überal schminkt man sich wenigstens ein bisgen: aber bei Ihnen tu' ich das nicht, ich [zeige] mich Ihnen wie ich bin, Sie kennen meine Feler, und ich gebe mir keine Mühe, sie Ihnen zu verhelen. Darum werden Sie auch meine Brief' an Sie niemand sehen lassen; denn man ver- lacht oft den, der aufrichtig genug ist, sein Herz auf Unkosten seines5 Verstandes reden zu lassen -- es giebt Leute, die ieden für einen Toren halten, der nicht leichtsinnig ist wie sie. Ich mus Ihnen noch etwas sagen, was ich gewis nicht aus Schmeichelei sage. Ihr Brief ist in einer modernen Schreibart geschrieben; Sie haben Sich sogleich nach dem Verf. der Menschenfreuden gebildet, und in Ihrem Brief neue10 Wendungen, Konstrukzionen, Wörter, und Beredsamkeit und kurze [19]Säzze verbunden. Tun Sie gewissen Personen den Tort und zeigen Sie Ihnen, daß auch Sie neu[es] Deutsch schreiben können.
13. An Pfarrer Vogel in Rehau.
Hocherwürdiger und Hochgelerter Herr,15 Hochzuvererender Herr Pfarrer,
Dieselben erwarteten one Zweifel von mir Briefe; und ich von Ihnen. Ich hofte von einem Posttage zu dem andern, ersan mir tausend Ursachen, warum Sie nicht schrieben, behielt iede solange, bis sie sich von selbst widerlegte und fiel endlich auf den Gedanken, Sie20 beleidigt zu haben. Allein mit Wissen? -- nein, dies bin ich unfähig zu tun, und Sie, es zu vermuten; oder aus Unwissenheit? o! so werden Sie schon lange vergeben haben. Meine Verzögerung kan ich mit nichts als dem folgenden entschuldigen. Ich schrieb Ihnen nicht, weil ich nichts Interessantes zu schreiben hatte, und Sie nicht durch die25 Wichtigkeit der Materie für den Ekkel schadlos halten konte, den der schlechte Vortrag derselben erwekt. Und selbst dieser Brief wird noch mager sein, daß man wol ausrufen könte: Meister, wir haben die ganze Nacht gefischt und etc. --
Der Doktor Ernesti starb den 13 Septemb. Vielleicht lernt' er hier30 auf der Welt zu wenig Latein; und nimt im Himmel den Zizero selbst dazu, um ganz ein Römer zu werden. Er war mit soviel Titeln, Eren- namen, Beiworten und Zierden behangen, daß man kaum den Menschen davor sehen konte. Jezt modert sein römischer Kopf, sein Gehirn von Zizero'sphrasen und das ganze Behältnis alter Ge-35 lehrsamkeit, im Grabe; sein Rum flattert über seinen Hügel weg; er
überal ſchminkt man ſich wenigſtens ein bisgen: aber bei Ihnen tu’ ich das nicht, ich [zeige] mich Ihnen wie ich bin, Sie kennen meine Feler, und ich gebe mir keine Mühe, ſie Ihnen zu verhelen. Darum werden Sie auch meine Brief’ an Sie niemand ſehen laſſen; denn man ver- lacht oft den, der aufrichtig genug iſt, ſein Herz auf Unkoſten ſeines5 Verſtandes reden zu laſſen — es giebt Leute, die ieden für einen Toren halten, der nicht leichtſinnig iſt wie ſie. Ich mus Ihnen noch etwas ſagen, was ich gewis nicht aus Schmeichelei ſage. Ihr Brief iſt in einer modernen Schreibart geſchrieben; Sie haben Sich ſogleich nach dem Verf. der Menſchenfreuden gebildet, und in Ihrem Brief neue10 Wendungen, Konſtrukzionen, Wörter, und Beredſamkeit und kurze [19]Säzze verbunden. Tun Sie gewiſſen Perſonen den Tort und zeigen Sie Ihnen, daß auch Sie neu[es] Deutſch ſchreiben können.
