum Erbprinz (dahin lass' alles addressieren und addressiere selber) gäbe mir als einem der Podolatrie Verdächtigen nur das kleinste, wenigstens das höchste Zimmer; welches ich um so mehr behaupten kan, da mir gestern der Schleizer Wirth eben deswegen keine Stube geben wolte als die gröste,15 nämlich die Wirths-Korrelazionsstube -- da sind. Um 7 Uhr siz ich in Weimar und schreib an die Kalb. Ich blieb zu Nachts für 18 gr. in Schleiz und wanderte durch ein Paradies, neben dem an jeder Seite wieder eines aufstieg, bis hieher. Über den Orlagrund gehet keine Schönheit in der Welt -- ausgenommen die lebendigen, die in20 doppeltem Sin darüber gehen. -- Inzwischen giebts in der hiesigen Gegend gerade das Gegentheil davon und die Natur brach den Gesichtern ab, was sie den Gefilden zuviel schenkte. Häslicher als jede Physiognomie ist die des Biers, blos der Geschmak desselben ist noch abscheulicher als jene. Tausend Grüsse theile nach allen Weltgegenden,25 sogar perpendikularen aus -- nach Süden nichts. -- Die Postpferde (auch hab ichs des armen Kerls wegen gethan, der unterwegs keinen Kreuzer verzehrte, der nicht vorher in meinem Beutel lag und der auf 7 Tage gemiethet nur 4 bedurfte) kommen sogleich und ziehen mein[204] froh-banges Herz dem längst ersehnten Eden entgegen. Ich bin30
dein Bruder Richter.
334. An Chriſtian Otto.
[Hof, 9. Juni 1796]
Guten Morgen! Es geht alſo! Der Pak-Bote iſt ſchon da. Gehſt du noch? Kanſt du noch?
335. An Chriſtian Otto.5
Jena Freitags [10. Juni] 96 um 4 Uhr abends.
Mein Bruder,
Aus dem Ort, wo du ſo viel Litteraturzeitungen bekömſt, ſchick’ ich dir nun die illitterariſche, daß ich da ſize und ſchreibe und paſſe bis die10 Extrapoſt-Buzephale — denn der Wirth zum Erbprinz (dahin laſſ’ alles addreſſieren und addreſſiere ſelber) gäbe mir als einem der Podolatrie Verdächtigen nur das kleinſte, wenigſtens das höchſte Zimmer; welches ich um ſo mehr behaupten kan, da mir geſtern der Schleizer Wirth eben deswegen keine Stube geben wolte als die gröſte,15 nämlich die Wirths-Korrelazionsſtube — da ſind. Um 7 Uhr ſiz ich in Weimar und ſchreib an die Kalb. Ich blieb zu Nachts für 18 gr. in Schleiz und wanderte durch ein Paradies, neben dem an jeder Seite wieder eines aufſtieg, bis hieher. Über den Orlagrund gehet keine Schönheit in der Welt — ausgenommen die lebendigen, die in20 doppeltem Sin darüber gehen. — Inzwiſchen giebts in der hieſigen Gegend gerade das Gegentheil davon und die Natur brach den Geſichtern ab, was ſie den Gefilden zuviel ſchenkte. Häslicher als jede Phyſiognomie iſt die des Biers, blos der Geſchmak deſſelben iſt noch abſcheulicher als jene. Tauſend Grüſſe theile nach allen Weltgegenden,25 ſogar perpendikularen aus — nach Süden nichts. — Die Poſtpferde (auch hab ichs des armen Kerls wegen gethan, der unterwegs keinen Kreuzer verzehrte, der nicht vorher in meinem Beutel lag und der auf 7 Tage gemiethet nur 4 bedurfte) kommen ſogleich und ziehen mein[204] froh-banges Herz dem längſt erſehnten Eden entgegen. Ich bin30
dein Bruder Richter.
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[205/0218]
334. An Chriſtian Otto.
[Hof, 9. Juni 1796]
Guten Morgen! Es geht alſo! Der Pak-Bote iſt ſchon da. Gehſt
du noch? Kanſt du noch?
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Jena Freitags [10. Juni] 96
um 4 Uhr abends.
Mein Bruder,
Aus dem Ort, wo du ſo viel Litteraturzeitungen bekömſt, ſchick’ ich
dir nun die illitterariſche, daß ich da ſize und ſchreibe und paſſe bis die 10
Extrapoſt-Buzephale — denn der Wirth zum Erbprinz (dahin laſſ’
alles addreſſieren und addreſſiere ſelber) gäbe mir als einem der
Podolatrie Verdächtigen nur das kleinſte, wenigſtens das höchſte
Zimmer; welches ich um ſo mehr behaupten kan, da mir geſtern der
Schleizer Wirth eben deswegen keine Stube geben wolte als die gröſte, 15
nämlich die Wirths-Korrelazionsſtube — da ſind. Um 7 Uhr ſiz ich in
Weimar und ſchreib an die Kalb. Ich blieb zu Nachts für 18 gr. in
Schleiz und wanderte durch ein Paradies, neben dem an jeder Seite
wieder eines aufſtieg, bis hieher. Über den Orlagrund gehet keine
Schönheit in der Welt — ausgenommen die lebendigen, die in 20
doppeltem Sin darüber gehen. — Inzwiſchen giebts in der hieſigen
Gegend gerade das Gegentheil davon und die Natur brach den
Geſichtern ab, was ſie den Gefilden zuviel ſchenkte. Häslicher als jede
Phyſiognomie iſt die des Biers, blos der Geſchmak deſſelben iſt noch
abſcheulicher als jene. Tauſend Grüſſe theile nach allen Weltgegenden, 25
ſogar perpendikularen aus — nach Süden nichts. — Die Poſtpferde
(auch hab ichs des armen Kerls wegen gethan, der unterwegs keinen
Kreuzer verzehrte, der nicht vorher in meinem Beutel lag und der auf
7 Tage gemiethet nur 4 bedurfte) kommen ſogleich und ziehen mein
froh-banges Herz dem längſt erſehnten Eden entgegen. Ich bin 30
[204]dein
Bruder
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/218>, abgerufen am 24.11.2024.
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