veranlast, mich zu beleidigen, um Sie an mir zu rächen, der ich nur[75] 9 rtl. für mein Logis bezale. Allein weder die Verdammung noch die Rechtfertigung meines gestrigen Betragens gehört in diesen Brief; sondern nur das Versprechen meines abgeänderten. Ich geh' künftig im Garten spazieren, weil ich eben darum die Stad verlies, um das5 Land zu geniessen. Auch Sie selbst, wie Sie gestern sagten, wollen mir dieses Vergnügen nicht verweren; nur sol ich Ihnen nicht in den Weg kommen -- dies wil ich tun; nur sol ich Ihnen ausweichen; dies nicht zu tun wäre eine Unhöflichkeit, deren man nicht einmal gegen einen Unbekanten auf der Gasse fähig ist, und die man nur aus verzeihlicher10 Unachtsamkeit begehen kan. Ich werde mich ferner Ihrer Wonung [nicht] mer so nähern als gestern, und da ich weiter fast blos am Abend und am Morgen den Garten besuche, so werden Sie selten ein Zeuge der Kleidung sein, die mich Bequemlichkeit, Gesundheit und Armut tragen heissen. Den Hals wil ich unterm Spaz[ierengehen]15 bedekken; ungeachtet vielleicht nicht blos Mode sondern auch Vernunft die Entblössung des Busens so ser wie die Entblössung des Gesichts rechtfertigen könte, ungeachtet selbst der keusche Teil des andern Geschlechts den seinigen entblöst, der durch merere Reizegefärlich ist. -- Merere Studenten werden Sie nie im Garten sehen; denn ich habe20 wenig Freunde und eigentlich nur einen, der bessere Gärten als den körnerschen und nicht den Aufenthalt sondern nur mich besucht. Soviel hätt' ich gehalten, one es versprochen zu haben.
Eh' ich diesem Briefe und Ihrer Langweile ein Ende mache, so bitte ich Sie folgendes: Sie verachten meinen geringen Namen, aber merken25 Sie ihn auch; denn Sie werden das leztere nicht lange getan haben, one das erstere mer zu tun. Ich scheine unverständlich, um nicht un- bescheiden zu scheinen. Vergeben Sie diesen Brief. -- Dies alles würd' ich schon gestern getan haben, hätt' ich Sie mit der Unterlassung desselben zu beleidigen gemutmasset. Vergeben Sie nicht nur eine un-30 vorsezliche Beleidigung, sondern auch eine freie Entschuldigung derselben.
42. An Buchhändler Voß in Leipzig.
[Konzept][Leipzig, 24. Mai 1783]
Sie werden einen Brief von mir iezt, wo mündliche Unterredungen35 seine Stelle vertreten zu können scheinen, warscheinlich nicht erwarten;[76]
veranlaſt, mich zu beleidigen, um Sie an mir zu rächen, der ich nur[75] 9 rtl. für mein Logis bezale. Allein weder die Verdammung noch die Rechtfertigung meines geſtrigen Betragens gehört in dieſen Brief; ſondern nur das Verſprechen meines abgeänderten. Ich geh’ künftig im Garten ſpazieren, weil ich eben darum die Stad verlies, um das5 Land zu genieſſen. Auch Sie ſelbſt, wie Sie geſtern ſagten, wollen mir dieſes Vergnügen nicht verweren; nur ſol ich Ihnen nicht in den Weg kommen — dies wil ich tun; nur ſol ich Ihnen ausweichen; dies nicht zu tun wäre eine Unhöflichkeit, deren man nicht einmal gegen einen Unbekanten auf der Gaſſe fähig iſt, und die man nur aus verzeihlicher10 Unachtſamkeit begehen kan. Ich werde mich ferner Ihrer Wonung [nicht] mer ſo nähern als geſtern, und da ich weiter faſt blos am Abend und am Morgen den Garten beſuche, ſo werden Sie ſelten ein Zeuge der Kleidung ſein, die mich Bequemlichkeit, Geſundheit und Armut tragen heiſſen. Den Hals wil ich unterm Spaz[ierengehen]15 bedekken; ungeachtet vielleicht nicht blos Mode ſondern auch Vernunft die Entblöſſung des Buſens ſo ſer wie die Entblöſſung des Geſichts rechtfertigen könte, ungeachtet ſelbſt der keuſche Teil des andern Geſchlechts den ſeinigen entblöſt, der durch merere Reizegefärlich iſt. — Merere Studenten werden Sie nie im Garten ſehen; denn ich habe20 wenig Freunde und eigentlich nur einen, der beſſere Gärten als den körnerſchen und nicht den Aufenthalt ſondern nur mich beſucht. Soviel hätt’ ich gehalten, one es verſprochen zu haben.
