Bayreuth den ersten h. Pfingstfeiertag [15. Mai] 96 -- um 12 Uhr Mittags.
Ich logiere doch in der Sonne neben oder über der Reichsritter- schaft; und der Teufel führte gestern den zweiten immer herüber zu5 mir, H. Carner. "Jura, sagt' er, giebt euch der König so viel ihr wolt, aber nur kein Geld." Er ärgerte sich, daß man ihm das Protokol anstat versprochnermassen abends zuzusenden, mittags zufertigte -- indem man 8 oder 10 Kanzellisten auf einmal daran schreiben lies -- um ihm seine Diäten zu beschneiden.10
Die 2 andern Griechen haben die Konzession glüklich heraus- gebracht; -- um die Kaufleute nicht hintan zu sezen, sollen ihnen eben[191] so gut wie ihren Gegnern gute Konzessionen (für ein Weniges) nächstens bewilligt werden.
Anlangend die schöne Klotilde, so ist alles prächtig und so:15
Sie fuhr mir Donnerstags bis Bernek entgegen und schikte, da es nichts war, einen noch unerbrochen in Hof liegenden Brief. Son- abends früh war nach meiner Ankunft mein erster Grif nach einer Feder, um mich auf 5 Uhr selber vorzuladen. Sie sandte mir sogleich durch den Bedienten ein Billet, worin sie meinen Stundenzeiger um20 2 Stunden zurükdrehte: "wir wollen alle beide um 3 Uhr durch die Eremitage fahren." -- Ich trabte denn ins untere Stokwerk des Reizenst[einischen] Hauses und trat durch zwei schöne Zimmer ins dritte, wo sie neben 2 Nachtigallen und neben dem halb verhangnen und überblümten Fenster sas. Ich sage dir, könt' ich sie schildern, so25 hättest du einen ganzen neuen weiblichen Karakter im Kopf oder gar im Herzen. Sie hat eine majestätische Länge -- meine fast -- 27 Jahre -- eine weder gebogne noch gerade sondern wellenhafte Nase -- einen halb übers Gesicht zergangenen Wiederschein der Morgenröthe und nichts als Schönheiten auf dem Gesicht, dem blos ein wenig das30 weibliche Oval abgeht -- die schönste veredelte Berliner Aussprache -- Blos im Anfange schien sie mir mit dem Kopf und Rest ungefähr 8 oder 91/2 Bewegungen (ich kan in der Zahl irren) zuviel zu machen, anstat daß die Pütnerin in Wirsberg 8000 etc. zuviel macht. Ihre Stuhl- und Fensterreden waren vol Menschenliebe, Festigkeit, Sanft-35 muth -- sie duzet sich gott weis mit welcher Prinzessin und war an etc. etc. etc. Hofe, also ist sie gerade so bestimt und leicht und ungeniert,
13 Jean Paul Briefe. II.
314. An Chriſtian Otto.
Bayreuth den erſten h. Pfingſtfeiertag [15. Mai] 96 — um 12 Uhr Mittags.
Ich logiere doch in der Sonne neben oder über der Reichsritter- ſchaft; und der Teufel führte geſtern den zweiten immer herüber zu5 mir, H. Carner. „Jura, ſagt’ er, giebt euch der König ſo viel ihr wolt, aber nur kein Geld.“ Er ärgerte ſich, daß man ihm das Protokol anſtat verſprochnermaſſen abends zuzuſenden, mittags zufertigte — indem man 8 oder 10 Kanzelliſten auf einmal daran ſchreiben lies — um ihm ſeine Diäten zu beſchneiden.10
Die 2 andern Griechen haben die Konzeſſion glüklich heraus- gebracht; — um die Kaufleute nicht hintan zu ſezen, ſollen ihnen eben[191] ſo gut wie ihren Gegnern gute Konzeſſionen (für ein Weniges) nächſtens bewilligt werden.
