Hier ist mein mit mehr Vergnügen als Glük gemachter Versuch, von dem ich froh sein werde, wenn zu grosse Länge und Feierlichkeit seine grösten Fehler sind. Gefält er meiner Richterin und meinem Richter5 nicht etc. In 2 Stunden werd' ich Sie versichern, daß ich bin etc.
389. An Helene Köhler.
Schwarzenbach den 31 Mai 1792.
100,000,000,000 Ideen fliegen mir jezt durch den Kopf und doch passet keine her. Es ist leichter und angenehmer mit Ihnen in Krötenhof10 zu gehen als Ihnen in Hölzels Palais zu schreiben. Unter mir wird jezt gespuhlet -- neben mir gezwirnt -- draussen gehämmert: und doch sol ich unter diesem Lärm einen Brief machen, in dem ich stat des Garns Gedanken spuhle und zwirne.
Das Beste ist noch, daß Sie Unrecht haben -- nämlich in dem15 Punkte, worüber wir neulich ein Treffen zu Lande lieferten, in welchem ich gegen Sie verfocht, daß die Frauenzimmer selten Recht hätten Nonnen zu bleiben. Ich wil in diesem närrischen Briefe unser neu- liches Gespräch wiederholen und mir die Freiheit nehmen, Sie unter dem Namen Demokratin -- weil Sie eine Schuzgöttin für die20 Freiheit der Frauenzimmer sein wollen -- und mich unter dem Namen Kaplan -- weil ich in Ihrem werthen Hause einmal abends um 101/2 Uhr dazu umgetauft worden -- aufzuführen. Wir wollen beide unsre neuliche Wald- und Katheder-Rollen vergessen und uns weismachen, wir giengen in Krötenhof neben der Demokratin und25 dem Kaplan her und horchten ihnen hinter den Bäumen zu.
Die gute liebe Demokratin sagte: "Solte ein Mädgen, das diesen "Namen bis ins Alter bewahrt, die satirischen Pfeile verdienen, die "aus jedem Munde und jedem Buchladen auf ein gutes Geschöpf ab- "fliegen, das zu gut ist, andre fesseln zu wollen oder sich fesseln zu30 [370]"lassen?"
Der Kaplan, der einen vergnügten Abend hatte, versezte: "im "Grunde verdienen alle Menschen oder keiner Satiren: denn wir "haben alle mehr Thorheiten als Haare. Aber womit wil sich Ihre "gute Nonne vertheidigen?"35
388. An Friederike Otto.
[Kopie][Schwarzenbach, 11. Mai 1792]
Hier iſt mein mit mehr Vergnügen als Glük gemachter Verſuch, von dem ich froh ſein werde, wenn zu groſſe Länge und Feierlichkeit ſeine gröſten Fehler ſind. Gefält er meiner Richterin und meinem Richter5 nicht ꝛc. In 2 Stunden werd’ ich Sie verſichern, daß ich bin ꝛc.
389. An Helene Köhler.
Schwarzenbach den 31 Mai 1792.
100,000,000,000 Ideen fliegen mir jezt durch den Kopf und doch paſſet keine her. Es iſt leichter und angenehmer mit Ihnen in Krötenhof10 zu gehen als Ihnen in Hölzels Palais zu ſchreiben. Unter mir wird jezt geſpuhlet — neben mir gezwirnt — drauſſen gehämmert: und doch ſol ich unter dieſem Lärm einen Brief machen, in dem ich ſtat des Garns Gedanken ſpuhle und zwirne.
