werd' ich die eigennüzige Auslegung machen, daß ich endlich, endlich um 5 Uhr abends meine Pfingstfeiertage anfangen und Sie sehen darf. -- Da heute Sonabend ist, wo in allen Kirchen absolvieret und vergeben wird: so haben Sie genug Gelegenheit, Ihr Zimmer zu meinem Tempel und Ihren Stuhl zu meinem Beichtstuhle zu machen5 und dem armen Jean Paul die vielen Sünden, die Sie nicht hören sondern sehen, mit der Nachsicht der Freundschaft zu vergeben. Ich habe das Glük, mitten im Frühling -- und blos eine 1/4 Stunde von Ihnen vol Hofnung -- vol Freude -- vol Erwartung zu sein
Ihr10 innigst verehrender Freund J. P. F. Richter.
312. An Ahlefeldt in Berlin.
Bayreuth d. 15 Mai 96 [Pfingstsonntag].
Mein guter Ahlefeld,15
Du wirst von vielen Nachtwandlern gelesen haben, die schlafend sich an ihren Schreibetisch sezten und da Aufsäze machten, die sie am Morgen mit Erstaunen fanden. Heute traf ich auf meinem Tische folgenden Brief von dir an mich an, den ich wahrscheinlich -- zumal da es meine Hand ist -- als Nachtwandler geschrieben haben mus.20 [188]Ich wolt', ich thät' es jede Nacht, so bekäm' ich doch auf irgend eine Art Briefe von dir. Du schreibst so:
Berlin d. 15 Mai 96.
Lieber Jean Paul!
Ich wil dir meinen Traum zuflattern lassen, da er noch Schwung-25 federn hat. Mir träumte, du wärest gestern nach Bayreuth gekommen. Du schiktest sogleich den Frachtzettel deiner Ankunft an meine Klotilde; und sie dir ein Entreebillet. Dan trabtest du um 3 Uhr in ihr Haus, das grünende Schönheiten umgeben, wie es eine blühende bewohnet. Ich schwebte als Geist in Luft verkörpert über euch -- wenn die30 Nachtigal schlug, war es ein Schrei meiner Sehnsucht -- wenn der Westwind ihre Blumen niederbog am Fenster, war es mein Athem. Wie war dir, alter Paul, da auf einmal am Fenster Klotilde -- die ich dir kaum im Silhouettenprofil geschildert -- mit allen ihren Stralen vor deinem Aug aufgieng, nicht mit Rosen auf dem An-35
werd’ ich die eigennüzige Auslegung machen, daß ich endlich, endlich um 5 Uhr abends meine Pfingſtfeiertage anfangen und Sie ſehen darf. — Da heute Sonabend iſt, wo in allen Kirchen abſolvieret und vergeben wird: ſo haben Sie genug Gelegenheit, Ihr Zimmer zu meinem Tempel und Ihren Stuhl zu meinem Beichtſtuhle zu machen5 und dem armen Jean Paul die vielen Sünden, die Sie nicht hören ſondern ſehen, mit der Nachſicht der Freundſchaft zu vergeben. Ich habe das Glük, mitten im Frühling — und blos eine ¼ Stunde von Ihnen vol Hofnung — vol Freude — vol Erwartung zu ſein
Ihr10 innigſt verehrender Freund J. P. F. Richter.
312. An Ahlefeldt in Berlin.
Bayreuth d. 15 Mai 96 [Pfingſtſonntag].
Mein guter Ahlefeld,15
Du wirſt von vielen Nachtwandlern geleſen haben, die ſchlafend ſich an ihren Schreibetiſch ſezten und da Aufſäze machten, die ſie am Morgen mit Erſtaunen fanden. Heute traf ich auf meinem Tiſche folgenden Brief von dir an mich an, den ich wahrſcheinlich — zumal da es meine Hand iſt — als Nachtwandler geſchrieben haben mus.20 [188]Ich wolt’, ich thät’ es jede Nacht, ſo bekäm’ ich doch auf irgend eine Art Briefe von dir. Du ſchreibſt ſo:
Berlin d. 15 Mai 96.
Lieber Jean Paul!
Ich wil dir meinen Traum zuflattern laſſen, da er noch Schwung-25 federn hat. Mir träumte, du wäreſt geſtern nach Bayreuth gekommen. Du ſchikteſt ſogleich den Frachtzettel deiner Ankunft an meine Klotilde; und ſie dir ein Entréebillet. Dan trabteſt du um 3 Uhr in ihr Haus, das grünende Schönheiten umgeben, wie es eine blühende bewohnet. Ich ſchwebte als Geiſt in Luft verkörpert über euch — wenn die30 Nachtigal ſchlug, war es ein Schrei meiner Sehnſucht — wenn der Weſtwind ihre Blumen niederbog am Fenſter, war es mein Athem. Wie war dir, alter Paul, da auf einmal am Fenſter Klotilde — die ich dir kaum im Silhouettenprofil geſchildert — mit allen ihren Stralen vor deinem Aug aufgieng, nicht mit Roſen auf dem An-35
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vergeben wird: ſo haben Sie genug Gelegenheit, Ihr Zimmer zu
meinem Tempel und Ihren Stuhl zu meinem Beichtſtuhle zu machen 5
und dem armen Jean Paul die vielen Sünden, die Sie nicht hören
ſondern ſehen, mit der Nachſicht der Freundſchaft zu vergeben. Ich
habe das Glük, mitten im Frühling — und blos eine ¼ Stunde von
Ihnen vol Hofnung — vol Freude — vol Erwartung zu ſein
Ihr 10
innigſt verehrender Freund
J. P. F. Richter.
312. An Ahlefeldt in Berlin.
Bayreuth d. 15 Mai 96 [Pfingſtſonntag].
Mein guter Ahlefeld, 15
Du wirſt von vielen Nachtwandlern geleſen haben, die ſchlafend
ſich an ihren Schreibetiſch ſezten und da Aufſäze machten, die ſie am
Morgen mit Erſtaunen fanden. Heute traf ich auf meinem Tiſche
folgenden Brief von dir an mich an, den ich wahrſcheinlich — zumal da
es meine Hand iſt — als Nachtwandler geſchrieben haben mus. 20
Ich wolt’, ich thät’ es jede Nacht, ſo bekäm’ ich doch auf irgend eine
Art Briefe von dir. Du ſchreibſt ſo:
[188]
Berlin d. 15 Mai 96.
Lieber Jean Paul!
Ich wil dir meinen Traum zuflattern laſſen, da er noch Schwung- 25
federn hat. Mir träumte, du wäreſt geſtern nach Bayreuth gekommen.
Du ſchikteſt ſogleich den Frachtzettel deiner Ankunft an meine Klotilde;
und ſie dir ein Entréebillet. Dan trabteſt du um 3 Uhr in ihr Haus,
das grünende Schönheiten umgeben, wie es eine blühende bewohnet.
Ich ſchwebte als Geiſt in Luft verkörpert über euch — wenn die 30
Nachtigal ſchlug, war es ein Schrei meiner Sehnſucht — wenn der
Weſtwind ihre Blumen niederbog am Fenſter, war es mein Athem.
Wie war dir, alter Paul, da auf einmal am Fenſter Klotilde — die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/203>, abgerufen am 07.07.2024.
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