Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.Freiheiten misverstanden, die Sie sich sonst tausendmal nahmen, die Lieber Otto, es ist nichts mislicher als in solchen Fällen nur den 447. An Renate Wirth. Hof d. 1 Dec. 93 [Sonntag].20Meine liebe gute Renate! Wie gern schreib' ich diesen Namen und diese Anrede! -- Und doch Ich habe bisher nichts gethan als was Sie in Ihrem vorvorigen Freiheiten misverſtanden, die Sie ſich ſonſt tauſendmal nahmen, die Lieber Otto, es iſt nichts mislicher als in ſolchen Fällen nur den 447. An Renate Wirth. Hof d. 1 Dec. 93 [Sonntag].20Meine liebe gute Renate! Wie gern ſchreib’ ich dieſen Namen und dieſe Anrede! — Und doch Ich habe bisher nichts gethan als was Sie in Ihrem vorvorigen <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0434" n="406"/> Freiheiten misverſtanden, die Sie ſich ſonſt tauſendmal nahmen, die<lb/> jeder von uns ſich bei jeder nehmen kan und die jedem Freunde ſogar am<lb/> Traualtare verſtattet wäre — und daß Ihr Argwohn nicht weniger<lb/> als <hi rendition="#g">drei</hi> Perſonen auf einmal beleidigt und daß Sie meinen Ab-<lb/> ſichten und Ihren Verdienſten gleich ſehr Unrecht thun. — —<lb n="5"/> </p> <p>Lieber Otto, es iſt nichts mislicher als in ſolchen Fällen nur den<lb/> Anfangsbuchſtaben zu machen: gleichwol mach’ ich einen ganzen<lb/> Brief, weil es mir wehe thut, daß Sie, der Sie ſchon ſo oft mein<lb/> Vertheidiger waren, mich für Ihren Feind anſähen. Bei Gott, ich liebe<lb/> und verehre Sie — troz Ihrer kalten Entfernung und troz Ihrem von<lb n="10"/> mir zum Theil errathenen Argwohn — tauſendmal mehr als Sie<lb/> vorausſezen und ich bin froh, wenn <hi rendition="#g">ich</hi> nur niemand verkenne, ohne<lb/> mich zu ärgern, wenn <hi rendition="#g">andre</hi> — auf dieſem morſchen tollen Erden-<lb/> theater bei einer ſo blendenden falſchen Illuminazion — mich ver-<lb/> kennen. Sie ſind der erſten Ausnahme werth: daher verſichere ich Sie<lb n="15"/> noch einmal — bei meiner Ehre, bei meinem Gewiſſen und bei allem<lb/> was Sie und ich für heilig halten — daß Sie die edelſte uneigennüzigſte<lb/> Freundſchaft mit etwas eigennüzigerem verwechſeln.</p> </div><lb/> <div type="letter" n="1"> <head>447. An <hi rendition="#g">Renate Wirth.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Hof d. 1 Dec.</hi> 93 <metamark>[</metamark>Sonntag<metamark>]</metamark>.</hi> </dateline> <lb n="20"/> <opener> <salute> <hi rendition="#et">Meine liebe gute Renate!</hi> </salute> </opener><lb/> <p>Wie gern ſchreib’ ich dieſen Namen und dieſe Anrede! — Und doch<lb/> iſts leichter, Sie zu lieben als zu entſchuldigen — ich kan Sie ver-<lb/> klagen, und doch nicht vergeſſen. — Liebe Freundin, warum trauen Sie<lb/> mir eine Unbeſtändigkeit zu, — blos weil Sie mir das Beiſpiel davon<lb n="25"/> gaben?</p><lb/> <p>Ich habe bisher nichts gethan als was Sie in Ihrem vorvorigen<lb/> Briefe begehrten. Aber Sie hätten es nicht begehren ſollen — Sie<lb/> hätten alles mir überlaſſen ſollen — unſere Unſchuld hatte keine Maſke<lb/> und keine Trennung nöthig — o Sie waren nicht ſtark genug, da<lb n="30"/> Sie bei ſo einem kleinen Anlaſſe, bei einer ſo bald zerrinnenden Ge-<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd#_427">[427]</ref></note>witterwolke einer Freundſchaft entſagten, zu deren Verwechslung mit<lb/> etwas anderem ja die Entſagung am erſten berechtigte! — Sezen Sie<lb/> mich an Ihre Stelle: hätten Sie mir esvergeben, Sie irgend jemand blos<lb/> zu <hi rendition="#g">meinem</hi> Vortheil aufgeopfert zu haben? — Liebe! Sie waren zu —<lb n="35"/><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [406/0434]
Freiheiten misverſtanden, die Sie ſich ſonſt tauſendmal nahmen, die
jeder von uns ſich bei jeder nehmen kan und die jedem Freunde ſogar am
Traualtare verſtattet wäre — und daß Ihr Argwohn nicht weniger
als drei Perſonen auf einmal beleidigt und daß Sie meinen Ab-
ſichten und Ihren Verdienſten gleich ſehr Unrecht thun. — — 5
Lieber Otto, es iſt nichts mislicher als in ſolchen Fällen nur den
Anfangsbuchſtaben zu machen: gleichwol mach’ ich einen ganzen
Brief, weil es mir wehe thut, daß Sie, der Sie ſchon ſo oft mein
Vertheidiger waren, mich für Ihren Feind anſähen. Bei Gott, ich liebe
und verehre Sie — troz Ihrer kalten Entfernung und troz Ihrem von 10
mir zum Theil errathenen Argwohn — tauſendmal mehr als Sie
vorausſezen und ich bin froh, wenn ich nur niemand verkenne, ohne
mich zu ärgern, wenn andre — auf dieſem morſchen tollen Erden-
theater bei einer ſo blendenden falſchen Illuminazion — mich ver-
kennen. Sie ſind der erſten Ausnahme werth: daher verſichere ich Sie 15
noch einmal — bei meiner Ehre, bei meinem Gewiſſen und bei allem
was Sie und ich für heilig halten — daß Sie die edelſte uneigennüzigſte
Freundſchaft mit etwas eigennüzigerem verwechſeln.
447. An Renate Wirth.
Hof d. 1 Dec. 93 [Sonntag]. 20
Meine liebe gute Renate!
Wie gern ſchreib’ ich dieſen Namen und dieſe Anrede! — Und doch
iſts leichter, Sie zu lieben als zu entſchuldigen — ich kan Sie ver-
klagen, und doch nicht vergeſſen. — Liebe Freundin, warum trauen Sie
mir eine Unbeſtändigkeit zu, — blos weil Sie mir das Beiſpiel davon 25
gaben?
Ich habe bisher nichts gethan als was Sie in Ihrem vorvorigen
Briefe begehrten. Aber Sie hätten es nicht begehren ſollen — Sie
hätten alles mir überlaſſen ſollen — unſere Unſchuld hatte keine Maſke
und keine Trennung nöthig — o Sie waren nicht ſtark genug, da 30
Sie bei ſo einem kleinen Anlaſſe, bei einer ſo bald zerrinnenden Ge-
witterwolke einer Freundſchaft entſagten, zu deren Verwechslung mit
etwas anderem ja die Entſagung am erſten berechtigte! — Sezen Sie
mich an Ihre Stelle: hätten Sie mir esvergeben, Sie irgend jemand blos
zu meinem Vortheil aufgeopfert zu haben? — Liebe! Sie waren zu — 35
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(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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