Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

Bild:
<< vorherige Seite
220. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
[Kopie]

Ihr Brief brachte mir ein verjüngtes Rosenthal von Leipzig mit
20 Lustgängen für die Phantasie nach Hof. Nach einem solchen Brief
solte man sich umwenden und den V[erfasser], der hinter dem Rücken5
steht und über die Achsel zusieht, umarmen und recht von Herzen an das
Herz drücken können. Wir sind alle in so alternierenden Stimmungen
beisammen -- der eine ist heute warm, der andre morgen und der dritte
übermorgen gegen Abend und selten begegnen sich die besten Menschen
gerade in gleicher Wärme und in gleicher Kälte -- und das Uebel ist so10
gros, daß ich oft das als ein gutes Mittel dagegen gehalten habe, wenn
die Leute kaum zu einander sprächen sondern nur schrieben und wenn
sich eine Geselschaft guter Freunde an einen Tisch zusammensezte und
so mit einander bei so schneller Post Briefe wechselte von den äussersten
Enden des Tisches. Ihr Brief vol wärmenden Lichts und vol leuchtender15
Wärme beweiset mir, daß Sie in der ellyptischen Kometenbahn der
langen menschlichen Bildung das Aphelium schon zurükgelegt und nun
im Perihelium sich sanft erwärmen, das sich bei dem Menschen mit dem
schönen Fal in die Sonne selbst beschliesset. -- Die Liebe mus etwas
Körperliches haben wie einen Zweig, auf den sie herunterfliegt.20
Schicken Sie mir den Zweig, Ihre Silhouette. Meine wil ich Ihnen
auf meinem eignen Halse getragen bringen. -- Über die Weiber heg'
ich nicht blos eine sondern 2 recht vernünftige Meinungen, die ich aber,
weil sie sich widersprechen, in verschiednen Zeiten annehme -- bald
sez' ich litteras laureatas für sie auf, bald Klaglibelle. Sie haben andre25
Tugenden als wir und in der Liebe leihen wir ihnen unsre dazu: das ist
der Fehler. Ich glaube, [daß] jeder Man von Phantasie beinah jedes
Mädgen -- nur das dumme nicht -- heirathen könne ohne Schaden:
[140]das mänliche Feuer zerschmilzt diese schön gewundne Wachsmasse und
dan kan er daraus formen was er wil, sogar einen Engel. Der fremden30
Phantasie widersteht keine Frau; und ein Halbgot von Man kan, wenn
er nur reden kan, eine Halbgöttin erschaffen. Aber der Former mus
selbst geformt sein: die edelsten Menschen schieben oft ihr moralisches
Arondissement auf ihre Ehe auf; aber sie solten umgekehrt diese auf
jenes verschieben. Wenn der Man sich nicht ganz in Richtig[keit] ge-35
bracht: so zerstört er den zarten Werth der besten Gattin am ersten. --
Ich habe nicht mehr Zähne als Jahre und jezt heirathen die neuesten

220. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
[Kopie]

Ihr Brief brachte mir ein verjüngtes Roſenthal von Leipzig mit
20 Luſtgängen für die Phantaſie nach Hof. Nach einem ſolchen Brief
ſolte man ſich umwenden und den V[erfaſſer], der hinter dem Rücken5
ſteht und über die Achſel zuſieht, umarmen und recht von Herzen an das
Herz drücken können. Wir ſind alle in ſo alternierenden Stimmungen
beiſammen — der eine iſt heute warm, der andre morgen und der dritte
übermorgen gegen Abend und ſelten begegnen ſich die beſten Menſchen
gerade in gleicher Wärme und in gleicher Kälte — und das Uebel iſt ſo10
gros, daß ich oft das als ein gutes Mittel dagegen gehalten habe, wenn
die Leute kaum zu einander ſprächen ſondern nur ſchrieben und wenn
ſich eine Geſelſchaft guter Freunde an einen Tiſch zuſammenſezte und
ſo mit einander bei ſo ſchneller Poſt Briefe wechſelte von den äuſſerſten
Enden des Tiſches. Ihr Brief vol wärmenden Lichts und vol leuchtender15
Wärme beweiſet mir, daß Sie in der ellyptiſchen Kometenbahn der
langen menſchlichen Bildung das Aphelium ſchon zurükgelegt und nun
im Perihelium ſich ſanft erwärmen, das ſich bei dem Menſchen mit dem
ſchönen Fal in die Sonne ſelbſt beſchlieſſet. — Die Liebe mus etwas
Körperliches haben wie einen Zweig, auf den ſie herunterfliegt.20
