sehr -- -- Kurz heute erfüll' ich Ihnen mein Versprechen des Minia- türportraits von unsrer Freundin, die Ihnen nicht theuerer sein kan als dem Portraitmaler selber. Ich wil von ihren Tugenden zu ihren Fehlern übergehen. Meine Freimüthigkeit über beides verdenken Sie mir nicht, so sehr Sie auch diese gute Seele lieben mögen. Alles was ich5 Sie zu bitten habe, ist, daß Sie dieses Blat erstlich vor Ihrer Freundin verstecken, wenn sie den Ton der Wahrheit nicht verschmerzen kan, zweitens vor den Freunden derselben, wenn sie diesen Ton aus Schmeich[e]lei verkennen solten.
Das Licht des Gemäldes.10
Gute Seele! dein blasses Angesicht, dein liebendes Auge blikt jezt mein Inneres an und ich hole tiefern Athem als wolt' ich damit deine Seele und deine Seufzer in meine ziehen! -- Gute, Gute! behalte ewig die Vorzüge, die ich dir jezt zuschreibe. Behalte dein Herz vol Menschen- liebe, das keinen Menschen verläumdet, deinen sanften Enthusiasmus15 für alles Rührende und für den Tod, deine Liebe zu Gott, deine Begeisterung in der grossen Natur, dein Auge vol heiliger Thränen, dein Herz vol Uneigennüzigkeit und deinen schillernden Wiz! -- Renata! lassen Sie sich einmal von Ihrer Freundin erzählen, welche[I, 437] Eden-Stunden ich an ihrem Auge und in ihrer Hand verlebte: dan20 begehren Sie kein längeres Gemälde von Ihrer schönen Freundin!
Schatten des Bildes.
Ich wende mich von Ihnen, Renata, und rede nun gerührt blos unsere Freundin an: "warum hast du Fehler? Ach wenn man eine "solche Brust vol edler Gefühle an die eigne drükt: dan fället mitten in25 "der Umarmung der Gedanke ihrer kleinen Sonnenflecken wie ein "glühender Tropfen auf die entblösten Nerven. Warum ist so oft der "weibliche Edelstein in Blei gefast? -- Kommen die Beweise deiner "Liebe allemal aus Liebe, und nicht vielmehr oft aus Eigennuz? Bist "du nicht am besten, wenn du nichts für deine Liebe zu besorgen hast30 "und fühlst du nicht eine verstekte innerliche Entschlossenheit zu "kleinen Abweichungen vom Weg des Selbstgefühls und der Ehre, "im Falle diese Liebe durch nichts mehr zu retten wäre als durch jene "kleinen Abweichungen?"
Ich wil fortfahren, ohne sie anzureden.35
ſehr — — Kurz heute erfüll’ ich Ihnen mein Verſprechen des Minia- türportraits von unſrer Freundin, die Ihnen nicht theuerer ſein kan als dem Portraitmaler ſelber. Ich wil von ihren Tugenden zu ihren Fehlern übergehen. Meine Freimüthigkeit über beides verdenken Sie mir nicht, ſo ſehr Sie auch dieſe gute Seele lieben mögen. Alles was ich5 Sie zu bitten habe, iſt, daß Sie dieſes Blat erſtlich vor Ihrer Freundin verſtecken, wenn ſie den Ton der Wahrheit nicht verſchmerzen kan, zweitens vor den Freunden derſelben, wenn ſie dieſen Ton aus Schmeich[e]lei verkennen ſolten.
Das Licht des Gemäldes.10
Gute Seele! dein blaſſes Angeſicht, dein liebendes Auge blikt jezt mein Inneres an und ich hole tiefern Athem als wolt’ ich damit deine Seele und deine Seufzer in meine ziehen! — Gute, Gute! behalte ewig die Vorzüge, die ich dir jezt zuſchreibe. Behalte dein Herz vol Menſchen- liebe, das keinen Menſchen verläumdet, deinen ſanften Enthuſiaſmus15 für alles Rührende und für den Tod, deine Liebe zu Gott, deine Begeiſterung in der groſſen Natur, dein Auge vol heiliger Thränen, dein Herz vol Uneigennüzigkeit und deinen ſchillernden Wiz! — Renata! laſſen Sie ſich einmal von Ihrer Freundin erzählen, welche[I, 437] Eden-Stunden ich an ihrem Auge und in ihrer Hand verlebte: dan20 begehren Sie kein längeres Gemälde von Ihrer ſchönen Freundin!
