[418]Korrekturen wil ich dir nicht ansinnen, weil ich weis, wie schwer sie einem im Fluge des Lesens werden. -- Länger kont' ich weder deinen Tadel noch deinen Beifal entbehren, um jenen als Lenkseil und diesen als Sporn bei den andern Theilen zu nüzen, weil ich sonst ermüde. -- Meine ganze gegenwärtige Seele ist mit allem Inneren, was mich5 glüklich und nicht glüklich macht, und was du nicht mit dem äusseren kleinen Bürgerleben und meinem äussern Schein vermengen darfst, diese ist so wie die Wirkungen der Tage, durch die ich gieng, in diese Blätter und in die künftigen hineingedrükt; ich fühle aber täglich mehr, wie jeder Bogen, den ich schreibe, mich fähiger macht, entweder10 glüklicher oder bekümmerter zu werden. Der Tod Moriz ist am meisten schuld, daß ich dir das Buch gebe, damit du mir wieder Lust zum Fort- sezen giebst -- zumal da mich eine Person im Buche beständig an ihn erinnert. -- Sei so gut und sage mir (fast ohne Gründe, um dir Mühe zu ersparen und weil ich sie schon selber finden wil) nur im Algemeinen15 Folgendes:
1. Ob die Geschichte als Geschichte ein Interesse hat (im 2ten Theil hat sie's) und wo es sich unterbricht.
2. d. 1 August[Donnerstag].20
Ich mache zuviel Hünergeschrei um mein Nest. Also kurz mein Petitum: sage mir deine Meinung über die Karaktere, von denen aber freilich im 1ten Heftlein noch kaum die ersten 5 Punkte gemacht sind -- über alles und mache zu meiner Queksilberröhre die Skala, die mir wenigstens den Siedpunkt und unten die Kugel angiebt (nämlich das25 Beste und Schlimste darin) -- Ich bitte dich sehr, es in 8 Tagen durch- zuhaben, da du zumal nichts anders jezt hast. Den Sontag bring ich dir die rükständige Hälfte des Manuskripts.
Wenn du hinausgelesen -- zumal das was im Januar und Februar geschrieben ist, wo mich Entschlus und Schiksal in einer steten Er-30 schütterung erhielt -- so wirst du mit einem, den seine innere Lage in immer grösseres Misverhältnis mit den meisten äussern bringt, und dessen Seelen Nerven jezt blos liegen, weil er sich die Haut davon wegschreibt, so wirst du mit einem solchen vielleicht eine gelindere Rechnung halten als er selber mit sich halten solte. Auch dieses wird35 [419]vorübergehen und wenn man sich weich schreiben kan, wird man sich auch wieder hart schreiben können. Lebe recht wol, mein lieber theuer-
[418]Korrekturen wil ich dir nicht anſinnen, weil ich weis, wie ſchwer ſie einem im Fluge des Leſens werden. — Länger kont’ ich weder deinen Tadel noch deinen Beifal entbehren, um jenen als Lenkſeil und dieſen als Sporn bei den andern Theilen zu nüzen, weil ich ſonſt ermüde. — Meine ganze gegenwärtige Seele iſt mit allem Inneren, was mich5 glüklich und nicht glüklich macht, und was du nicht mit dem äuſſeren kleinen Bürgerleben und meinem äuſſern Schein vermengen darfſt, dieſe iſt ſo wie die Wirkungen der Tage, durch die ich gieng, in dieſe Blätter und in die künftigen hineingedrükt; ich fühle aber täglich mehr, wie jeder Bogen, den ich ſchreibe, mich fähiger macht, entweder10 glüklicher oder bekümmerter zu werden. Der Tod Moriz iſt am meiſten ſchuld, daß ich dir das Buch gebe, damit du mir wieder Luſt zum Fort- ſezen giebſt — zumal da mich eine Perſon im Buche beſtändig an ihn erinnert. — Sei ſo gut und ſage mir (faſt ohne Gründe, um dir Mühe zu erſparen und weil ich ſie ſchon ſelber finden wil) nur im Algemeinen15 Folgendes:
