Der Ton Ihres Briefes ehret Sie wie der Anlas desselben. -- Ich wil Ihre Frage: "wie eine Seele als die Ihrige sich so etwas erlauben "kan" so beantworten wie sie gethan wurde. Ich kan mirs nicht nur5 erlauben, ich mus es. Menschenliebe ist Pflicht; aber Freundschaft ist keine, sondern Genus und Verdienst -- blos die Treue in ihr ist Pflicht. Weil Sie meine Betragen gegen Gleichgültige -- Feinde -- Schlimme -- Arme -- und noch mehr meine Glükswünsche für andere und meine Freude an der fremden nie erfahren können: so hab' ich10 auch keinen Beweis für Sie, daß ich die Menschenliebe nicht blos in der Feder, sondern auch im Herzen habe. -- Aber bei der Freundschaft ists anders. Zwei Freunde solten vor einander ihre Sommer- und Sonnenflecken eben so künstlich und aufmerksam verdecken als es Liebende thun. Aber man erlaubt sich darin zuviel -- und wenn es15 Scherz beträfe, wie ich leider thue -- und ein einziger falscher Ton, eine kurze Dissonanz hat dan die schöne Melodie auf lange gestört, meistens auf ewig. Liebe und Freundschaft fodern einen ganz vol- komnen Gegenstand; und da dieser nur über den Wolken und Sternen wohnt, so mus ihn der Enthusiasmus durch eine Täuschung, aus der20 uns jeder fremde Fehler wirft, dazu machen. Ich darf es sagen, die Freundschaft zwischen Otto und mir hat jene Zartheit, die keine Fehler duldet und zeigt: denn meine sieht er aus einem gütigern Gesichtspunkt als ich oder irgend jemand, und seine sind kleiner als ihm meine scheinen -- Aber wie viel Wolken und Wolkenschatten25 flogen zwischen Ihre und meine Freundschaft!
d. 20 März.
Ich habe das vorige gesagt, nicht blos um mich zu entschuldigen sondern auch, um mich zu ändern und zu bessern.
Ich habe noch eine zweite Antwort auf Ihre obige Frage. Ich30 glaube nämlich oft nach einer Menge kleiner Aeusserungen, daß Sie gar keine Freundschaft mehr für den haben, der für Sie, so oft er nicht gestöret wird, die wärmste und volste und eben darum empfindlichste hat -- daß Ihnen einerlei ist ob man kömt, spricht oder nicht -- daß Sie und Ihre ältern Geschwister vor den jüngern ihre Urtheile ohne35 Rüksicht fällen -- Und wenn mir noch in einer solchen Verstimmung scheinbare Beweise wie Schlossen ans Herz schlagen, daß Sie gegen
268. An Amöne Herold.
Hof. d. 19 März 1796.
Der Ton Ihres Briefes ehret Sie wie der Anlas deſſelben. — Ich wil Ihre Frage: „wie eine Seele als die Ihrige ſich ſo etwas erlauben „kan“ ſo beantworten wie ſie gethan wurde. Ich kan mirs nicht nur5 erlauben, ich mus es. Menſchenliebe iſt Pflicht; aber Freundſchaft iſt keine, ſondern Genus und Verdienſt — blos die Treue in ihr iſt Pflicht. Weil Sie meine Betragen gegen Gleichgültige — Feinde — Schlimme — Arme — und noch mehr meine Glükswünſche für andere und meine Freude an der fremden nie erfahren können: ſo hab’ ich10 auch keinen Beweis für Sie, daß ich die Menſchenliebe nicht blos in der Feder, ſondern auch im Herzen habe. — Aber bei der Freundſchaft iſts anders. Zwei Freunde ſolten vor einander ihre Sommer- und Sonnenflecken eben ſo künſtlich und aufmerkſam verdecken als es Liebende thun. Aber man erlaubt ſich darin zuviel — und wenn es15 Scherz beträfe, wie ich leider thue — und ein einziger falſcher Ton, eine kurze Diſſonanz hat dan die ſchöne Melodie auf lange geſtört, meiſtens auf ewig. Liebe und Freundſchaft fodern einen ganz vol- komnen Gegenſtand; und da dieſer nur über den Wolken und Sternen wohnt, ſo mus ihn der Enthuſiaſmus durch eine Täuſchung, aus der20 uns jeder fremde Fehler wirft, dazu machen. Ich darf es ſagen, die Freundſchaft zwiſchen Otto und mir hat jene Zartheit, die keine Fehler duldet und zeigt: denn meine ſieht er aus einem gütigern Geſichtspunkt als ich oder irgend jemand, und ſeine ſind kleiner als ihm meine ſcheinen — Aber wie viel Wolken und Wolkenſchatten25 flogen zwiſchen Ihre und meine Freundſchaft!
d. 20 März.
