Scherben-Blumen gaben, dafür weit höhere reichen, deren Blätter nie abfallen und die nicht wie andre, in der Nachbarschaft des Herzens erbleichen.
.... Jezt fället mir auf einmal so viel ein, daß ich wolte, ich hätte ein breiteres Papier genommen ...5
Ihre Gedanken über dieses Leben und über den wolkenlosen Nach- sommer desselben gefallen mir auch so sehr, weil sie nicht Kinder einer briefstellerischen Minute sondern Vertraute ganzer Jahre und Schoos- jünger Ihres Karakters sind. Diese Welt wird nur durch den Blik in die zweite am besten ertragen oder genossen; wie der herübergewölbte10 blaue Himmel den blumigten Fusboden der Erde verschönert, so giebt der Gedanke an das, was in jenem sich verbirgt, allem dem, was wir in dieser finden, Reize.
Gleichwol können Ihnen in Ihrem Kriege und Ausfalle gegen die hiesigen Freuden, deren Kränklichkeit, Sommersprossen und Schram-15 men Sie so sehr tadeln, nur sehr wenige Menschen beistehen -- d. h. nur sehr gute. Für jeden andern, der nicht mehr Sinne hat als fünf, wächst auf dieser Kugel Futter genug; und der, dessen Hunger sich an sinlichen Freuden stillen kan, ist hienieden der einzige Glükliche. Aber es liegen in einigen Menschen Samenkörner, die hier ewig unter der20 Erdrinde und ohne Sonne bleiben -- Wünsche und Ideen einer Freund- schaft, die samt ihren Blüten an jeder fremden Menschenbrust wie ein Spaliergewächs gekreuzigt wird -- Tugenden, die wir mehr denken als haben können, Entzückungen, die uns wie Fürstinnen blos ihr Portrait vorausgeben -- Kurz die Erde ist ein Speisesaal des25 Magens, aber nie des Edlern im Menschen; und unter allen Beweisen für unser Fortleben ist der der festeste, daß der Schöpfer uns mit Tugenden, Wünschen, Träumen für eine ganz andre als diese Erde[381] ausgemalet und volgeschmücket hat und daß gerade die volkommensten Menschen alle ihre Wurzeln aus diesem Koth-Boden ziehen und in30 einen reinern schlagen ..... Oben steht das Ende.
[Am obern Rande:] Dieses ist kein Brief, sondern nur die Spiel- marke eines Briefes. Ich bin mit einem kürzern Danke als es ein aus dem schönsten Herzen geflossener Brief verdient, und mit immer- währender Hochachtung35
Ihr gehors. Freund und Leser F. Richter
Scherben-Blumen gaben, dafür weit höhere reichen, deren Blätter nie abfallen und die nicht wie andre, in der Nachbarſchaft des Herzens erbleichen.
.... Jezt fället mir auf einmal ſo viel ein, daß ich wolte, ich hätte ein breiteres Papier genommen …5
Ihre Gedanken über dieſes Leben und über den wolkenloſen Nach- ſommer deſſelben gefallen mir auch ſo ſehr, weil ſie nicht Kinder einer briefſtelleriſchen Minute ſondern Vertraute ganzer Jahre und Schoos- jünger Ihres Karakters ſind. Dieſe Welt wird nur durch den Blik in die zweite am beſten ertragen oder genoſſen; wie der herübergewölbte10 blaue Himmel den blumigten Fusboden der Erde verſchönert, ſo giebt der Gedanke an das, was in jenem ſich verbirgt, allem dem, was wir in dieſer finden, Reize.
