Testimonium Diligenziä von Ihnen hätten. Das brauchen zwei Zeilen zu sein. Vielleicht hilft dies; und Sie, Sie werden diese Mühe über sich nemen, und ihnen es auch iezt sagen, ... Es müst' aber so eingerichtet sein, daß sie's selbst nicht verstünden; denn sonst wären sie klug genug, mir's nicht zu schikken. -- Nichts bedaur' ich mer, als die Unbequemlich-5 keiten, die Ihnen Ihr Gichtflus schon wieder verursacht hat. -- Und Sie sind noch immer frei? und wollen das Mittelding zwischen Man und Jung[ge]sel noch bis an ihr Ende sein? Was hat Ihnen doch der Got Hymen getan, daß Sie ihm so aufeinmal alle Vererung aufsagen, seinen Altar umstossen und zu einem Abgötler werden. Wir leben kurze10 Zeit; allein eben deswegen sollen wir diese kurze Zeit recht frölich leben
-- -- dum loquimur, fugerit invida aetas; carpe diem, quam minimum credulus postero,
möcht ich Sie mit dem Horaz anreden. -- Der Doktor Ernesti ist [den][18] 15 September begraben worden. Er wird sich wol beim Zizero im15 Himmel Stunden in Latein geben lassen. Jezt modert sein römischer Kopf, seine lateinischen Phrasen und sein ganzes Behältnis von alter Gelersamkeit im Grabe. Sein Rum flattert über sein Grab hin; er hört ihn nicht mer; so zerstäubt der Schlag des Todes den ganzen Plunder von unsern Torheiten. Dies fält mir oft so warm auf's Herz,20 daß ich nichts lernen möchte, als worauf ich in der andern Welt fort- bauen kan; daß ich nichts tun möchte, als die Taten, die im Himmel Früchte für mich tragen. Genug! Ich ermüde Sie; ich schliesse, und sage nichts mer, als daß ich Ihre neuliche Krankheit an Ihrem Arm herzlich bedaure, daß ich Ihnen Befreiung von diesem Uebel [?] wünsche.25 Küssen Sie mein liebes Patgen an meiner Stat tausendmal, und schreiben Sie mir doch, was es macht, ob es gesund ist und ob seine Sele mit dem Körper wächst. Und Sie -- o! ich sag' Ihnen tausend Dank für Ihren schönen Brief, tausend Dank für die Liebe, die Sie in dem[selben] gegen mich äussern. Aber ich wünschte, Dank nicht blos30 sagen zu können; ich wünschte mer. Und für das, was ich Ihnen in Rüksicht der Bildung meines Verstandes und Herzens schuldig bin, für das, was nie ein Schüler seinem Lerer bezalen kan? -- Hier kan ich nichts, als eine Träne der Dankbarkeit weinen, einen Wunsch zum Algütigen schikken, und innigst versichern --35
Sie sehen, ich schreibe meine Brief' an Sie viel anders, als ich sie an iede andre Person schreibe; überal nimt man eine kleine Maske an;
2 Jean Paul Briefe. I.
Teſtimonium Diligenziä von Ihnen hätten. Das brauchen zwei Zeilen zu ſein. Vielleicht hilft dies; und Sie, Sie werden dieſe Mühe über ſich nemen, und ihnen es auch iezt ſagen, … Es müſt’ aber ſo eingerichtet ſein, daß ſie’s ſelbſt nicht verſtünden; denn ſonſt wären ſie klug genug, mir’s nicht zu ſchikken. — Nichts bedaur’ ich mer, als die Unbequemlich-5 keiten, die Ihnen Ihr Gichtflus ſchon wieder verurſacht hat. — Und Sie ſind noch immer frei? und wollen das Mittelding zwiſchen Man und Jung[ge]ſel noch bis an ihr Ende ſein? Was hat Ihnen doch der Got Hymen getan, daß Sie ihm ſo aufeinmal alle Vererung aufſagen, ſeinen Altar umſtoſſen und zu einem Abgötler werden. Wir leben kurze10 Zeit; allein eben deswegen ſollen wir dieſe kurze Zeit recht frölich leben
— — dum loquimur, fugerit invida aetas; carpe diem, quam minimum credulus postero,