Eh’ ich dieſem Briefe und Ihrer Langweile ein Ende mache, ſo bitte ich Sie folgendes: Sie verachten meinen geringen Namen, aber merken25 Sie ihn auch; denn Sie werden das leztere nicht lange getan haben, one das erſtere mer zu tun. Ich ſcheine unverſtändlich, um nicht un- beſcheiden zu ſcheinen. Vergeben Sie dieſen Brief. — Dies alles würd’ ich ſchon geſtern getan haben, hätt’ ich Sie mit der Unterlaſſung deſſelben zu beleidigen gemutmaſſet. Vergeben Sie nicht nur eine un-30 vorſezliche Beleidigung, ſondern auch eine freie Entſchuldigung derſelben.
42. An Buchhändler Voß in Leipzig.
[Konzept][Leipzig, 24. Mai 1783]
Sie werden einen Brief von mir iezt, wo mündliche Unterredungen35 ſeine Stelle vertreten zu können ſcheinen, warſcheinlich nicht erwarten;[76]
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Rechtfertigung meines geſtrigen Betragens gehört in dieſen Brief;
ſondern nur das Verſprechen meines abgeänderten. Ich geh’ künftig
im Garten ſpazieren, weil ich eben darum die Stad verlies, um das 5
Land zu genieſſen. Auch Sie ſelbſt, wie Sie geſtern ſagten, wollen mir
dieſes Vergnügen nicht verweren; nur ſol ich Ihnen nicht in den Weg
kommen — dies wil ich tun; nur ſol ich Ihnen ausweichen; dies nicht zu
tun wäre eine Unhöflichkeit, deren man nicht einmal gegen einen
Unbekanten auf der Gaſſe fähig iſt, und die man nur aus verzeihlicher 10
Unachtſamkeit begehen kan. Ich werde mich ferner Ihrer Wonung
[nicht] mer ſo nähern als geſtern, und da ich weiter faſt blos am
Abend und am Morgen den Garten beſuche, ſo werden Sie ſelten ein
Zeuge der Kleidung ſein, die mich Bequemlichkeit, Geſundheit und
Armut tragen heiſſen. Den Hals wil ich unterm Spaz[ierengehen] 15
bedekken; ungeachtet vielleicht nicht blos Mode ſondern auch Vernunft
die Entblöſſung des Buſens ſo ſer wie die Entblöſſung des Geſichts
rechtfertigen könte, ungeachtet ſelbſt der keuſche Teil des andern
Geſchlechts den ſeinigen entblöſt, der durch merere Reizegefärlich iſt. —
Merere Studenten werden Sie nie im Garten ſehen; denn ich habe 20
wenig Freunde und eigentlich nur einen, der beſſere Gärten als den
körnerſchen und nicht den Aufenthalt ſondern nur mich beſucht. Soviel
hätt’ ich gehalten, one es verſprochen zu haben.
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Eh’ ich dieſem Briefe und Ihrer Langweile ein Ende mache, ſo bitte
ich Sie folgendes: Sie verachten meinen geringen Namen, aber merken 25
Sie ihn auch; denn Sie werden das leztere nicht lange getan haben,
one das erſtere mer zu tun. Ich ſcheine unverſtändlich, um nicht un-
beſcheiden zu ſcheinen. Vergeben Sie dieſen Brief. — Dies alles würd’
ich ſchon geſtern getan haben, hätt’ ich Sie mit der Unterlaſſung
deſſelben zu beleidigen gemutmaſſet. Vergeben Sie nicht nur eine un- 30
vorſezliche Beleidigung, ſondern auch eine freie Entſchuldigung
derſelben.
42. An Buchhändler Voß in Leipzig.
[Leipzig, 24. Mai 1783]
Sie werden einen Brief von mir iezt, wo mündliche Unterredungen 35
ſeine Stelle vertreten zu können ſcheinen, warſcheinlich nicht erwarten;
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/92>, abgerufen am 23.11.2024.
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