sie ummauern, mit den Blumenflächen, die auf ihnen zittern, mit den umhergeworfnen Wolken, die mit grossen Schatten von einem Berg zum andern fliehen, daß sag ich das ganze uns überströmende Konzert der grossen Erde doch nichts thut als längst begrabne Klagetöne, un- mögliche Wünsche, eine drückende Sehnsucht, die auf dieser Erde5 verhungert, und Erinnerungen, die so blas wie Hofnungen aus- sehen, aufzuwecken. Ach wenn sich doch jeder, der bei den magischen Gebirgen und bei der Sonne, die hinter ihnen niederrint, sehnend sagt: "o dort drüben, hinter den Bergen, hinter der Sonne wohnt ein schöneres Land, und glüklichere Tage und bessere Menschen!" wenn10 sich doch jeder antwortete: "hinter den Bergen und der Sonne steht [410]"auch ein Armer wie du und hat auch Wünsche wie du und wir sind "alle nicht glüklich!" -- Und doch, wenn mans sagt, hat man gar nichts, nicht einmal die Sehnsucht. --
-- -- Die Musik neben mir und mein Herumtaumeln in der Natur15 öfnen Ihnen mein ganzes Ich, auf Kosten Ihrer Geduld.
Leben Sie recht wol und recht unter dem freien Himmel und haben Sie Ihre Träume auch ausserhalb des Schlafs. -- Und du lieber Mond, der bei meiner Abreise im lezten Viertel war und bei meiner Ankunft wieder vol sein wird, hänge sanft an deinem Himmel -- dein20 sanftes Licht macht mich zu weich, dein stilles Niederschauen zieht mein Herz zu dir hinauf -- und es drükt sich an dich an -- und fühlt doch, daß der Mond so veränderlich ist und bleibt -- o mein guter, sanfter Mond! --
Verzeihen Sie dieses Vergessen -- meinen Brief können Sie vor-25 lesen, aber nicht vorzeigen. -- Meine Empfehlung an Ihre Frau Mama, Papa -- an mein Schwestergen -- an meine Blumen- Lieferantin und an alle -- Leben Sie wol ......
2. Postskript. Ihre Briefe müssen mit nächster Post abgehen, weil wir schon am Montag in Neustadt sind.
30
434. An Friederike Otto in Hof.
[Kopie][Neustadt a. d. Aisch, 8. (?) Juli 1793]
Dinte so gelb wie mein Gesicht, aber nicht so schwarz wie meine Hand -- Freudenblumen gehen uns bis an den Bart -- Unsre schönen Tage werden von 2 Pferden zerrissen und unsre Kutsche ist der35 Leichenwagen eines kurzen Frühlings. Wir wurden von einer mensch-
ſie ummauern, mit den Blumenflächen, die auf ihnen zittern, mit den umhergeworfnen Wolken, die mit groſſen Schatten von einem Berg zum andern fliehen, daß ſag ich das ganze uns überſtrömende Konzert der groſſen Erde doch nichts thut als längſt begrabne Klagetöne, un- mögliche Wünſche, eine drückende Sehnſucht, die auf dieſer Erde5 verhungert, und Erinnerungen, die ſo blas wie Hofnungen aus- ſehen, aufzuwecken. Ach wenn ſich doch jeder, der bei den magiſchen Gebirgen und bei der Sonne, die hinter ihnen niederrint, ſehnend ſagt: „o dort drüben, hinter den Bergen, hinter der Sonne wohnt ein ſchöneres Land, und glüklichere Tage und beſſere Menſchen!“ wenn10 ſich doch jeder antwortete: „hinter den Bergen und der Sonne ſteht [410]„auch ein Armer wie du und hat auch Wünſche wie du und wir ſind „alle nicht glüklich!“ — Und doch, wenn mans ſagt, hat man gar nichts, nicht einmal die Sehnſucht. —
— — Die Muſik neben mir und mein Herumtaumeln in der Natur15 öfnen Ihnen mein ganzes Ich, auf Koſten Ihrer Geduld.
