Es ist sonderbar, daß ich mich im vorigen Jare eben desselben Stil- schweigens, um eben diese Zeit, in eben den Umständen und wegen eben der Ursachen schuldig gemacht. Erlauben Sie mir daher die Wieder- holung einer Entschuldigung, von der ich mir die Wiederholung Ihrer Verzeihung verspreche. -- Ich verlies Hof im vorigen Jare von der5 Hofnung, es in Leipzig zu vergessen, und von den schönen bunten Träumen begleitet, mit denen die leichtgläubige Phantasie die ferne Zukunft so gerne zu verschönern pflegt. "Niemand, dacht' ich, ist "glüklicher wie du. Dein Lob der Dumheit trägt dir 100 rtl. ein. Davon "lebst du einen Sommer, obwol dein Buch kaum so lang leben wird.10 "Aber dafür schreibst du auch ein andres auf die künftige Messe, mit "dem mer Geld und weniger Tadel gewonnen werden sol. H. Professor "Seidliz wird dir deinen satirischen Abortus schon verhandelt haben, "und dir bei dem ersten Besuche den Schreiberlon einhändigen." Allein H. Prof. Seidliz hatte den satirischen Abortus nicht verhandelt,15 und konte mir also auch, wie natürlich, nicht beim ersten Besuche den Schreiberlon einhändigen; doch hatte er die Güte, das Buch seinem Pulte so lange zu gönnen, bis die Zeit, in der es auf die Michaelis Messe hätte gedrukt werden können, halb verflossen war. Nun hatt' ich das Buch, aber keinen Verleger. Ich durchlas es zur Stillung20 meines Unmuts noch einmal, und nun dankte ich Got, daß ich keinen Verleger hatte. "Da lieg' im Winkel, sprach' ich mit patetischer Mine "zum kleinen Richter, wo die Schulexerzizien liegen; denn du bist "selbst ein halbes. Ich wil dich vergessen: denn die Welt würde dich "onehin vergessen haben. Du bist zu iung, um alt zu werden, und die25 "Milchhärgen deines Kins lassen mich nicht hoffen, ie an deinem [60]"Kopfe graue Hare zu erleben." Aus diesem zornigen Entusiasmus erwekte mich meine rechte Hand, die von ungefär in die Hosentasche zum leren Geldbeutel gekommen war. Zu der Hand schlug sich noch mein Magen, der durch sein murmelndes Veto der ganzen Ent-30 schliessung eine andre Wendung gab. Kurz ich unternam nach einer vergeblichen Arbeit eine mühsame, und schuf in sechs Monaten, nicht in sechs Tagen, einen nagelneuen Satir, so wie Sie ihn hier beigelegt finden. -- Vielleicht glauben Sie, ich habe noch nichts zu meiner Entschuldigung gesagt; allein ich glaube, daß ich schon alles gesagt35 habe. Denn denken Sie sich die Ängstlichkeit, mit der man nach einem Gute strebt, dessen Mangel die Zukunft mit noch grössern Schrekken
Es iſt ſonderbar, daß ich mich im vorigen Jare eben deſſelben Stil- ſchweigens, um eben dieſe Zeit, in eben den Umſtänden und wegen eben der Urſachen ſchuldig gemacht. Erlauben Sie mir daher die Wieder- holung einer Entſchuldigung, von der ich mir die Wiederholung Ihrer Verzeihung verſpreche. — Ich verlies Hof im vorigen Jare von der5 Hofnung, es in Leipzig zu vergeſſen, und von den ſchönen bunten Träumen begleitet, mit denen die leichtgläubige Phantaſie die ferne Zukunft ſo gerne zu verſchönern pflegt. „Niemand, dacht’ ich, iſt „glüklicher wie du. Dein Lob der Dumheit trägt dir 100 rtl. ein. Davon „lebſt du einen Sommer, obwol dein Buch kaum ſo lang leben wird.10 „Aber dafür ſchreibſt du auch ein andres auf die künftige Meſſe, mit „dem mer Geld und weniger Tadel gewonnen werden ſol. H. Profeſſor „Seidliz wird dir deinen ſatiriſchen Abortus ſchon verhandelt haben, „und dir bei dem erſten Beſuche den Schreiberlon einhändigen.