Das schöne Wetter, das endlich über unsern Wolkenhimmel Herr wird, macht, daß ich schreibe; denn es macht, daß ich reise -- es ist von einem hyst[erischen] Nachtsizer und Nachtwandler wie Jean Paul5 vernünftig gehandelt, daß er jeden Frühling den Zugvögeln entgegen- geht und den Niederschlag des Winters verreiset. Wenn Sie aber nicht schreiben: kan ich nicht fort. Ich habe in meinen Gold-Soluzionen zuviel Rüksicht auf die Mumien und auf die Zeit ihres Abdruks genommen als daß ich nicht zu einer Bitte gezwungen wäre, die Sie10 nicht so schwer errathen oder erfüllen werden als ich sie thue. Vielleicht begegnen die Bitte und ihre Erfüllung einander auf der Poststrasse; und dan hätt' ich eine Reue mehr. Der Kopf-Fechser wird vor dem Neujahr -- da ich von ihm im Manuskript mehr Auflagen mache als es [!] je im Druk erleben kan -- schwerlich reif. -- ob Sie sich mit der15 Verpflanzung befassen wollen. Gelehrte schreiben lieber Bücher als Briefe, es müsten denn poetische Episteln sein. Ich bitte Sie, daß [404]Sie Ihre Mad. Schwester bitten, daß sie den H. [Moriz] bitte, ein- zutunken meinetwegen -- der bogenlange Brief ist noch über meine Zirbeldrüse ausgebreitet -- ich wil ihn immerfort lesen -- aber er ist20 noch [?] mit sympathetischer Dinte geschrieben.
429. An Helene Köhler.
Schwarzenbach d. 7 Jun. 1793 [Freitag].
Mademoiselle,
Ich wolte, heute wär' Ihr Geburtstag -- nicht blos, weil der25 heutige Tag ein Galatag der Natur ist -- oder weil ich Ihnen gerade schreibe -- oder weil ich mich mit dem sanften heiligen Feuer Ihres wiedergelesenen lezten Briefes wieder erwärmt habe -- oder weil ich einen Ihres Briefes würdigen Uebergang gemacht und in den auf Blumen und am Himmel blizenden Morgen getreten bin: sondern30 wegen aller dieser Ursachen zusammen und weil ich wieder hinaus möchte, um Ihnen in meinem Innern mitten unter dem Morgen- taumel der bunten und melodischen Erde Glük zu wünschen. "Ach da die längsten Tage im Kalender -- würd' ich sagen -- gerade die schön- sten sind, anstat daß in der Seele des Menschen gerade die schönsten35
428. An Buchhändler Matzdorff in Berlin.
[Kopie][Schwarzenbach, 5. Juni 1793]
Das ſchöne Wetter, das endlich über unſern Wolkenhimmel Herr wird, macht, daß ich ſchreibe; denn es macht, daß ich reiſe — es iſt von einem hyſt[eriſchen] Nachtſizer und Nachtwandler wie Jean Paul5 vernünftig gehandelt, daß er jeden Frühling den Zugvögeln entgegen- geht und den Niederſchlag des Winters verreiſet. Wenn Sie aber nicht ſchreiben: kan ich nicht fort. Ich habe in meinen Gold-Soluzionen zuviel Rükſicht auf die Mumien und auf die Zeit ihres Abdruks genommen als daß ich nicht zu einer Bitte gezwungen wäre, die Sie10 nicht ſo ſchwer errathen oder erfüllen werden als ich ſie thue. Vielleicht begegnen die Bitte und ihre Erfüllung einander auf der Poſtſtraſſe; und dan hätt’ ich eine Reue mehr. Der Kopf-Fechſer wird vor dem Neujahr — da ich von ihm im Manuſkript mehr Auflagen mache als es [!] je im Druk erleben kan — ſchwerlich reif. — ob Sie ſich mit der15 Verpflanzung befaſſen wollen. Gelehrte ſchreiben lieber Bücher als Briefe, es müſten denn poetiſche Epiſteln ſein. Ich bitte Sie, daß [404]Sie Ihre Mad. Schweſter bitten, daß ſie den H. [Moriz] bitte, ein- zutunken meinetwegen — der bogenlange Brief iſt noch über meine Zirbeldrüſe ausgebreitet — ich wil ihn immerfort leſen — aber er iſt20 noch [?] mit ſympathetiſcher Dinte geſchrieben.
