"schikst du (muß ich mich fragen) einen deutschen Roman -- da diese "durch generatio aequivoca erzeugte Gattung von litterarischen "Leseleichen einen Man von Geschmak anekelt -- einem Manne, den "du so liebst, der dich so oft traurig gemacht, wenn er dir zeigte, was "das Leben ist und der Mensch, der sich darin zerblättert, was der dünne5 "spize Augenblik ist, auf dem wir stehen, und wie zwischen unserm kurzen "Schlafe und Traum ein [?] Erdbal und zwischen den länger Schlafenden [373]"und Träumenden ein wenig Erde liegt?" Eben darum, sag' ich. -- -- Man wird traurig, wenn man ein Buch endigt, weil man an alles denkt, was man noch endigen werde -- ich bin jezt nicht heiter genug, um10 deutlich zu sein. Da ich Ihnen das Buch schicke: so würd' ich die Meinung vergeblich zu verhehlen trachten, die ich von demselben habe und die mir nicht erlaubt, es wie einen amputierten Ldor auf der Buchhändler Börse zirkulieren zu lassen und es dem gefühllosen Tasten von geistigen Sklavenhändlern anzubieten, die ich nicht kenne.15 Es ist mir süsser, wenn ich weiß, ich schicke es zu einem Herzen, das, seine Superiorität abgerechnet, dem ähnlich ist, unter dem es getragen und genährt worden. Fanden Sie es nach dem Lesen desselben werth, von den wenigen gelesen zu werden, die Ihnen ähnlich: so bitt' ich Sie ihm durch Ihr Urtheil oder einige Blätter oder das Ganze eine mer-20 kantilische Hand zuzuwenden, die es aus der geschriebnen Welt in die gedrukte führe. -- Um Ihnen das Lesen des Ganzen zu ersparen oder zu erleichtern, wolt' ich Ihnen ein Inventarium der erträglichsten Stellen schicken; aber diese würden nichts taugen, wenn sie isoliert etwas taugten, und im Roman kan wie am Himmel nicht ein Luft-25 segment sondern [nur] die Lufthalbkugel die Täuschung des blauen Himmels geben. -- Diese Schriften, die einem Publikum nicht ge- fallen können, dem Kranz[ische] gefielen und das eben so viel Ge- schmak als Gelehrsamkeit besizt und nicht einmal die Mythologie (aus- genommen seit einigen Jahren) versteht, die jede Pariser Dame so30 gut auswendig kan wie die irdische Mythologie, den almanac royal. Nimt diesen Fötus einer an: etc. Da ich nicht weiß, ob Sie oder das Schiksal mir die Erlaubnis an Sie zu schreiben -- die ich mir mit zuviel Zudringlichkeit selbst genommen -- jemals wieder geben werden: so trenn' ich mich von Ihnen, geliebter Freund -- dessen35 Gange der Ideen ich soviel verdanke wie seinen Ideen und dessen Geschichte soviel wie sein Denken lehrt -- mit allen den Wünschen, die
„ſchikſt du (muß ich mich fragen) einen deutſchen Roman — da dieſe „durch generatio aequivoca erzeugte Gattung von litterariſchen „Leſeleichen einen Man von Geſchmak anekelt — einem Manne, den „du ſo liebſt, der dich ſo oft traurig gemacht, wenn er dir zeigte, was „das Leben iſt und der Menſch, der ſich darin zerblättert, was der dünne5 „ſpize Augenblik iſt, auf dem wir ſtehen, und wie zwiſchen unſerm kurzen „Schlafe und Traum ein [?] Erdbal und zwiſchen den länger Schlafenden [373]„und Träumenden ein wenig Erde liegt?