Bei diesem Titel denk' ich im Grunde gar nichts, wiewol mir bis ich die Vorrede seze noch gut einfallen kan was ich dabei denke -- aber ich ruhe nicht eher darin als bis andre mehr dabei denken. Ich werde in der Vorrede sagen: "ich schämte mich halb, daß ich genöthigt wäre, "durch eine Titel-Sonderbarkeit, die durchaus nicht zu umgehen war,5 "denen Autoren ähnlich zu sehen, die blos der Käufer und des "Käufers (Verlegers) wegen, bunte Titel über ihre Werke klebten. "Da mir aber daran gelegen wäre, die wenigen Naturforscher, die "diesen Titel recht gut verständen, auf mich aufmerksam zu machen: "so möchten die Rezens[enten] so wie ich mir diese kleine Maconschürze10 "verstatten." Eben diese wenigen geheimen Naturforscher werden ohne mich einsehen, was ich in der Biographie selber haben wil, welches die rechten Namen sind und auf welchen unerwarteten Schlag in diesem Säkul -- aber die Schwefel-Eidexe wird doch dem rothen Löwen entschlüpfen -- durch dieses Buch vorbereitet werden sol. Dem15 grössern Theile der Leser sag' ich, daß sie durch die höhern Beziehungen, die sich in den Roman verstecken, nichts verlieren und daß es für sie eben soviel ist als wenn er wirklich gar keine hätte. Ich ziehe zum Beweise Homers Odyssee an, die Aeneis, Virgils Eklogen, Dantes Hölle etc. die alle durch den mystischen, allegorischen, politischen Kern20 beim ungelehrten Leser nichts verlieren, den der gelehrte riecht und frisset.
398. An Helene Köhler in Hof.
Schwarzenbach d. 20 Jul. 1792 [Freitag].
Unter allen Menschen, theuerste Freundin, lügt keiner so oft -- er25 mag Papiere oder Wetter versprechen -- als der, der die Ehre hat, es hier Ihnen zu bekennen. Dasmal aber hätt' er doch nicht gelogen, wenn er nicht gefunden hätte, daß der Aufsaz, den er für Sie um- schreiben wolte, lieber müsse umgegossen werden: den Umguß trag' [380]ich in 8 Tagen in Ihre Stube; er sol wenn nicht Ihrer, doch wenigstens30 meiner würdiger werden, denn aus dem vorigen Aufsaze sollen so viele Gedanken ausfallen als aus des Verfassers Kopfe Haare.
Ich hatte mir selber fest versprochen, Ihnen heute kein ernsthaftes Wort zu schreiben; aber ich belüge mich eben so wie andre und wil kein scherzhaftes mehr schreiben, weil ich da Ihren eben so ernsthaften als35 schönen Brief vor mich hergelegt, wo Sie mir, dem Sie noch keine
Bei dieſem Titel denk’ ich im Grunde gar nichts, wiewol mir bis ich die Vorrede ſeze noch gut einfallen kan was ich dabei denke — aber ich ruhe nicht eher darin als bis andre mehr dabei denken. Ich werde in der Vorrede ſagen: „ich ſchämte mich halb, daß ich genöthigt wäre, „durch eine Titel-Sonderbarkeit, die durchaus nicht zu umgehen war,5 „denen Autoren ähnlich zu ſehen, die blos der Käufer und des „Käufers (Verlegers) wegen, bunte Titel über ihre Werke klebten. „Da mir aber daran gelegen wäre, die wenigen Naturforſcher, die „dieſen Titel recht gut verſtänden, auf mich aufmerkſam zu machen: „ſo möchten die Rezenſ[enten] ſo wie ich mir dieſe kleine Maçonſchürze10 „verſtatten.“ Eben dieſe wenigen geheimen Naturforſcher werden ohne mich einſehen, was ich in der Biographie ſelber haben wil, welches die rechten Namen ſind und auf welchen unerwarteten Schlag in dieſem Säkul — aber die Schwefel-Eidexe wird doch dem rothen Löwen entſchlüpfen — durch dieſes Buch vorbereitet werden ſol. Dem15 gröſſern Theile der Leſer ſag’ ich, daß ſie durch die höhern Beziehungen, die ſich in den Roman verſtecken, nichts verlieren und daß es für ſie eben ſoviel iſt als wenn er wirklich gar keine hätte. Ich ziehe zum Beweiſe Homers Odyſſee an, die Aeneis, Virgils Eklogen, Dantes Hölle ꝛc. die alle durch den myſtiſchen, allegoriſchen, politiſchen Kern20 beim ungelehrten Leſer nichts verlieren, den der gelehrte riecht und friſſet.