Schatten des Bildes.
Ich wende mich von Ihnen, Renata, und rede nun gerührt blos unſere Freundin an: „warum haſt du Fehler? Ach wenn man eine „ſolche Bruſt vol edler Gefühle an die eigne drükt: dan fället mitten in25 „der Umarmung der Gedanke ihrer kleinen Sonnenflecken wie ein „glühender Tropfen auf die entblöſten Nerven. Warum iſt ſo oft der „weibliche Edelſtein in Blei gefaſt? — Kommen die Beweiſe deiner „Liebe allemal aus Liebe, und nicht vielmehr oft aus Eigennuz? Biſt „du nicht am beſten, wenn du nichts für deine Liebe zu beſorgen haſt30 „und fühlſt du nicht eine verſtekte innerliche Entſchloſſenheit zu „kleinen Abweichungen vom Weg des Selbſtgefühls und der Ehre, „im Falle dieſe Liebe durch nichts mehr zu retten wäre als durch jene „kleinen Abweichungen?“
Ich wil fortfahren, ohne ſie anzureden.35
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ſehr — — Kurz heute erfüll’ ich Ihnen mein Verſprechen des Minia-
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Fehlern übergehen. Meine Freimüthigkeit über beides verdenken Sie
mir nicht, ſo ſehr Sie auch dieſe gute Seele lieben mögen. Alles was ich 5
Sie zu bitten habe, iſt, daß Sie dieſes Blat erſtlich vor Ihrer Freundin
verſtecken, wenn ſie den Ton der Wahrheit nicht verſchmerzen kan,
zweitens vor den Freunden derſelben, wenn ſie dieſen Ton aus
Schmeich[e]lei verkennen ſolten.
Das Licht des Gemäldes. 10
Gute Seele! dein blaſſes Angeſicht, dein liebendes Auge blikt jezt
mein Inneres an und ich hole tiefern Athem als wolt’ ich damit deine
Seele und deine Seufzer in meine ziehen! — Gute, Gute! behalte ewig
die Vorzüge, die ich dir jezt zuſchreibe. Behalte dein Herz vol Menſchen-
liebe, das keinen Menſchen verläumdet, deinen ſanften Enthuſiaſmus 15
für alles Rührende und für den Tod, deine Liebe zu Gott, deine
Begeiſterung in der groſſen Natur, dein Auge vol heiliger Thränen,
dein Herz vol Uneigennüzigkeit und deinen ſchillernden Wiz! —
Renata! laſſen Sie ſich einmal von Ihrer Freundin erzählen, welche
Eden-Stunden ich an ihrem Auge und in ihrer Hand verlebte: dan 20
begehren Sie kein längeres Gemälde von Ihrer ſchönen Freundin!
[I, 437]
Schatten des Bildes.
Ich wende mich von Ihnen, Renata, und rede nun gerührt blos
unſere Freundin an: „warum haſt du Fehler? Ach wenn man eine
„ſolche Bruſt vol edler Gefühle an die eigne drükt: dan fället mitten in 25
„der Umarmung der Gedanke ihrer kleinen Sonnenflecken wie ein
„glühender Tropfen auf die entblöſten Nerven. Warum iſt ſo oft der
„weibliche Edelſtein in Blei gefaſt? — Kommen die Beweiſe deiner
„Liebe allemal aus Liebe, und nicht vielmehr oft aus Eigennuz? Biſt
„du nicht am beſten, wenn du nichts für deine Liebe zu beſorgen haſt 30
„und fühlſt du nicht eine verſtekte innerliche Entſchloſſenheit zu
„kleinen Abweichungen vom Weg des Selbſtgefühls und der Ehre,
„im Falle dieſe Liebe durch nichts mehr zu retten wäre als durch jene
„kleinen Abweichungen?“
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/18>, abgerufen am 21.11.2024.
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