“ Eben darum, ſag’ ich. — — Man wird traurig, wenn man ein Buch endigt, weil man an alles denkt, was man noch endigen werde — ich bin jezt nicht heiter genug, um10 deutlich zu ſein. Da ich Ihnen das Buch ſchicke: ſo würd’ ich die Meinung vergeblich zu verhehlen trachten, die ich von demſelben habe und die mir nicht erlaubt, es wie einen amputierten Ldor auf der Buchhändler Börſe zirkulieren zu laſſen und es dem gefühlloſen Taſten von geiſtigen Sklavenhändlern anzubieten, die ich nicht kenne.15 Es iſt mir ſüſſer, wenn ich weiß, ich ſchicke es zu einem Herzen, das, ſeine Superiorität abgerechnet, dem ähnlich iſt, unter dem es getragen und genährt worden. Fanden Sie es nach dem Leſen deſſelben werth, von den wenigen geleſen zu werden, die Ihnen ähnlich: ſo bitt’ ich Sie ihm durch Ihr Urtheil oder einige Blätter oder das Ganze eine mer-20 kantiliſche Hand zuzuwenden, die es aus der geſchriebnen Welt in die gedrukte führe. — Um Ihnen das Leſen des Ganzen zu erſparen oder zu erleichtern, wolt’ ich Ihnen ein Inventarium der erträglichſten Stellen ſchicken; aber dieſe würden nichts taugen, wenn ſie iſoliert etwas taugten, und im Roman kan wie am Himmel nicht ein Luft-25 ſegment ſondern [nur] die Lufthalbkugel die Täuſchung des blauen Himmels geben. — Dieſe Schriften, die einem Publikum nicht ge- fallen können, dem Kranz[iſche] gefielen und das eben ſo viel Ge- ſchmak als Gelehrſamkeit beſizt und nicht einmal die Mythologie (aus- genommen ſeit einigen Jahren) verſteht, die jede Pariſer Dame ſo30 gut auswendig kan wie die irdiſche Mythologie, den almanac royal. Nimt dieſen Fötus einer an: ꝛc. Da ich nicht weiß, ob Sie oder das Schikſal mir die Erlaubnis an Sie zu ſchreiben — die ich mir mit zuviel Zudringlichkeit ſelbſt genommen — jemals wieder geben werden: ſo trenn’ ich mich von Ihnen, geliebter Freund — deſſen35 Gange der Ideen ich ſoviel verdanke wie ſeinen Ideen und deſſen Geſchichte ſoviel wie ſein Denken lehrt — mit allen den Wünſchen, die
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0381"n="354"/>„ſchikſt du (muß ich mich fragen) einen deutſchen Roman — da dieſe<lb/>„durch <hirendition="#aq">generatio aequivoca</hi> erzeugte Gattung von litterariſchen<lb/>„Leſeleichen einen Man von Geſchmak anekelt — einem Manne, den<lb/>„du ſo liebſt, der dich ſo oft traurig gemacht, wenn er dir zeigte, was<lb/>„das Leben iſt und der Menſch, der ſich darin zerblättert, was der dünne<lbn="5"/>„ſpize Augenblik iſt, auf dem wir ſtehen, und wie zwiſchen unſerm kurzen<lb/>„Schlafe und Traum ein <metamark>[?]</metamark> Erdbal und zwiſchen den länger Schlafenden<lb/><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd#_373">[373]</ref></note>„und Träumenden ein wenig Erde liegt?“ Eben darum, ſag’ ich. ——<lb/>
Man wird traurig, wenn man ein Buch endigt, weil man an alles denkt,<lb/>
was man noch endigen werde — ich bin jezt nicht heiter genug, um<lbn="10"/>
deutlich zu ſein. Da ich Ihnen das Buch ſchicke: ſo würd’ ich die<lb/>
Meinung vergeblich zu verhehlen trachten, die ich von demſelben habe<lb/>
und die mir nicht erlaubt, es wie einen amputierten <hirendition="#aq">Ldor</hi> auf der<lb/>
Buchhändler Börſe zirkulieren zu laſſen und es dem gefühlloſen<lb/>
Taſten von geiſtigen Sklavenhändlern anzubieten, die ich nicht kenne.<lbn="15"/>
Es iſt mir ſüſſer, wenn ich weiß, ich ſchicke es zu einem Herzen, das,<lb/>ſeine Superiorität abgerechnet, dem ähnlich iſt, unter dem es getragen<lb/>
und genährt worden. Fanden Sie es nach dem Leſen deſſelben werth,<lb/>
von den wenigen geleſen zu werden, die Ihnen ähnlich: ſo bitt’ ich Sie<lb/>
ihm durch Ihr Urtheil oder einige Blätter oder das Ganze eine mer-<lbn="20"/>
kantiliſche Hand zuzuwenden, die es aus der geſchriebnen Welt in die<lb/>
gedrukte führe. — Um Ihnen das Leſen des Ganzen zu erſparen oder<lb/>
zu erleichtern, wolt’ ich Ihnen ein Inventarium der erträglichſten<lb/>
Stellen ſchicken; aber dieſe würden nichts taugen, wenn ſie iſoliert<lb/>
etwas taugten, und im Roman kan wie am Himmel nicht ein Luft-<lbn="25"/>ſegment ſondern <metamark>[</metamark>nur<metamark>]</metamark> die Lufthalbkugel die Täuſchung des blauen<lb/>