398. An Helene Köhler in Hof.
Schwarzenbach d. 20 Jul. 1792 [Freitag].
Unter allen Menſchen, theuerſte Freundin, lügt keiner ſo oft — er25 mag Papiere oder Wetter verſprechen — als der, der die Ehre hat, es hier Ihnen zu bekennen. Dasmal aber hätt’ er doch nicht gelogen, wenn er nicht gefunden hätte, daß der Aufſaz, den er für Sie um- ſchreiben wolte, lieber müſſe umgegoſſen werden: den Umguß trag’ [380]ich in 8 Tagen in Ihre Stube; er ſol wenn nicht Ihrer, doch wenigſtens30 meiner würdiger werden, denn aus dem vorigen Aufſaze ſollen ſo viele Gedanken ausfallen als aus des Verfaſſers Kopfe Haare.
Ich hatte mir ſelber feſt verſprochen, Ihnen heute kein ernſthaftes Wort zu ſchreiben; aber ich belüge mich eben ſo wie andre und wil kein ſcherzhaftes mehr ſchreiben, weil ich da Ihren eben ſo ernſthaften als35 ſchönen Brief vor mich hergelegt, wo Sie mir, dem Sie noch keine
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Bei dieſem Titel denk’ ich im Grunde gar nichts, wiewol mir bis
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der Vorrede ſagen: „ich ſchämte mich halb, daß ich genöthigt wäre,
„durch eine Titel-Sonderbarkeit, die durchaus nicht zu umgehen war, 5
„denen Autoren ähnlich zu ſehen, die blos der Käufer und des
„Käufers (Verlegers) wegen, bunte Titel über ihre Werke klebten.
„Da mir aber daran gelegen wäre, die wenigen Naturforſcher, die
„dieſen Titel recht gut verſtänden, auf mich aufmerkſam zu machen:
„ſo möchten die Rezenſ[enten] ſo wie ich mir dieſe kleine Maçonſchürze 10
„verſtatten.“ Eben dieſe wenigen geheimen Naturforſcher werden
ohne mich einſehen, was ich in der Biographie ſelber haben wil,
welches die rechten Namen ſind und auf welchen unerwarteten Schlag
in dieſem Säkul — aber die Schwefel-Eidexe wird doch dem rothen
Löwen entſchlüpfen — durch dieſes Buch vorbereitet werden ſol. Dem 15
gröſſern Theile der Leſer ſag’ ich, daß ſie durch die höhern Beziehungen,
die ſich in den Roman verſtecken, nichts verlieren und daß es für ſie
eben ſoviel iſt als wenn er wirklich gar keine hätte. Ich ziehe zum
Beweiſe Homers Odyſſee an, die Aeneis, Virgils Eklogen, Dantes
Hölle ꝛc. die alle durch den myſtiſchen, allegoriſchen, politiſchen Kern 20
beim ungelehrten Leſer nichts verlieren, den der gelehrte riecht und
friſſet.
398. An Helene Köhler in Hof.
Schwarzenbach d. 20 Jul. 1792 [Freitag].
Unter allen Menſchen, theuerſte Freundin, lügt keiner ſo oft — er 25
mag Papiere oder Wetter verſprechen — als der, der die Ehre hat,
es hier Ihnen zu bekennen. Dasmal aber hätt’ er doch nicht gelogen,
wenn er nicht gefunden hätte, daß der Aufſaz, den er für Sie um-
ſchreiben wolte, lieber müſſe umgegoſſen werden: den Umguß trag’
ich in 8 Tagen in Ihre Stube; er ſol wenn nicht Ihrer, doch wenigſtens 30
meiner würdiger werden, denn aus dem vorigen Aufſaze ſollen ſo viele
Gedanken ausfallen als aus des Verfaſſers Kopfe Haare.
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Ich hatte mir ſelber feſt verſprochen, Ihnen heute kein ernſthaftes
Wort zu ſchreiben; aber ich belüge mich eben ſo wie andre und wil kein
ſcherzhaftes mehr ſchreiben, weil ich da Ihren eben ſo ernſthaften als 35
ſchönen Brief vor mich hergelegt, wo Sie mir, dem Sie noch keine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/387>, abgerufen am 26.11.2024.
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