Mein Bruder treibt verdamt. -- Wenn ich wieder hieher komme, so must du mit zu ihr, weil sie so wil. -- Hier kanst du dich in der ganzen warmen Quelle des Frühlings baden und es blühet, mich aus- genommen, alles. Mögest du auch Hesperus Pfingsten haben. Lebe wol -- grüsse von mir alles was dich grüsset -- und nim mir diese5 elende Art, mein Versprechen zu halten, nicht übel.
Richter
315. An Christian Otto.[193]
[Hof] d. 18 Mai 96.
Guten Abend! Lieber, hier send' ich dir einstweilen ein Blüten- und10 Fruchtkörb[g]en. Nims aber der guten lieben Minette nicht übel, daß sie gegen die geistige ätherische Kalb hier so absticht: sie spricht freilich unendlich besser als sie schreibt.
316. An Wilhelmine von Kropff in Bayreuth.
Hof. d. 18 Mai 96.15
Ich bin kaum hier erwärmt nicht so wohl als erkaltet, so red' ich mit niemand als mit der theuern Freundin, die ich verlassen habe. Ich kam oder lief um 3 Uhr abends hier an. Der schöne Eden-Himmel über mir solte mich vielleicht für den schönern entschädigen, aus dem ich herunter fiel; aber er erinnerte mich blos an ihn. Ich war oft in20 Bayreuth und allemal fröhlich da; aber am fröhlichsten war ich das leztemal. Meine Trennung von Ihnen wäre so bitter für mich gewesen wie mein Bitterklee, ohne doch eben so heilsam zu sein; aber der Tropfen Lindenhonig oder Rosenöl, der hineinkam, machte die lezte Minute zur schönsten. So beschliesset das Konfekt-Dessert die25 Reihe der Speisen; und so giebt uns das Jahr, wenn es uns alle Süssigkeiten und Beeren gereicht, noch am Ende den berauschenden Wein. -- Ich habe mir den himlischen Weg noch schöner und rührender durch die Ausmalung der herzergreifenden Szene gemacht, da ich noch einmal das vom Kummer der Reue verzogene Angesicht Ihres30 Heinrichs unter meine innern Bilder stelte und da ich noch einmal die so unaussprechlich zärtliche und doch eben so feste und herschende Mutter auf das Haupt des gebeugten Lieblings mit ihren Küssen sinken sah. Ach wie schön ist eine Mutter, und eine solche! Ich weis,
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Mein Bruder treibt verdamt. — Wenn ich wieder hieher komme, ſo muſt du mit zu ihr, weil ſie ſo wil. — Hier kanſt du dich in der ganzen warmen Quelle des Frühlings baden und es blühet, mich aus- genommen, alles. Mögeſt du auch Hesperus Pfingſten haben. Lebe wol — grüſſe von mir alles was dich grüſſet — und nim mir dieſe5 elende Art, mein Verſprechen zu halten, nicht übel.
Richter
315. An Chriſtian Otto.[193]
[Hof] d. 18 Mai 96.
Guten Abend! Lieber, hier ſend’ ich dir einſtweilen ein Blüten- und10 Fruchtkörb[g]en. Nims aber der guten lieben Minette nicht übel, daß ſie gegen die geiſtige ätheriſche Kalb hier ſo abſticht: ſie ſpricht freilich unendlich beſſer als ſie ſchreibt.
316. An Wilhelmine von Kropff in Bayreuth.
Hof. d. 18 Mai 96.15
Ich bin kaum hier erwärmt nicht ſo wohl als erkaltet, ſo red’ ich mit niemand als mit der theuern Freundin, die ich verlaſſen habe. Ich kam oder lief um 3 Uhr abends hier an. Der ſchöne Eden-Himmel über mir ſolte mich vielleicht für den ſchönern entſchädigen, aus dem ich herunter fiel; aber er erinnerte mich blos an ihn. Ich war oft in20 Bayreuth und allemal fröhlich da; aber am fröhlichſten war ich das leztemal. Meine Trennung von Ihnen wäre ſo bitter für mich geweſen wie mein Bitterklee, ohne doch eben ſo heilſam zu ſein; aber der Tropfen Lindenhonig oder Roſenöl, der hineinkam, machte die lezte Minute zur ſchönſten. So beſchlieſſet das Konfekt-Deſſert die25 Reihe der Speiſen; und ſo giebt uns das Jahr, wenn es uns alle Süſſigkeiten und Beeren gereicht, noch am Ende den berauſchenden Wein. — Ich habe mir den himliſchen Weg noch ſchöner und rührender durch die Ausmalung der herzergreifenden Szene gemacht, da ich noch einmal das vom Kummer der Reue verzogene Angeſicht Ihres30 Heinrichs unter meine innern Bilder ſtelte und da ich noch einmal die ſo unausſprechlich zärtliche und doch eben ſo feſte und herſchende Mutter auf das Haupt des gebeugten Lieblings mit ihren Küſſen ſinken ſah. Ach wie ſchön iſt eine Mutter, und eine ſolche! Ich weis,
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Mein Bruder treibt verdamt. — Wenn ich wieder hieher komme, ſo
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warmen Quelle des Frühlings baden und es blühet, mich aus-
genommen, alles. Mögeſt du auch Hesperus Pfingſten haben. Lebe
wol — grüſſe von mir alles was dich grüſſet — und nim mir dieſe 5
elende Art, mein Verſprechen zu halten, nicht übel.
Richter
315. An Chriſtian Otto.
[Hof] d. 18 Mai 96.
Guten Abend! Lieber, hier ſend’ ich dir einſtweilen ein Blüten- und 10
Fruchtkörb[g]en. Nims aber der guten lieben Minette nicht übel, daß
ſie gegen die geiſtige ätheriſche Kalb hier ſo abſticht: ſie ſpricht
freilich unendlich beſſer als ſie ſchreibt.
316. An Wilhelmine von Kropff in Bayreuth.
Hof. d. 18 Mai 96. 15
Ich bin kaum hier erwärmt nicht ſo wohl als erkaltet, ſo red’ ich
mit niemand als mit der theuern Freundin, die ich verlaſſen habe. Ich
kam oder lief um 3 Uhr abends hier an. Der ſchöne Eden-Himmel
über mir ſolte mich vielleicht für den ſchönern entſchädigen, aus dem
ich herunter fiel; aber er erinnerte mich blos an ihn. Ich war oft in 20
Bayreuth und allemal fröhlich da; aber am fröhlichſten war ich das
leztemal. Meine Trennung von Ihnen wäre ſo bitter für mich
geweſen wie mein Bitterklee, ohne doch eben ſo heilſam zu ſein; aber
der Tropfen Lindenhonig oder Roſenöl, der hineinkam, machte die
lezte Minute zur ſchönſten. So beſchlieſſet das Konfekt-Deſſert die 25
Reihe der Speiſen; und ſo giebt uns das Jahr, wenn es uns alle
Süſſigkeiten und Beeren gereicht, noch am Ende den berauſchenden
Wein. — Ich habe mir den himliſchen Weg noch ſchöner und rührender
durch die Ausmalung der herzergreifenden Szene gemacht, da ich noch
einmal das vom Kummer der Reue verzogene Angeſicht Ihres 30
Heinrichs unter meine innern Bilder ſtelte und da ich noch einmal die
ſo unausſprechlich zärtliche und doch eben ſo feſte und herſchende
Mutter auf das Haupt des gebeugten Lieblings mit ihren Küſſen
ſinken ſah. Ach wie ſchön iſt eine Mutter, und eine ſolche! Ich weis,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/208>, abgerufen am 07.07.2024.
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