Anlangend die ſchöne Klotilde, ſo iſt alles prächtig und ſo:15
Sie fuhr mir Donnerſtags bis Bernek entgegen und ſchikte, da es nichts war, einen noch unerbrochen in Hof liegenden Brief. Son- abends früh war nach meiner Ankunft mein erſter Grif nach einer Feder, um mich auf 5 Uhr ſelber vorzuladen. Sie ſandte mir ſogleich durch den Bedienten ein Billet, worin ſie meinen Stundenzeiger um20 2 Stunden zurükdrehte: „wir wollen alle beide um 3 Uhr durch die Eremitage fahren.“ — Ich trabte denn ins untere Stokwerk des Reizenſt[einiſchen] Hauſes und trat durch zwei ſchöne Zimmer ins dritte, wo ſie neben 2 Nachtigallen und neben dem halb verhangnen und überblümten Fenſter ſas. Ich ſage dir, könt’ ich ſie ſchildern, ſo25 hätteſt du einen ganzen neuen weiblichen Karakter im Kopf oder gar im Herzen. Sie hat eine majeſtätiſche Länge — meine faſt — 27 Jahre — eine weder gebogne noch gerade ſondern wellenhafte Naſe — einen halb übers Geſicht zergangenen Wiederſchein der Morgenröthe und nichts als Schönheiten auf dem Geſicht, dem blos ein wenig das30 weibliche Oval abgeht — die ſchönſte veredelte Berliner Ausſprache — Blos im Anfange ſchien ſie mir mit dem Kopf und Reſt ungefähr 8 oder 9½ Bewegungen (ich kan in der Zahl irren) zuviel zu machen, anſtat daß die Pütnerin in Wirsberg 8000 ꝛc. zuviel macht. Ihre Stuhl- und Fenſterreden waren vol Menſchenliebe, Feſtigkeit, Sanft-35 muth — ſie duzet ſich gott weis mit welcher Prinzeſſin und war an ꝛc. ꝛc. ꝛc. Hofe, alſo iſt ſie gerade ſo beſtimt und leicht und ungeniert,
13 Jean Paul Briefe. II.
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314. An Chriſtian Otto.
Bayreuth den erſten h. Pfingſtfeiertag [15. Mai] 96 —
um 12 Uhr Mittags.
Ich logiere doch in der Sonne neben oder über der Reichsritter-
ſchaft; und der Teufel führte geſtern den zweiten immer herüber zu 5
mir, H. Carner. „Jura, ſagt’ er, giebt euch der König ſo viel ihr
wolt, aber nur kein Geld.“ Er ärgerte ſich, daß man ihm das Protokol
anſtat verſprochnermaſſen abends zuzuſenden, mittags zufertigte —
indem man 8 oder 10 Kanzelliſten auf einmal daran ſchreiben lies —
um ihm ſeine Diäten zu beſchneiden. 10
Die 2 andern Griechen haben die Konzeſſion glüklich heraus-
gebracht; — um die Kaufleute nicht hintan zu ſezen, ſollen ihnen eben
ſo gut wie ihren Gegnern gute Konzeſſionen (für ein Weniges)
nächſtens bewilligt werden.
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Anlangend die ſchöne Klotilde, ſo iſt alles prächtig und ſo: 15
Sie fuhr mir Donnerſtags bis Bernek entgegen und ſchikte, da
es nichts war, einen noch unerbrochen in Hof liegenden Brief. Son-
abends früh war nach meiner Ankunft mein erſter Grif nach einer
Feder, um mich auf 5 Uhr ſelber vorzuladen. Sie ſandte mir ſogleich
durch den Bedienten ein Billet, worin ſie meinen Stundenzeiger um 20
2 Stunden zurükdrehte: „wir wollen alle beide um 3 Uhr durch die
Eremitage fahren.“ — Ich trabte denn ins untere Stokwerk des
Reizenſt[einiſchen] Hauſes und trat durch zwei ſchöne Zimmer ins
dritte, wo ſie neben 2 Nachtigallen und neben dem halb verhangnen
und überblümten Fenſter ſas. Ich ſage dir, könt’ ich ſie ſchildern, ſo 25
hätteſt du einen ganzen neuen weiblichen Karakter im Kopf oder gar
im Herzen. Sie hat eine majeſtätiſche Länge — meine faſt — 27 Jahre
— eine weder gebogne noch gerade ſondern wellenhafte Naſe — einen
halb übers Geſicht zergangenen Wiederſchein der Morgenröthe und
nichts als Schönheiten auf dem Geſicht, dem blos ein wenig das 30
weibliche Oval abgeht — die ſchönſte veredelte Berliner Ausſprache —
Blos im Anfange ſchien ſie mir mit dem Kopf und Reſt ungefähr
8 oder 9½ Bewegungen (ich kan in der Zahl irren) zuviel zu machen,
anſtat daß die Pütnerin in Wirsberg 8000 ꝛc. zuviel macht. Ihre
Stuhl- und Fenſterreden waren vol Menſchenliebe, Feſtigkeit, Sanft- 35
muth — ſie duzet ſich gott weis mit welcher Prinzeſſin und war an
ꝛc. ꝛc. ꝛc. Hofe, alſo iſt ſie gerade ſo beſtimt und leicht und ungeniert,
13 Jean Paul Briefe. II.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/206>, abgerufen am 07.07.2024.
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