Leben Sie recht wol und recht unter dem freien Himmel und haben Sie Ihre Träume auch auſſerhalb des Schlafs. — Und du lieber Mond, der bei meiner Abreiſe im lezten Viertel war und bei meiner Ankunft wieder vol ſein wird, hänge ſanft an deinem Himmel — dein20 ſanftes Licht macht mich zu weich, dein ſtilles Niederſchauen zieht mein Herz zu dir hinauf — und es drükt ſich an dich an — und fühlt doch, daß der Mond ſo veränderlich iſt und bleibt — o mein guter, ſanfter Mond! —
Verzeihen Sie dieſes Vergeſſen — meinen Brief können Sie vor-25 leſen, aber nicht vorzeigen. — Meine Empfehlung an Ihre Frau Mama, Papa — an mein Schweſtergen — an meine Blumen- Lieferantin und an alle — Leben Sie wol ......
2. Poſtſkript. Ihre Briefe müſſen mit nächſter Poſt abgehen, weil wir ſchon am Montag in Neuſtadt ſind.
30
434. An Friederike Otto in Hof.
[Kopie][Neuſtadt a. d. Aiſch, 8. (?) Juli 1793]
Dinte ſo gelb wie mein Geſicht, aber nicht ſo ſchwarz wie meine Hand — Freudenblumen gehen uns bis an den Bart — Unſre ſchönen Tage werden von 2 Pferden zerriſſen und unſre Kutſche iſt der35 Leichenwagen eines kurzen Frühlings. Wir wurden von einer menſch-
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ſie ummauern, mit den Blumenflächen, die auf ihnen zittern, mit den
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zum andern fliehen, daß ſag ich das ganze uns überſtrömende Konzert
der groſſen Erde doch nichts thut als längſt begrabne Klagetöne, un-
mögliche Wünſche, eine drückende Sehnſucht, die auf dieſer Erde 5
verhungert, und Erinnerungen, die ſo blas wie Hofnungen aus-
ſehen, aufzuwecken. Ach wenn ſich doch jeder, der bei den magiſchen
Gebirgen und bei der Sonne, die hinter ihnen niederrint, ſehnend ſagt:
„o dort drüben, hinter den Bergen, hinter der Sonne wohnt ein
ſchöneres Land, und glüklichere Tage und beſſere Menſchen!“ wenn 10
ſich doch jeder antwortete: „hinter den Bergen und der Sonne ſteht
„auch ein Armer wie du und hat auch Wünſche wie du und wir ſind
„alle nicht glüklich!“ — Und doch, wenn mans ſagt, hat man gar nichts,
nicht einmal die Sehnſucht. —
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— — Die Muſik neben mir und mein Herumtaumeln in der Natur 15
öfnen Ihnen mein ganzes Ich, auf Koſten Ihrer Geduld.
Leben Sie recht wol und recht unter dem freien Himmel und haben
Sie Ihre Träume auch auſſerhalb des Schlafs. — Und du lieber
Mond, der bei meiner Abreiſe im lezten Viertel war und bei meiner
Ankunft wieder vol ſein wird, hänge ſanft an deinem Himmel — dein 20
ſanftes Licht macht mich zu weich, dein ſtilles Niederſchauen zieht
mein Herz zu dir hinauf — und es drükt ſich an dich an — und fühlt
doch, daß der Mond ſo veränderlich iſt und bleibt — o mein guter,
ſanfter Mond! —
Verzeihen Sie dieſes Vergeſſen — meinen Brief können Sie vor- 25
leſen, aber nicht vorzeigen. — Meine Empfehlung an Ihre Frau
Mama, Papa — an mein Schweſtergen — an meine Blumen-
Lieferantin und an alle — Leben Sie wol ......
2. Poſtſkript. Ihre Briefe müſſen mit nächſter Poſt abgehen, weil
wir ſchon am Montag in Neuſtadt ſind.
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434. An Friederike Otto in Hof.
[Neuſtadt a. d. Aiſch, 8. (?) Juli 1793]
Dinte ſo gelb wie mein Geſicht, aber nicht ſo ſchwarz wie meine
Hand — Freudenblumen gehen uns bis an den Bart — Unſre ſchönen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/418>, abgerufen am 25.07.2024.
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