Schicken Sie mir den Zweig, Ihre Silhouette. Meine wil ich Ihnen
auf meinem eignen Halſe getragen bringen. — Über die Weiber heg’
ich nicht blos eine ſondern 2 recht vernünftige Meinungen, die ich aber,
weil ſie ſich widerſprechen, in verſchiednen Zeiten annehme — bald
ſez’ ich litteras laureatas für ſie auf, bald Klaglibelle. Sie haben andre25
Tugenden als wir und in der Liebe leihen wir ihnen unſre dazu: das iſt
der Fehler. Ich glaube, [daß] jeder Man von Phantaſie beinah jedes
Mädgen — nur das dumme nicht — heirathen könne ohne Schaden:
[140]das mänliche Feuer zerſchmilzt dieſe ſchön gewundne Wachsmaſſe und
dan kan er daraus formen was er wil, ſogar einen Engel. Der fremden30
Phantaſie widerſteht keine Frau; und ein Halbgot von Man kan, wenn
er nur reden kan, eine Halbgöttin erſchaffen. Aber der Former mus
ſelbſt geformt ſein: die edelſten Menſchen ſchieben oft ihr moraliſches
Arondiſſement auf ihre Ehe auf; aber ſie ſolten umgekehrt dieſe auf
jenes verſchieben. Wenn der Man ſich nicht ganz in Richtig[keit] ge-35
bracht: ſo zerſtört er den zarten Werth der beſten Gattin am erſten. —
Ich habe nicht mehr Zähne als Jahre und jezt heirathen die neueſten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0153" n="142"/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>220. An <hi rendition="#g">Friedrich von Oertel in Leipzig.</hi></head><lb/>
        <note type="editorial">[Kopie]</note>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Hof, 9. Jan. 1796]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Ihr Brief brachte mir ein verjüngtes Ro&#x017F;enthal von Leipzig mit<lb/>
20 Lu&#x017F;tgängen für die Phanta&#x017F;ie nach Hof. Nach einem &#x017F;olchen Brief<lb/>
&#x017F;olte man &#x017F;ich umwenden und den V[erfa&#x017F;&#x017F;er], der hinter dem Rücken<lb n="5"/>
&#x017F;teht und über die Ach&#x017F;el zu&#x017F;ieht, umarmen und recht von Herzen an das<lb/>
Herz drücken können. Wir &#x017F;ind alle in &#x017F;o alternierenden Stimmungen<lb/>
bei&#x017F;ammen &#x2014; der eine i&#x017F;t heute warm, der andre morgen und der dritte<lb/>
übermorgen gegen Abend und &#x017F;elten begegnen &#x017F;ich die be&#x017F;ten Men&#x017F;chen<lb/>
gerade in gleicher Wärme und in gleicher Kälte &#x2014; und das Uebel i&#x017F;t &#x017F;o<lb n="10"/>
gros, daß ich oft das als ein gutes Mittel dagegen gehalten habe, wenn<lb/>
die Leute kaum zu einander &#x017F;prächen &#x017F;ondern nur &#x017F;chrieben und wenn<lb/>
&#x017F;ich eine Ge&#x017F;el&#x017F;chaft guter Freunde an einen Ti&#x017F;ch zu&#x017F;ammen&#x017F;ezte und<lb/>
&#x017F;o mit einander bei &#x017F;o &#x017F;chneller Po&#x017F;t Briefe wech&#x017F;elte von den äu&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ten<lb/>
Enden des Ti&#x017F;ches. Ihr Brief vol wärmenden Lichts und vol leuchtender<lb n="15"/>
Wärme bewei&#x017F;et mir, daß Sie in der ellypti&#x017F;chen Kometenbahn der<lb/>
langen men&#x017F;chlichen Bildung das Aphelium &#x017F;chon zurükgelegt und nun<lb/>
im Perihelium &#x017F;ich &#x017F;anft erwärmen, das &#x017F;ich bei dem Men&#x017F;chen mit dem<lb/>
&#x017F;chönen Fal in die Sonne &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;et. &#x2014; Die Liebe mus etwas<lb/>
Körperliches haben wie einen Zweig, auf den &#x017F;ie herunterfliegt.<lb n="20"/>
Schicken Sie mir den Zweig, Ihre Silhouette. Meine wil ich Ihnen<lb/>
auf meinem eignen Hal&#x017F;e getragen bringen. &#x2014; Über die Weiber heg&#x2019;<lb/>
ich nicht blos eine &#x017F;ondern 2 recht vernünftige Meinungen, die ich aber,<lb/>
weil &#x017F;ie &#x017F;ich wider&#x017F;prechen, in ver&#x017F;chiednen Zeiten annehme &#x2014; bald<lb/>
&#x017F;ez&#x2019; ich <hi rendition="#aq">litteras laureatas</hi> für &#x017F;ie auf, bald Klaglibelle. Sie haben andre<lb n="25"/>
Tugenden als wir und in der Liebe leihen wir ihnen un&#x017F;re dazu: das i&#x017F;t<lb/>
