fernung, 3) wegen seiner Unzufriedenheit mit dem vornehmen Leben, weil Misanthropie leicht Mutter oder Schwester der Liebe ist, 4) wegen Flamin, der immer nach St. Lüne geht und nach und nach (auf hundert Wegen) sich mit dem angenehmen Sauerteig der beobachtenden Eifersucht ausschmükt; diese Eifersucht vermehrt im Bastian (närrischer5 Kauz!) gerade das, wogegen sie ist.
441. An Renate Wirth.
Bayreuth d. 3 Sept. 93. Dienstag früh um fünf Uhr.
Meine theuerste Freundin,
10
Es ist närrisch, daß ich gestern ankomme -- morgen abgehe -- und heute doch schreibe -- da ich wol eher nach Schwarzenbach komme als der Brief nach Hof. Mein und Ihr Schwestergen und der Bruder tranken in Gefrees neben einander Kaffee -- auf dem ganzen Wege bis an die Hauptwache liefen unsre Kutschen neben einander. Ein Zufal! --15 Da ich abends um 8 den Sohn des schwarzenbacher Pfarrers zum Stiftsamtman Völkel einlogiere: wohnt der gerade über dem Kopfe -- Ihrer F[rau] Tante. Zweiter Zufal! Der gute Himmel stekt mir wie es scheint alle Blumen in die Chausseen wo sonst keine gedeihen; mein Himmel nach dem Tode wird in einem steten Reisen durch den Himmel20 bestehen. --
Das Jämmerlichste ist bei allen dem daß meine Zunge und meine Feder sich herumbeissen, wer Ihnen erzählen sol: -- -- dasmal wird die Feder Herr.
Es giesset der Himmel jezt, und meine Feder sols auch so machen.25
Der ganze Tag steht vor mir hin mit lauter Visitten wie mit Trachten besezt -- Es ist nichts schöners als so (wie ichs mache) zur Thüre hineinfahren -- die Person zum erstenmal sehen -- ihr einen geliebten Brief hingeben -- in drei Minuten bekant werden -- in fünf Minuten lustig werden -- und in achten verliebt -- --30
Schütten Sie alle liebe Bayreutherinnen zu einem Kornhaufen zusammen -- die Bayreuther sind nur Kornwürmer --: so wil ich sie [421]leichter alle kommandieren als die Vorstädterinnen in Hof; denn sie schicken sich eher ins Tolle als Höfer, die eigentlich keine Städter, sondern nur Vorstädter, nur Altstädter sind.35
fernung, 3) wegen ſeiner Unzufriedenheit mit dem vornehmen Leben, weil Miſanthropie leicht Mutter oder Schweſter der Liebe iſt, 4) wegen Flamin, der immer nach St. Lüne geht und nach und nach (auf hundert Wegen) ſich mit dem angenehmen Sauerteig der beobachtenden Eiferſucht ausſchmükt; dieſe Eiferſucht vermehrt im Baſtian (närriſcher5 Kauz!) gerade das, wogegen ſie iſt.
441. An Renate Wirth.
Bayreuth d. 3 Sept. 93. Dienſtag früh um fünf Uhr.
Meine theuerſte Freundin,
10
Es iſt närriſch, daß ich geſtern ankomme — morgen abgehe — und heute doch ſchreibe — da ich wol eher nach Schwarzenbach komme als der Brief nach Hof. Mein und Ihr Schweſtergen und der Bruder tranken in Gefrees neben einander Kaffee — auf dem ganzen Wege bis an die Hauptwache liefen unſre Kutſchen neben einander. Ein Zufal! —15 Da ich abends um 8 den Sohn des ſchwarzenbacher Pfarrers zum Stiftsamtman Völkel einlogiere: wohnt der gerade über dem Kopfe — Ihrer F[rau] Tante. Zweiter Zufal! Der gute Himmel ſtekt mir wie es ſcheint alle Blumen in die Chausseen wo ſonſt keine gedeihen; mein Himmel nach dem Tode wird in einem ſteten Reiſen durch den Himmel20 beſtehen. —
Das Jämmerlichſte iſt bei allen dem daß meine Zunge und meine Feder ſich herumbeiſſen, wer Ihnen erzählen ſol: — — dasmal wird die Feder Herr.