Gleichwol können Ihnen in Ihrem Kriege und Ausfalle gegen die hieſigen Freuden, deren Kränklichkeit, Sommerſproſſen und Schram-15 men Sie ſo ſehr tadeln, nur ſehr wenige Menſchen beiſtehen — d. h. nur ſehr gute. Für jeden andern, der nicht mehr Sinne hat als fünf, wächſt auf dieſer Kugel Futter genug; und der, deſſen Hunger ſich an ſinlichen Freuden ſtillen kan, iſt hienieden der einzige Glükliche. Aber es liegen in einigen Menſchen Samenkörner, die hier ewig unter der20 Erdrinde und ohne Sonne bleiben — Wünſche und Ideen einer Freund- ſchaft, die ſamt ihren Blüten an jeder fremden Menſchenbruſt wie ein Spaliergewächs gekreuzigt wird — Tugenden, die wir mehr denken als haben können, Entzückungen, die uns wie Fürſtinnen blos ihr Portrait vorausgeben — Kurz die Erde iſt ein Speiſeſaal des25 Magens, aber nie des Edlern im Menſchen; und unter allen Beweiſen für unſer Fortleben iſt der der feſteſte, daß der Schöpfer uns mit Tugenden, Wünſchen, Träumen für eine ganz andre als dieſe Erde[381] ausgemalet und volgeſchmücket hat und daß gerade die volkommenſten Menſchen alle ihre Wurzeln aus dieſem Koth-Boden ziehen und in30 einen reinern ſchlagen ..... Oben ſteht das Ende.
[Am obern Rande:] Dieſes iſt kein Brief, ſondern nur die Spiel- marke eines Briefes. Ich bin mit einem kürzern Danke als es ein aus dem ſchönſten Herzen gefloſſener Brief verdient, und mit immer- währender Hochachtung35
Ihr gehorſ. Freund und Leſer F. Richter
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Scherben-Blumen gaben, dafür weit höhere reichen, deren Blätter nie
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erbleichen.
.... Jezt fället mir auf einmal ſo viel ein, daß ich wolte, ich hätte
ein breiteres Papier genommen … 5
Ihre Gedanken über dieſes Leben und über den wolkenloſen Nach-
ſommer deſſelben gefallen mir auch ſo ſehr, weil ſie nicht Kinder einer
briefſtelleriſchen Minute ſondern Vertraute ganzer Jahre und Schoos-
jünger Ihres Karakters ſind. Dieſe Welt wird nur durch den Blik in die
zweite am beſten ertragen oder genoſſen; wie der herübergewölbte 10
blaue Himmel den blumigten Fusboden der Erde verſchönert, ſo
giebt der Gedanke an das, was in jenem ſich verbirgt, allem dem,
was wir in dieſer finden, Reize.
Gleichwol können Ihnen in Ihrem Kriege und Ausfalle gegen die
hieſigen Freuden, deren Kränklichkeit, Sommerſproſſen und Schram- 15
men Sie ſo ſehr tadeln, nur ſehr wenige Menſchen beiſtehen — d. h.
nur ſehr gute. Für jeden andern, der nicht mehr Sinne hat als fünf,
wächſt auf dieſer Kugel Futter genug; und der, deſſen Hunger ſich an
ſinlichen Freuden ſtillen kan, iſt hienieden der einzige Glükliche. Aber
es liegen in einigen Menſchen Samenkörner, die hier ewig unter der 20
Erdrinde und ohne Sonne bleiben — Wünſche und Ideen einer Freund-
ſchaft, die ſamt ihren Blüten an jeder fremden Menſchenbruſt wie
ein Spaliergewächs gekreuzigt wird — Tugenden, die wir mehr
denken als haben können, Entzückungen, die uns wie Fürſtinnen blos
ihr Portrait vorausgeben — Kurz die Erde iſt ein Speiſeſaal des 25
Magens, aber nie des Edlern im Menſchen; und unter allen Beweiſen
für unſer Fortleben iſt der der feſteſte, daß der Schöpfer uns mit
Tugenden, Wünſchen, Träumen für eine ganz andre als dieſe Erde
ausgemalet und volgeſchmücket hat und daß gerade die volkommenſten
Menſchen alle ihre Wurzeln aus dieſem Koth-Boden ziehen und in 30
einen reinern ſchlagen ..... Oben ſteht das Ende.
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[Am obern Rande:] Dieſes iſt kein Brief, ſondern nur die Spiel-
marke eines Briefes. Ich bin mit einem kürzern Danke als es ein aus
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/388>, abgerufen am 25.07.2024.
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