Das Beſte iſt noch, daß Sie Unrecht haben — nämlich in dem15 Punkte, worüber wir neulich ein Treffen zu Lande lieferten, in welchem ich gegen Sie verfocht, daß die Frauenzimmer ſelten Recht hätten Nonnen zu bleiben. Ich wil in dieſem närriſchen Briefe unſer neu- liches Geſpräch wiederholen und mir die Freiheit nehmen, Sie unter dem Namen Demokratin — weil Sie eine Schuzgöttin für die20 Freiheit der Frauenzimmer ſein wollen — und mich unter dem Namen Kaplan — weil ich in Ihrem werthen Hauſe einmal abends um 10½ Uhr dazu umgetauft worden — aufzuführen. Wir wollen beide unſre neuliche Wald- und Katheder-Rollen vergeſſen und uns weismachen, wir giengen in Krötenhof neben der Demokratin und25 dem Kaplan her und horchten ihnen hinter den Bäumen zu.
Die gute liebe Demokratin ſagte: „Solte ein Mädgen, das dieſen „Namen bis ins Alter bewahrt, die ſatiriſchen Pfeile verdienen, die „aus jedem Munde und jedem Buchladen auf ein gutes Geſchöpf ab- „fliegen, das zu gut iſt, andre feſſeln zu wollen oder ſich feſſeln zu30 [370]„laſſen?“
Der Kaplan, der einen vergnügten Abend hatte, verſezte: „im „Grunde verdienen alle Menſchen oder keiner Satiren: denn wir „haben alle mehr Thorheiten als Haare. Aber womit wil ſich Ihre „gute Nonne vertheidigen?“35
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dem ich froh ſein werde, wenn zu groſſe Länge und Feierlichkeit ſeine
gröſten Fehler ſind. Gefält er meiner Richterin und meinem Richter 5
nicht ꝛc. In 2 Stunden werd’ ich Sie verſichern, daß ich bin ꝛc.
389. An Helene Köhler.
Schwarzenbach den 31 Mai 1792.
100,000,000,000 Ideen fliegen mir jezt durch den Kopf und doch
paſſet keine her. Es iſt leichter und angenehmer mit Ihnen in Krötenhof 10
zu gehen als Ihnen in Hölzels Palais zu ſchreiben. Unter mir wird
jezt geſpuhlet — neben mir gezwirnt — drauſſen gehämmert: und
doch ſol ich unter dieſem Lärm einen Brief machen, in dem ich ſtat des
Garns Gedanken ſpuhle und zwirne.
Das Beſte iſt noch, daß Sie Unrecht haben — nämlich in dem 15
Punkte, worüber wir neulich ein Treffen zu Lande lieferten, in welchem
ich gegen Sie verfocht, daß die Frauenzimmer ſelten Recht hätten
Nonnen zu bleiben. Ich wil in dieſem närriſchen Briefe unſer neu-
liches Geſpräch wiederholen und mir die Freiheit nehmen, Sie unter
dem Namen Demokratin — weil Sie eine Schuzgöttin für die 20
Freiheit der Frauenzimmer ſein wollen — und mich unter dem
Namen Kaplan — weil ich in Ihrem werthen Hauſe einmal abends
um 10½ Uhr dazu umgetauft worden — aufzuführen. Wir wollen
beide unſre neuliche Wald- und Katheder-Rollen vergeſſen und uns
weismachen, wir giengen in Krötenhof neben der Demokratin und 25
dem Kaplan her und horchten ihnen hinter den Bäumen zu.
Die gute liebe Demokratin ſagte: „Solte ein Mädgen, das dieſen
„Namen bis ins Alter bewahrt, die ſatiriſchen Pfeile verdienen, die
„aus jedem Munde und jedem Buchladen auf ein gutes Geſchöpf ab-
„fliegen, das zu gut iſt, andre feſſeln zu wollen oder ſich feſſeln zu 30
„laſſen?“
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Der Kaplan, der einen vergnügten Abend hatte, verſezte: „im
„Grunde verdienen alle Menſchen oder keiner Satiren: denn wir
„haben alle mehr Thorheiten als Haare. Aber womit wil ſich Ihre
„gute Nonne vertheidigen?“ 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/376>, abgerufen am 25.07.2024.
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