429. An Helene Köhler.
Schwarzenbach d. 7 Jun. 1793 [Freitag].
Mademoiſelle,
Ich wolte, heute wär’ Ihr Geburtstag — nicht blos, weil der25 heutige Tag ein Galatag der Natur iſt — oder weil ich Ihnen gerade ſchreibe — oder weil ich mich mit dem ſanften heiligen Feuer Ihres wiedergeleſenen lezten Briefes wieder erwärmt habe — oder weil ich einen Ihres Briefes würdigen Uebergang gemacht und in den auf Blumen und am Himmel blizenden Morgen getreten bin: ſondern30 wegen aller dieſer Urſachen zuſammen und weil ich wieder hinaus möchte, um Ihnen in meinem Innern mitten unter dem Morgen- taumel der bunten und melodiſchen Erde Glük zu wünſchen. „Ach da die längſten Tage im Kalender — würd’ ich ſagen — gerade die ſchön- ſten ſind, anſtat daß in der Seele des Menſchen gerade die ſchönſten35
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[384/0412]
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Das ſchöne Wetter, das endlich über unſern Wolkenhimmel Herr
wird, macht, daß ich ſchreibe; denn es macht, daß ich reiſe — es iſt
von einem hyſt[eriſchen] Nachtſizer und Nachtwandler wie Jean Paul 5
vernünftig gehandelt, daß er jeden Frühling den Zugvögeln entgegen-
geht und den Niederſchlag des Winters verreiſet. Wenn Sie aber
nicht ſchreiben: kan ich nicht fort. Ich habe in meinen Gold-Soluzionen
zuviel Rükſicht auf die Mumien und auf die Zeit ihres Abdruks
genommen als daß ich nicht zu einer Bitte gezwungen wäre, die Sie 10
nicht ſo ſchwer errathen oder erfüllen werden als ich ſie thue. Vielleicht
begegnen die Bitte und ihre Erfüllung einander auf der Poſtſtraſſe;
und dan hätt’ ich eine Reue mehr. Der Kopf-Fechſer wird vor dem
Neujahr — da ich von ihm im Manuſkript mehr Auflagen mache als es
[!] je im Druk erleben kan — ſchwerlich reif. — ob Sie ſich mit der 15
Verpflanzung befaſſen wollen. Gelehrte ſchreiben lieber Bücher als
Briefe, es müſten denn poetiſche Epiſteln ſein. Ich bitte Sie, daß
Sie Ihre Mad. Schweſter bitten, daß ſie den H. [Moriz] bitte, ein-
zutunken meinetwegen — der bogenlange Brief iſt noch über meine
Zirbeldrüſe ausgebreitet — ich wil ihn immerfort leſen — aber er iſt 20
noch [?] mit ſympathetiſcher Dinte geſchrieben.
[404]
429. An Helene Köhler.
Schwarzenbach d. 7 Jun. 1793 [Freitag].
Mademoiſelle,
Ich wolte, heute wär’ Ihr Geburtstag — nicht blos, weil der 25
heutige Tag ein Galatag der Natur iſt — oder weil ich Ihnen gerade
ſchreibe — oder weil ich mich mit dem ſanften heiligen Feuer Ihres
wiedergeleſenen lezten Briefes wieder erwärmt habe — oder weil ich
einen Ihres Briefes würdigen Uebergang gemacht und in den auf
Blumen und am Himmel blizenden Morgen getreten bin: ſondern 30
wegen aller dieſer Urſachen zuſammen und weil ich wieder hinaus
möchte, um Ihnen in meinem Innern mitten unter dem Morgen-
taumel der bunten und melodiſchen Erde Glük zu wünſchen. „Ach da die
längſten Tage im Kalender — würd’ ich ſagen — gerade die ſchön-
ſten ſind, anſtat daß in der Seele des Menſchen gerade die ſchönſten 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/412>, abgerufen am 25.07.2024.
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