1. Ob die Geſchichte als Geſchichte ein Intereſſe hat (im 2ten Theil hat ſie’s) und wo es ſich unterbricht.
2. d. 1 August[Donnerstag].20
Ich mache zuviel Hünergeſchrei um mein Neſt. Alſo kurz mein Petitum: ſage mir deine Meinung über die Karaktere, von denen aber freilich im 1ten Heftlein noch kaum die erſten 5 Punkte gemacht ſind — über alles und mache zu meiner Quekſilberröhre die Skala, die mir wenigſtens den Siedpunkt und unten die Kugel angiebt (nämlich das25 Beſte und Schlimſte darin) — Ich bitte dich ſehr, es in 8 Tagen durch- zuhaben, da du zumal nichts anders jezt haſt. Den Sontag bring ich dir die rükſtändige Hälfte des Manuſkripts.
Wenn du hinausgeleſen — zumal das was im Januar und Februar geſchrieben iſt, wo mich Entſchlus und Schikſal in einer ſteten Er-30 ſchütterung erhielt — ſo wirſt du mit einem, den ſeine innere Lage in immer gröſſeres Misverhältnis mit den meiſten äuſſern bringt, und deſſen Seelen Nerven jezt blos liegen, weil er ſich die Haut davon wegſchreibt, ſo wirſt du mit einem ſolchen vielleicht eine gelindere Rechnung halten als er ſelber mit ſich halten ſolte. Auch dieſes wird35 [419]vorübergehen und wenn man ſich weich ſchreiben kan, wird man ſich auch wieder hart ſchreiben können. Lebe recht wol, mein lieber theuer-
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als Sporn bei den andern Theilen zu nüzen, weil ich ſonſt ermüde. —
Meine ganze gegenwärtige Seele iſt mit allem Inneren, was mich 5
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kleinen Bürgerleben und meinem äuſſern Schein vermengen darfſt,
dieſe iſt ſo wie die Wirkungen der Tage, durch die ich gieng, in dieſe
Blätter und in die künftigen hineingedrükt; ich fühle aber täglich mehr,
wie jeder Bogen, den ich ſchreibe, mich fähiger macht, entweder 10
glüklicher oder bekümmerter zu werden. Der Tod Moriz iſt am meiſten
ſchuld, daß ich dir das Buch gebe, damit du mir wieder Luſt zum Fort-
ſezen giebſt — zumal da mich eine Perſon im Buche beſtändig an ihn
erinnert. — Sei ſo gut und ſage mir (faſt ohne Gründe, um dir Mühe
zu erſparen und weil ich ſie ſchon ſelber finden wil) nur im Algemeinen 15
Folgendes:
[418]
1. Ob die Geſchichte als Geſchichte ein Intereſſe hat (im 2ten Theil
hat ſie’s) und wo es ſich unterbricht.
2.
d. 1 August [Donnerstag]. 20
Ich mache zuviel Hünergeſchrei um mein Neſt. Alſo kurz mein
Petitum: ſage mir deine Meinung über die Karaktere, von denen aber
freilich im 1ten Heftlein noch kaum die erſten 5 Punkte gemacht ſind —
über alles und mache zu meiner Quekſilberröhre die Skala, die mir
wenigſtens den Siedpunkt und unten die Kugel angiebt (nämlich das 25
Beſte und Schlimſte darin) — Ich bitte dich ſehr, es in 8 Tagen durch-
zuhaben, da du zumal nichts anders jezt haſt. Den Sontag bring ich
dir die rükſtändige Hälfte des Manuſkripts.
Wenn du hinausgeleſen — zumal das was im Januar und Februar
geſchrieben iſt, wo mich Entſchlus und Schikſal in einer ſteten Er- 30
ſchütterung erhielt — ſo wirſt du mit einem, den ſeine innere Lage in
immer gröſſeres Misverhältnis mit den meiſten äuſſern bringt, und
deſſen Seelen Nerven jezt blos liegen, weil er ſich die Haut davon
wegſchreibt, ſo wirſt du mit einem ſolchen vielleicht eine gelindere
Rechnung halten als er ſelber mit ſich halten ſolte. Auch dieſes wird 35
vorübergehen und wenn man ſich weich ſchreiben kan, wird man ſich
auch wieder hart ſchreiben können. Lebe recht wol, mein lieber theuer-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/426>, abgerufen am 25.07.2024.
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