möcht ich Sie mit dem Horaz anreden. — Der Doktor Erneſti iſt [den][18] 15 September begraben worden. Er wird ſich wol beim Zizero im15 Himmel Stunden in Latein geben laſſen. Jezt modert ſein römiſcher Kopf, ſeine lateiniſchen Phraſen und ſein ganzes Behältnis von alter Gelerſamkeit im Grabe. Sein Rum flattert über ſein Grab hin; er hört ihn nicht mer; ſo zerſtäubt der Schlag des Todes den ganzen Plunder von unſern Torheiten. Dies fält mir oft ſo warm auf’s Herz,20 daß ich nichts lernen möchte, als worauf ich in der andern Welt fort- bauen kan; daß ich nichts tun möchte, als die Taten, die im Himmel Früchte für mich tragen. Genug! Ich ermüde Sie; ich ſchlieſſe, und ſage nichts mer, als daß ich Ihre neuliche Krankheit an Ihrem Arm herzlich bedaure, daß ich Ihnen Befreiung von dieſem Uebel [?] wünſche.25 Küſſen Sie mein liebes Patgen an meiner Stat tauſendmal, und ſchreiben Sie mir doch, was es macht, ob es geſund iſt und ob ſeine Sele mit dem Körper wächſt. Und Sie — o! ich ſag’ Ihnen tauſend Dank für Ihren ſchönen Brief, tauſend Dank für die Liebe, die Sie in dem[ſelben] gegen mich äuſſern. Aber ich wünſchte, Dank nicht blos30 ſagen zu können; ich wünſchte mer. Und für das, was ich Ihnen in Rükſicht der Bildung meines Verſtandes und Herzens ſchuldig bin, für das, was nie ein Schüler ſeinem Lerer bezalen kan? — Hier kan ich nichts, als eine Träne der Dankbarkeit weinen, einen Wunſch zum Algütigen ſchikken, und innigſt verſichern —35
Sie ſehen, ich ſchreibe meine Brief’ an Sie viel anders, als ich ſie an iede andre Perſon ſchreibe; überal nimt man eine kleine Maſke an;
2 Jean Paul Briefe. I.
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0040"n="17"/>
Teſtimonium Diligenziä von Ihnen hätten. Das brauchen zwei Zeilen<lb/>
zu ſein. Vielleicht hilft dies; und Sie, Sie werden dieſe Mühe über ſich<lb/>
nemen, und ihnen es auch iezt ſagen, … Es müſt’ aber ſo eingerichtet<lb/>ſein, daß ſie’s ſelbſt nicht verſtünden; denn ſonſt wären ſie klug genug,<lb/>
mir’s nicht zu ſchikken. — Nichts bedaur’ ich mer, als die Unbequemlich-<lbn="5"/>
keiten, die Ihnen Ihr Gichtflus ſchon wieder verurſacht hat. — Und<lb/>
Sie ſind noch immer frei? und wollen das Mittelding zwiſchen Man<lb/>
und Jung<metamark>[</metamark>ge<metamark>]</metamark>ſel noch bis an ihr Ende ſein? Was hat Ihnen doch der<lb/>
Got Hymen getan, daß Sie ihm ſo aufeinmal alle Vererung aufſagen,<lb/>ſeinen Altar umſtoſſen und zu einem Abgötler werden. Wir leben kurze<lbn="10"/>
Zeit; allein eben deswegen ſollen wir dieſe kurze Zeit recht frölich leben</p><lb/><cit><quote><hirendition="#et"><hirendition="#aq">—— dum loquimur, fugerit invida<lb/>
aetas; carpe diem, quam minimum credulus postero,</hi></hi></quote></cit><lb/><p>möcht ich Sie mit dem Horaz anreden. — Der Doktor Erneſti iſt <metamark>[</metamark>den<metamark>]</metamark><noteplace="right"><reftarget="1922_Bd#_18">[18]</ref></note><lb/>
15 September begraben worden. Er wird ſich wol beim Zizero im<lbn="15"/>
Himmel Stunden in Latein geben laſſen. Jezt modert ſein römiſcher<lb/>
Kopf, ſeine lateiniſchen Phraſen und ſein ganzes Behältnis von alter<lb/>
Gelerſamkeit im Grabe. Sein Rum flattert über ſein Grab hin; er<lb/>
hört ihn nicht mer; ſo zerſtäubt der Schlag des Todes den ganzen<lb/>
Plunder von unſern Torheiten. Dies fält mir oft ſo warm auf’s Herz,<lbn="20"/>
daß ich nichts lernen möchte, als worauf ich in der andern Welt fort-<lb/>
bauen kan; daß ich nichts tun möchte, als die Taten, die im Himmel<lb/>
Früchte für mich tragen. Genug! Ich ermüde Sie; ich ſchlieſſe, und ſage<lb/>
nichts mer, als daß ich Ihre neuliche Krankheit an Ihrem Arm herzlich<lb/>
bedaure, daß ich Ihnen Befreiung von dieſem Uebel <metamark>[?]</metamark> wünſche.<lbn="25"/>
Küſſen Sie mein liebes Patgen an meiner Stat tauſendmal, und<lb/>ſchreiben Sie mir doch, was es macht, ob es geſund iſt und ob ſeine<lb/>