Es gieſſet der Himmel jezt, und meine Feder ſols auch ſo machen.25
Der ganze Tag ſteht vor mir hin mit lauter Viſitten wie mit Trachten beſezt — Es iſt nichts ſchöners als ſo (wie ichs mache) zur Thüre hineinfahren — die Perſon zum erſtenmal ſehen — ihr einen geliebten Brief hingeben — in drei Minuten bekant werden — in fünf Minuten luſtig werden — und in achten verliebt — —30
Schütten Sie alle liebe Bayreutherinnen zu einem Kornhaufen zuſammen — die Bayreuther ſind nur Kornwürmer —: ſo wil ich ſie [421]leichter alle kommandieren als die Vorſtädterinnen in Hof; denn ſie ſchicken ſich eher ins Tolle als Höfer, die eigentlich keine Städter, ſondern nur Vorſtädter, nur Altſtädter ſind.35
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fernung, 3) wegen ſeiner Unzufriedenheit mit dem vornehmen Leben,
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Flamin, der immer nach St. Lüne geht und nach und nach (auf hundert
Wegen) ſich mit dem angenehmen Sauerteig der beobachtenden
Eiferſucht ausſchmükt; dieſe Eiferſucht vermehrt im Baſtian (närriſcher 5
Kauz!) gerade das, wogegen ſie iſt.
441. An Renate Wirth.
Bayreuth d. 3 Sept. 93.
Dienſtag früh um fünf Uhr.
Meine theuerſte Freundin, 10
Es iſt närriſch, daß ich geſtern ankomme — morgen abgehe — und
heute doch ſchreibe — da ich wol eher nach Schwarzenbach komme als
der Brief nach Hof. Mein und Ihr Schweſtergen und der Bruder
tranken in Gefrees neben einander Kaffee — auf dem ganzen Wege bis
an die Hauptwache liefen unſre Kutſchen neben einander. Ein Zufal! — 15
Da ich abends um 8 den Sohn des ſchwarzenbacher Pfarrers zum
Stiftsamtman Völkel einlogiere: wohnt der gerade über dem Kopfe —
Ihrer F[rau] Tante. Zweiter Zufal! Der gute Himmel ſtekt mir wie es
ſcheint alle Blumen in die Chausseen wo ſonſt keine gedeihen; mein
Himmel nach dem Tode wird in einem ſteten Reiſen durch den Himmel 20
beſtehen. —
Das Jämmerlichſte iſt bei allen dem daß meine Zunge und meine
Feder ſich herumbeiſſen, wer Ihnen erzählen ſol: — — dasmal wird
die Feder Herr.
Es gieſſet der Himmel jezt, und meine Feder ſols auch ſo machen. 25
Der ganze Tag ſteht vor mir hin mit lauter Viſitten wie mit
Trachten beſezt — Es iſt nichts ſchöners als ſo (wie ichs mache) zur
Thüre hineinfahren — die Perſon zum erſtenmal ſehen — ihr einen
geliebten Brief hingeben — in drei Minuten bekant werden — in
fünf Minuten luſtig werden — und in achten verliebt — — 30
Schütten Sie alle liebe Bayreutherinnen zu einem Kornhaufen
zuſammen — die Bayreuther ſind nur Kornwürmer —: ſo wil ich ſie
leichter alle kommandieren als die Vorſtädterinnen in Hof; denn ſie
ſchicken ſich eher ins Tolle als Höfer, die eigentlich keine Städter,
ſondern nur Vorſtädter, nur Altſtädter ſind. 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/428>, abgerufen am 25.07.2024.
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