Sehnsucht gehabt, um an deine Brust zu schlagen und zu sagen: "du "spielendes volatilisches Herz? sind denn alle alle Höfer Bilder aus dir "entflohen? Hast du nicht mehr soviel treues Blut, um es in die "Schreibfinger zu giessen, damit der ehrliche passende Krauskopf auch "etwas Papiernes habhaft werde?" Hast du bisher nicht ein einziges-5 mal gedacht: nein und wenn ich zürnte, ich könte nicht länger schweigen als bisher, da ich nicht zürnte? -- die briefliche Trägheitskraft -- Ruhe sanft am grossen mit Blumen volgehangnen Frühling und kein Juniusgewitter wecke dich daran auf.
119. An Goethe.10
Hof im Voigtland d. 4 Jun. 1795.
Die Alten durften den Göttern eben so oft Opferthiere bringen, denen sie ungewogen waren, als solche, die sie liebten. Ich bin noch so glüklich, daß ich zweifelhaft bin, wohin Sie den "Hesperus", den ich Ihnen hier mit einem warmen aber scheuen Herzen bringe, ordnen15 werden. Ich weis wol, daß ich, so wie Unwissende in der Astronomie oft den Abendstern mit einem Kometen verwechseln, in eine entgegen- gesezte Verwechslung falle -- und daß es ästhetische Geseze giebt, die bisher nur von Einem, vom Gesezgeber selber gehalten wurden gleichsam zur stelvertretenden Genugthuung für die übrigen20 Autoren -- --
Ach! ich wuste das alles auch vor einem Jahre und schikte Ihnen doch die "Mumien!" -- --
Mit ewiger Hochachtung, Verehrung und Liebe bleib' ich der
Ihrige25 J. P. Friederich Richter.
120. An Hofrat Schütz in Jena.
[Kopie][Hof, 3. Juni 1795]
Eine Rezension der Rezension würde weniger Tadel dieses Urtheils enthalten als das Urtheil selbst. Ich theile meinen Dank dafür30 zwischen dem edlen Richter, über den des Aristoteles h. Geist aus- gegossen sei, und zwischen dem, der ihn dazu ernante -- um so mehr, da oft eine Wahl eines Kunstrichters nichts ist als ein kürzeres Kunst- urtheil selbst. Das gute Schiksal verwand[elte] meine Bitte in meinen [85]Dank. Ich komme dieser Verwandlung zuvor und bringe die Bitte35
Sehnſucht gehabt, um an deine Bruſt zu ſchlagen und zu ſagen: „du „ſpielendes volatiliſches Herz? ſind denn alle alle Höfer Bilder aus dir „entflohen? Haſt du nicht mehr ſoviel treues Blut, um es in die „Schreibfinger zu gieſſen, damit der ehrliche paſſende Krauskopf auch „etwas Papiernes habhaft werde?“ Haſt du bisher nicht ein einziges-5 mal gedacht: nein und wenn ich zürnte, ich könte nicht länger ſchweigen als bisher, da ich nicht zürnte? — die briefliche Trägheitskraft — Ruhe ſanft am groſſen mit Blumen volgehangnen Frühling und kein Juniusgewitter wecke dich daran auf.
119. An Goethe.10
Hof im Voigtland d. 4 Jun. 1795.
Die Alten durften den Göttern eben ſo oft Opferthiere bringen, denen ſie ungewogen waren, als ſolche, die ſie liebten. Ich bin noch ſo glüklich, daß ich zweifelhaft bin, wohin Sie den „Heſperus“, den ich Ihnen hier mit einem warmen aber ſcheuen Herzen bringe, ordnen15 werden. Ich weis wol, daß ich, ſo wie Unwiſſende in der Aſtronomie oft den Abendſtern mit einem Kometen verwechſeln, in eine entgegen- geſezte Verwechslung falle — und daß es äſthetiſche Geſeze giebt, die bisher nur von Einem, vom Geſezgeber ſelber gehalten wurden gleichſam zur ſtelvertretenden Genugthuung für die übrigen20 Autoren — —
Ach! ich wuſte das alles auch vor einem Jahre und ſchikte Ihnen doch die „Mumien!“ — —
Mit ewiger Hochachtung, Verehrung und Liebe bleib’ ich der
Ihrige25 J. P. Friederich Richter.
120. An Hofrat Schütz in Jena.
[Kopie][Hof, 3. Juni 1795]
Eine Rezenſion der Rezenſion würde weniger Tadel dieſes Urtheils enthalten als das Urtheil ſelbſt. Ich theile meinen Dank dafür30 zwiſchen dem edlen Richter, über den des Ariſtoteles h. Geiſt aus- gegoſſen ſei, und zwiſchen dem, der ihn dazu ernante — um ſo mehr, da oft eine Wahl eines Kunſtrichters nichts iſt als ein kürzeres Kunſt- urtheil ſelbſt. Das gute Schikſal verwand[elte] meine Bitte in meinen [85]Dank. Ich komme dieſer Verwandlung zuvor und bringe die Bitte35
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„entflohen? Haſt du nicht mehr ſoviel treues Blut, um es in die
„Schreibfinger zu gieſſen, damit der ehrliche paſſende Krauskopf auch
„etwas Papiernes habhaft werde?“ Haſt du bisher nicht ein einziges- 5
mal gedacht: nein und wenn ich zürnte, ich könte nicht länger ſchweigen
als bisher, da ich nicht zürnte? — die briefliche Trägheitskraft —
Ruhe ſanft am groſſen mit Blumen volgehangnen Frühling und kein
Juniusgewitter wecke dich daran auf.
119. An Goethe. 10
Hof im Voigtland d. 4 Jun. 1795.
Die Alten durften den Göttern eben ſo oft Opferthiere bringen,
denen ſie ungewogen waren, als ſolche, die ſie liebten. Ich bin noch ſo
glüklich, daß ich zweifelhaft bin, wohin Sie den „Heſperus“, den ich
Ihnen hier mit einem warmen aber ſcheuen Herzen bringe, ordnen 15
werden. Ich weis wol, daß ich, ſo wie Unwiſſende in der Aſtronomie oft
den Abendſtern mit einem Kometen verwechſeln, in eine entgegen-
geſezte Verwechslung falle — und daß es äſthetiſche Geſeze giebt, die
bisher nur von Einem, vom Geſezgeber ſelber gehalten wurden
gleichſam zur ſtelvertretenden Genugthuung für die übrigen 20
Autoren — —
Ach! ich wuſte das alles auch vor einem Jahre und ſchikte Ihnen
doch die „Mumien!“ — —
Mit ewiger Hochachtung, Verehrung und Liebe bleib’ ich der
Ihrige 25
J. P. Friederich Richter.
120. An Hofrat Schütz in Jena.
[Hof, 3. Juni 1795]
Eine Rezenſion der Rezenſion würde weniger Tadel dieſes Urtheils
enthalten als das Urtheil ſelbſt. Ich theile meinen Dank dafür 30
zwiſchen dem edlen Richter, über den des Ariſtoteles h. Geiſt aus-
gegoſſen ſei, und zwiſchen dem, der ihn dazu ernante — um ſo mehr,
da oft eine Wahl eines Kunſtrichters nichts iſt als ein kürzeres Kunſt-
urtheil ſelbſt. Das gute Schikſal verwand[elte] meine Bitte in meinen
Dank. Ich komme dieſer Verwandlung zuvor und bringe die Bitte 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/100>, abgerufen am 16.02.2025.
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