Sele mit dem Körper wächſt. Und Sie — o! ich ſag’ Ihnen tauſend<lb/>
Dank für Ihren ſchönen Brief, tauſend Dank für die Liebe, die Sie in<lb/>
dem<metamark>[</metamark>ſelben<metamark>]</metamark> gegen mich äuſſern. Aber ich wünſchte, Dank nicht blos<lbn="30"/><hirendition="#g">ſagen</hi> zu können; ich wünſchte mer. Und für das, was ich Ihnen in<lb/>
Rükſicht der Bildung meines Verſtandes und Herzens ſchuldig bin, für<lb/>
das, was nie ein Schüler ſeinem Lerer bezalen kan? — Hier kan ich<lb/>
nichts, als eine Träne der Dankbarkeit weinen, einen Wunſch zum<lb/>
Algütigen ſchikken, und innigſt verſichern —<lbn="35"/></p><p>Sie ſehen, ich ſchreibe meine Brief’ an Sie viel anders, als ich ſie an<lb/>
iede andre Perſon ſchreibe; überal nimt man eine kleine Maſke an;<lb/><fwplace="bottom"type="sig">2 Jean Paul Briefe. <hirendition="#aq">I.</hi></fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[17/0040]
Teſtimonium Diligenziä von Ihnen hätten. Das brauchen zwei Zeilen
zu ſein. Vielleicht hilft dies; und Sie, Sie werden dieſe Mühe über ſich
nemen, und ihnen es auch iezt ſagen, … Es müſt’ aber ſo eingerichtet
ſein, daß ſie’s ſelbſt nicht verſtünden; denn ſonſt wären ſie klug genug,
mir’s nicht zu ſchikken. — Nichts bedaur’ ich mer, als die Unbequemlich- 5
keiten, die Ihnen Ihr Gichtflus ſchon wieder verurſacht hat. — Und
Sie ſind noch immer frei? und wollen das Mittelding zwiſchen Man
und Jung[ge]ſel noch bis an ihr Ende ſein? Was hat Ihnen doch der
Got Hymen getan, daß Sie ihm ſo aufeinmal alle Vererung aufſagen,
ſeinen Altar umſtoſſen und zu einem Abgötler werden. Wir leben kurze 10
Zeit; allein eben deswegen ſollen wir dieſe kurze Zeit recht frölich leben
— — dum loquimur, fugerit invida
aetas; carpe diem, quam minimum credulus postero,
möcht ich Sie mit dem Horaz anreden. — Der Doktor Erneſti iſt [den]
15 September begraben worden. Er wird ſich wol beim Zizero im 15
Himmel Stunden in Latein geben laſſen. Jezt modert ſein römiſcher
Kopf, ſeine lateiniſchen Phraſen und ſein ganzes Behältnis von alter
Gelerſamkeit im Grabe. Sein Rum flattert über ſein Grab hin; er
hört ihn nicht mer; ſo zerſtäubt der Schlag des Todes den ganzen
Plunder von unſern Torheiten. Dies fält mir oft ſo warm auf’s Herz, 20
daß ich nichts lernen möchte, als worauf ich in der andern Welt fort-
bauen kan; daß ich nichts tun möchte, als die Taten, die im Himmel
Früchte für mich tragen. Genug! Ich ermüde Sie; ich ſchlieſſe, und ſage
nichts mer, als daß ich Ihre neuliche Krankheit an Ihrem Arm herzlich
bedaure, daß ich Ihnen Befreiung von dieſem Uebel [?] wünſche. 25
Küſſen Sie mein liebes Patgen an meiner Stat tauſendmal, und
ſchreiben Sie mir doch, was es macht, ob es geſund iſt und ob ſeine
Sele mit dem Körper wächſt. Und Sie — o! ich ſag’ Ihnen tauſend
Dank für Ihren ſchönen Brief, tauſend Dank für die Liebe, die Sie in
dem[ſelben] gegen mich äuſſern. Aber ich wünſchte, Dank nicht blos 30
ſagen zu können; ich wünſchte mer. Und für das, was ich Ihnen in
Rükſicht der Bildung meines Verſtandes und Herzens ſchuldig bin, für
das, was nie ein Schüler ſeinem Lerer bezalen kan? — Hier kan ich
nichts, als eine Träne der Dankbarkeit weinen, einen Wunſch zum
Algütigen ſchikken, und innigſt verſichern — 35
[18]Sie ſehen, ich ſchreibe meine Brief’ an Sie viel anders, als ich ſie an
iede andre Perſon ſchreibe; überal nimt man eine kleine Maſke an;
2 Jean Paul Briefe. I.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/40>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.