Ich habe das vorige geſagt, nicht blos um mich zu entſchuldigen ſondern auch, um mich zu ändern und zu beſſern.
Ich habe noch eine zweite Antwort auf Ihre obige Frage. Ich30 glaube nämlich oft nach einer Menge kleiner Aeuſſerungen, daß Sie gar keine Freundſchaft mehr für den haben, der für Sie, ſo oft er nicht geſtöret wird, die wärmſte und volſte und eben darum empfindlichſte hat — daß Ihnen einerlei iſt ob man kömt, ſpricht oder nicht — daß Sie und Ihre ältern Geſchwiſter vor den jüngern ihre Urtheile ohne35 Rükſicht fällen — Und wenn mir noch in einer ſolchen Verſtimmung ſcheinbare Beweiſe wie Schloſſen ans Herz ſchlagen, daß Sie gegen
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268. An Amöne Herold.
Hof. d. 19 März 1796.
Der Ton Ihres Briefes ehret Sie wie der Anlas deſſelben. — Ich
wil Ihre Frage: „wie eine Seele als die Ihrige ſich ſo etwas erlauben
„kan“ ſo beantworten wie ſie gethan wurde. Ich kan mirs nicht nur 5
erlauben, ich mus es. Menſchenliebe iſt Pflicht; aber Freundſchaft iſt
keine, ſondern Genus und Verdienſt — blos die Treue in ihr iſt
Pflicht. Weil Sie meine Betragen gegen Gleichgültige — Feinde —
Schlimme — Arme — und noch mehr meine Glükswünſche für andere
und meine Freude an der fremden nie erfahren können: ſo hab’ ich 10
auch keinen Beweis für Sie, daß ich die Menſchenliebe nicht blos in
der Feder, ſondern auch im Herzen habe. — Aber bei der Freundſchaft
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Sonnenflecken eben ſo künſtlich und aufmerkſam verdecken als es
Liebende thun. Aber man erlaubt ſich darin zuviel — und wenn es 15
Scherz beträfe, wie ich leider thue — und ein einziger falſcher Ton,
eine kurze Diſſonanz hat dan die ſchöne Melodie auf lange geſtört,
meiſtens auf ewig. Liebe und Freundſchaft fodern einen ganz vol-
komnen Gegenſtand; und da dieſer nur über den Wolken und Sternen
wohnt, ſo mus ihn der Enthuſiaſmus durch eine Täuſchung, aus der 20
uns jeder fremde Fehler wirft, dazu machen. Ich darf es ſagen, die
Freundſchaft zwiſchen Otto und mir hat jene Zartheit, die keine
Fehler duldet und zeigt: denn meine ſieht er aus einem gütigern
Geſichtspunkt als ich oder irgend jemand, und ſeine ſind kleiner als
ihm meine ſcheinen — Aber wie viel Wolken und Wolkenſchatten 25
flogen zwiſchen Ihre und meine Freundſchaft!
d. 20 März.
Ich habe das vorige geſagt, nicht blos um mich zu entſchuldigen
ſondern auch, um mich zu ändern und zu beſſern.
Ich habe noch eine zweite Antwort auf Ihre obige Frage. Ich 30
glaube nämlich oft nach einer Menge kleiner Aeuſſerungen, daß Sie
gar keine Freundſchaft mehr für den haben, der für Sie, ſo oft er nicht
geſtöret wird, die wärmſte und volſte und eben darum empfindlichſte
hat — daß Ihnen einerlei iſt ob man kömt, ſpricht oder nicht — daß Sie
und Ihre ältern Geſchwiſter vor den jüngern ihre Urtheile ohne 35
Rükſicht fällen — Und wenn mir noch in einer ſolchen Verſtimmung
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/178>, abgerufen am 22.11.2024.
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