der Fehler. Ich glaube, [daß] jeder Man von Phanta&#x017F;ie beinah jedes<lb/>
Mädgen &#x2014; nur das dumme nicht &#x2014; heirathen könne ohne Schaden:<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd2_140">[140]</ref></note>das mänliche Feuer zer&#x017F;chmilzt die&#x017F;e &#x017F;chön gewundne Wachsma&#x017F;&#x017F;e und<lb/>
dan kan er daraus formen was er wil, &#x017F;ogar einen Engel. Der fremden<lb n="30"/>
Phanta&#x017F;ie wider&#x017F;teht keine Frau; und ein Halbgot von Man kan, wenn<lb/>
er nur reden kan, eine Halbgöttin er&#x017F;chaffen. Aber der Former mus<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t geformt &#x017F;ein: die edel&#x017F;ten Men&#x017F;chen &#x017F;chieben oft ihr morali&#x017F;ches<lb/>
Arondi&#x017F;&#x017F;ement auf ihre Ehe auf; aber &#x017F;ie &#x017F;olten umgekehrt die&#x017F;e auf<lb/>
jenes ver&#x017F;chieben. Wenn der Man &#x017F;ich nicht ganz in Richtig[keit] ge-<lb n="35"/>
bracht: &#x017F;o zer&#x017F;tört er den zarten Werth der be&#x017F;ten Gattin am er&#x017F;ten. &#x2014;<lb/>
Ich habe nicht mehr Zähne als Jahre und jezt heirathen die neue&#x017F;ten<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0153] 220. An Friedrich von Oertel in Leipzig. [Hof, 9. Jan. 1796] Ihr Brief brachte mir ein verjüngtes Roſenthal von Leipzig mit 20 Luſtgängen für die Phantaſie nach Hof. Nach einem ſolchen Brief ſolte man ſich umwenden und den V[erfaſſer], der hinter dem Rücken 5 ſteht und über die Achſel zuſieht, umarmen und recht von Herzen an das Herz drücken können. Wir ſind alle in ſo alternierenden Stimmungen beiſammen — der eine iſt heute warm, der andre morgen und der dritte übermorgen gegen Abend und ſelten begegnen ſich die beſten Menſchen gerade in gleicher Wärme und in gleicher Kälte — und das Uebel iſt ſo 10 gros, daß ich oft das als ein gutes Mittel dagegen gehalten habe, wenn die Leute kaum zu einander ſprächen ſondern nur ſchrieben und wenn ſich eine Geſelſchaft guter Freunde an einen Tiſch zuſammenſezte und ſo mit einander bei ſo ſchneller Poſt Briefe wechſelte von den äuſſerſten Enden des Tiſches. Ihr Brief vol wärmenden Lichts und vol leuchtender 15 Wärme beweiſet mir, daß Sie in der ellyptiſchen Kometenbahn der langen menſchlichen Bildung das Aphelium ſchon zurükgelegt und nun im Perihelium ſich ſanft erwärmen, das ſich bei dem Menſchen mit dem ſchönen Fal in die Sonne ſelbſt beſchlieſſet. — Die Liebe mus etwas Körperliches haben wie einen Zweig, auf den ſie herunterfliegt. 20 Schicken Sie mir den Zweig, Ihre Silhouette. Meine wil ich Ihnen auf meinem eignen Halſe getragen bringen. — Über die Weiber heg’ ich nicht blos eine ſondern 2 recht vernünftige Meinungen, die ich aber, weil ſie ſich widerſprechen, in verſchiednen Zeiten annehme — bald ſez’ ich litteras laureatas für ſie auf, bald Klaglibelle. Sie haben andre 25 Tugenden als wir und in der Liebe leihen wir ihnen unſre dazu: das iſt der Fehler. Ich glaube, [daß] jeder Man von Phantaſie beinah jedes Mädgen — nur das dumme nicht — heirathen könne ohne Schaden: das mänliche Feuer zerſchmilzt dieſe ſchön gewundne Wachsmaſſe und dan kan er daraus formen was er wil, ſogar einen Engel. Der fremden 30 Phantaſie widerſteht keine Frau; und ein Halbgot von Man kan, wenn er nur reden kan, eine Halbgöttin erſchaffen. Aber der Former mus ſelbſt geformt ſein: die edelſten Menſchen ſchieben oft ihr moraliſches Arondiſſement auf ihre Ehe auf; aber ſie ſolten umgekehrt dieſe auf jenes verſchieben. Wenn der Man ſich nicht ganz in Richtig[keit] ge- 35 bracht: ſo zerſtört er den zarten Werth der beſten Gattin am erſten. — Ich habe nicht mehr Zähne als Jahre und jezt heirathen die neueſten [140]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/153
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/153>, abgerufen am 22.11.2024.