Himmels geben. — Dieſe Schriften, die einem Publikum nicht ge-<lb/>
fallen können, dem Kranz<metamark>[</metamark>iſche<metamark>]</metamark> gefielen und das eben ſo viel Ge-<lb/>ſchmak als Gelehrſamkeit beſizt und nicht einmal die Mythologie (aus-<lb/>
genommen ſeit <hirendition="#g">einigen</hi> Jahren) verſteht, die jede Pariſer Dame ſo<lbn="30"/>
gut auswendig kan wie die irdiſche Mythologie, den <hirendition="#aq">almanac royal.</hi><lb/>
Nimt dieſen Fötus einer an: ꝛc. Da ich nicht weiß, ob Sie oder das<lb/>
Schikſal mir die Erlaubnis an Sie zu ſchreiben — die ich mir mit<lb/>
zuviel Zudringlichkeit ſelbſt genommen — jemals wieder geben<lb/>
werden: ſo trenn’ ich mich von Ihnen, geliebter Freund — deſſen<lbn="35"/>
Gange der Ideen ich ſoviel verdanke wie ſeinen Ideen und deſſen<lb/>
Geſchichte ſoviel wie ſein Denken lehrt — mit allen den Wünſchen, die<lb/></p></div></body></text></TEI>
[354/0381]
„ſchikſt du (muß ich mich fragen) einen deutſchen Roman — da dieſe
„durch generatio aequivoca erzeugte Gattung von litterariſchen
„Leſeleichen einen Man von Geſchmak anekelt — einem Manne, den
„du ſo liebſt, der dich ſo oft traurig gemacht, wenn er dir zeigte, was
„das Leben iſt und der Menſch, der ſich darin zerblättert, was der dünne 5
„ſpize Augenblik iſt, auf dem wir ſtehen, und wie zwiſchen unſerm kurzen
„Schlafe und Traum ein [?] Erdbal und zwiſchen den länger Schlafenden
„und Träumenden ein wenig Erde liegt?“ Eben darum, ſag’ ich. — —
Man wird traurig, wenn man ein Buch endigt, weil man an alles denkt,
was man noch endigen werde — ich bin jezt nicht heiter genug, um 10
deutlich zu ſein. Da ich Ihnen das Buch ſchicke: ſo würd’ ich die
Meinung vergeblich zu verhehlen trachten, die ich von demſelben habe
und die mir nicht erlaubt, es wie einen amputierten Ldor auf der
Buchhändler Börſe zirkulieren zu laſſen und es dem gefühlloſen
Taſten von geiſtigen Sklavenhändlern anzubieten, die ich nicht kenne. 15
Es iſt mir ſüſſer, wenn ich weiß, ich ſchicke es zu einem Herzen, das,
ſeine Superiorität abgerechnet, dem ähnlich iſt, unter dem es getragen
und genährt worden. Fanden Sie es nach dem Leſen deſſelben werth,
von den wenigen geleſen zu werden, die Ihnen ähnlich: ſo bitt’ ich Sie
ihm durch Ihr Urtheil oder einige Blätter oder das Ganze eine mer- 20
kantiliſche Hand zuzuwenden, die es aus der geſchriebnen Welt in die
gedrukte führe. — Um Ihnen das Leſen des Ganzen zu erſparen oder
zu erleichtern, wolt’ ich Ihnen ein Inventarium der erträglichſten
Stellen ſchicken; aber dieſe würden nichts taugen, wenn ſie iſoliert
etwas taugten, und im Roman kan wie am Himmel nicht ein Luft- 25
ſegment ſondern [nur] die Lufthalbkugel die Täuſchung des blauen
Himmels geben. — Dieſe Schriften, die einem Publikum nicht ge-
fallen können, dem Kranz[iſche] gefielen und das eben ſo viel Ge-
ſchmak als Gelehrſamkeit beſizt und nicht einmal die Mythologie (aus-
genommen ſeit einigen Jahren) verſteht, die jede Pariſer Dame ſo 30
gut auswendig kan wie die irdiſche Mythologie, den almanac royal.
Nimt dieſen Fötus einer an: ꝛc. Da ich nicht weiß, ob Sie oder das
Schikſal mir die Erlaubnis an Sie zu ſchreiben — die ich mir mit
zuviel Zudringlichkeit ſelbſt genommen — jemals wieder geben
werden: ſo trenn’ ich mich von Ihnen, geliebter Freund — deſſen 35
Gange der Ideen ich ſoviel verdanke wie ſeinen Ideen und deſſen
Geſchichte ſoviel wie ſein Denken lehrt — mit allen den Wünſchen, die
[373]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/381>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.