13. An Pfarrer Vogel in Rehau.
Hocherwürdiger und Hochgelerter Herr,15 Hochzuvererender Herr Pfarrer,
Dieſelben erwarteten one Zweifel von mir Briefe; und ich von Ihnen. Ich hofte von einem Poſttage zu dem andern, erſan mir tauſend Urſachen, warum Sie nicht ſchrieben, behielt iede ſolange, bis ſie ſich von ſelbſt widerlegte und fiel endlich auf den Gedanken, Sie20 beleidigt zu haben. Allein mit Wiſſen? — nein, dies bin ich unfähig zu tun, und Sie, es zu vermuten; oder aus Unwiſſenheit? o! ſo werden Sie ſchon lange vergeben haben. Meine Verzögerung kan ich mit nichts als dem folgenden entſchuldigen. Ich ſchrieb Ihnen nicht, weil ich nichts Intereſſantes zu ſchreiben hatte, und Sie nicht durch die25 Wichtigkeit der Materie für den Ekkel ſchadlos halten konte, den der ſchlechte Vortrag derſelben erwekt. Und ſelbſt dieſer Brief wird noch mager ſein, daß man wol ausrufen könte: Meiſter, wir haben die ganze Nacht gefiſcht und ꝛc. —
Der Doktor Erneſti ſtarb den 13 Septemb. Vielleicht lernt’ er hier30 auf der Welt zu wenig Latein; und nimt im Himmel den Zizero ſelbſt dazu, um ganz ein Römer zu werden. Er war mit ſoviel Titeln, Eren- namen, Beiworten und Zierden behangen, daß man kaum den Menſchen davor ſehen konte. Jezt modert ſein römiſcher Kopf, ſein Gehirn von Zizero’sphraſen und das ganze Behältnis alter Ge-35 lehrſamkeit, im Grabe; ſein Rum flattert über ſeinen Hügel weg; er
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[18/0041]
überal ſchminkt man ſich wenigſtens ein bisgen: aber bei Ihnen tu’ ich
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und ich gebe mir keine Mühe, ſie Ihnen zu verhelen. Darum werden
Sie auch meine Brief’ an Sie niemand ſehen laſſen; denn man ver-
lacht oft den, der aufrichtig genug iſt, ſein Herz auf Unkoſten ſeines 5
Verſtandes reden zu laſſen — es giebt Leute, die ieden für einen Toren
halten, der nicht leichtſinnig iſt wie ſie. Ich mus Ihnen noch etwas
ſagen, was ich gewis nicht aus Schmeichelei ſage. Ihr Brief iſt in
einer modernen Schreibart geſchrieben; Sie haben Sich ſogleich nach
dem Verf. der Menſchenfreuden gebildet, und in Ihrem Brief neue 10
Wendungen, Konſtrukzionen, Wörter, und Beredſamkeit und kurze
Säzze verbunden. Tun Sie gewiſſen Perſonen den Tort und zeigen Sie
Ihnen, daß auch Sie neu[es] Deutſch ſchreiben können.
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13. An Pfarrer Vogel in Rehau.
Hocherwürdiger und Hochgelerter Herr, 15
Hochzuvererender Herr Pfarrer,
Dieſelben erwarteten one Zweifel von mir Briefe; und ich von
Ihnen. Ich hofte von einem Poſttage zu dem andern, erſan mir
tauſend Urſachen, warum Sie nicht ſchrieben, behielt iede ſolange, bis
ſie ſich von ſelbſt widerlegte und fiel endlich auf den Gedanken, Sie 20
beleidigt zu haben. Allein mit Wiſſen? — nein, dies bin ich unfähig zu
tun, und Sie, es zu vermuten; oder aus Unwiſſenheit? o! ſo werden
Sie ſchon lange vergeben haben. Meine Verzögerung kan ich mit
nichts als dem folgenden entſchuldigen. Ich ſchrieb Ihnen nicht, weil
ich nichts Intereſſantes zu ſchreiben hatte, und Sie nicht durch die 25
Wichtigkeit der Materie für den Ekkel ſchadlos halten konte, den der
ſchlechte Vortrag derſelben erwekt. Und ſelbſt dieſer Brief wird noch
mager ſein, daß man wol ausrufen könte: Meiſter, wir haben die ganze
Nacht gefiſcht und ꝛc. —
Der Doktor Erneſti ſtarb den 13 Septemb. Vielleicht lernt’ er hier 30
auf der Welt zu wenig Latein; und nimt im Himmel den Zizero ſelbſt
dazu, um ganz ein Römer zu werden. Er war mit ſoviel Titeln, Eren-
namen, Beiworten und Zierden behangen, daß man kaum den
Menſchen davor ſehen konte. Jezt modert ſein römiſcher Kopf,
ſein Gehirn von Zizero’sphraſen und das ganze Behältnis alter Ge- 35
lehrſamkeit, im Grabe; ſein Rum flattert über ſeinen Hügel weg; er
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/41>, abgerufen am 21.11.2024.
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