“ Allein H. Prof. Seidliz hatte den ſatiriſchen Abortus nicht verhandelt,15 und konte mir alſo auch, wie natürlich, nicht beim erſten Beſuche den Schreiberlon einhändigen; doch hatte er die Güte, das Buch ſeinem Pulte ſo lange zu gönnen, bis die Zeit, in der es auf die Michaelis Meſſe hätte gedrukt werden können, halb verfloſſen war. Nun hatt’ ich das Buch, aber keinen Verleger. Ich durchlas es zur Stillung20 meines Unmuts noch einmal, und nun dankte ich Got, daß ich keinen Verleger hatte. „Da lieg’ im Winkel, ſprach’ ich mit patetiſcher Mine „zum kleinen Richter, wo die Schulexerzizien liegen; denn du biſt „ſelbſt ein halbes. Ich wil dich vergeſſen: denn die Welt würde dich „onehin vergeſſen haben. Du biſt zu iung, um alt zu werden, und die25 „Milchhärgen deines Kins laſſen mich nicht hoffen, ie an deinem [60]„Kopfe graue Hare zu erleben.“ Aus dieſem zornigen Entuſiaſmus erwekte mich meine rechte Hand, die von ungefär in die Hoſentaſche zum leren Geldbeutel gekommen war. Zu der Hand ſchlug ſich noch mein Magen, der durch ſein murmelndes Veto der ganzen Ent-30 ſchlieſſung eine andre Wendung gab. Kurz ich unternam nach einer vergeblichen Arbeit eine mühſame, und ſchuf in ſechs Monaten, nicht in ſechs Tagen, einen nagelneuen Satir, ſo wie Sie ihn hier beigelegt finden. — Vielleicht glauben Sie, ich habe noch nichts zu meiner Entſchuldigung geſagt; allein ich glaube, daß ich ſchon alles geſagt35 habe. Denn denken Sie ſich die Ängſtlichkeit, mit der man nach einem Gute ſtrebt, deſſen Mangel die Zukunft mit noch gröſſern Schrekken
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Es iſt ſonderbar, daß ich mich im vorigen Jare eben deſſelben Stil-
ſchweigens, um eben dieſe Zeit, in eben den Umſtänden und wegen eben
der Urſachen ſchuldig gemacht. Erlauben Sie mir daher die Wieder-
holung einer Entſchuldigung, von der ich mir die Wiederholung Ihrer
Verzeihung verſpreche. — Ich verlies Hof im vorigen Jare von der 5
Hofnung, es in Leipzig zu vergeſſen, und von den ſchönen bunten
Träumen begleitet, mit denen die leichtgläubige Phantaſie die ferne
Zukunft ſo gerne zu verſchönern pflegt. „Niemand, dacht’ ich, iſt
„glüklicher wie du. Dein Lob der Dumheit trägt dir 100 rtl. ein. Davon
„lebſt du einen Sommer, obwol dein Buch kaum ſo lang leben wird. 10
„Aber dafür ſchreibſt du auch ein andres auf die künftige Meſſe, mit
„dem mer Geld und weniger Tadel gewonnen werden ſol. H. Profeſſor
„Seidliz wird dir deinen ſatiriſchen Abortus ſchon verhandelt haben,
„und dir bei dem erſten Beſuche den Schreiberlon einhändigen.“
Allein H. Prof. Seidliz hatte den ſatiriſchen Abortus nicht verhandelt, 15
und konte mir alſo auch, wie natürlich, nicht beim erſten Beſuche den
Schreiberlon einhändigen; doch hatte er die Güte, das Buch ſeinem
Pulte ſo lange zu gönnen, bis die Zeit, in der es auf die Michaelis
Meſſe hätte gedrukt werden können, halb verfloſſen war. Nun hatt’
ich das Buch, aber keinen Verleger. Ich durchlas es zur Stillung 20
meines Unmuts noch einmal, und nun dankte ich Got, daß ich keinen
Verleger hatte. „Da lieg’ im Winkel, ſprach’ ich mit patetiſcher Mine
„zum kleinen Richter, wo die Schulexerzizien liegen; denn du biſt
„ſelbſt ein halbes. Ich wil dich vergeſſen: denn die Welt würde dich
„onehin vergeſſen haben. Du biſt zu iung, um alt zu werden, und die 25
„Milchhärgen deines Kins laſſen mich nicht hoffen, ie an deinem
„Kopfe graue Hare zu erleben.“ Aus dieſem zornigen Entuſiaſmus
erwekte mich meine rechte Hand, die von ungefär in die Hoſentaſche
zum leren Geldbeutel gekommen war. Zu der Hand ſchlug ſich noch
mein Magen, der durch ſein murmelndes Veto der ganzen Ent- 30
ſchlieſſung eine andre Wendung gab. Kurz ich unternam nach einer
vergeblichen Arbeit eine mühſame, und ſchuf in ſechs Monaten, nicht
in ſechs Tagen, einen nagelneuen Satir, ſo wie Sie ihn hier beigelegt
finden. — Vielleicht glauben Sie, ich habe noch nichts zu meiner
Entſchuldigung geſagt; allein ich glaube, daß ich ſchon alles geſagt 35
habe. Denn denken Sie ſich die Ängſtlichkeit, mit der man nach einem
Gute ſtrebt, deſſen Mangel die Zukunft mit noch gröſſern Schrekken
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/77>, abgerufen am 27.11.2024.
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