Um dein leztes Urtheil über mein Buch bitt' ich dich auf den Son- abend sehr. Vom ersten Urtheile befürcht' ich die Zurüknahme weniger des Tadels als des Beifals. Eile, damit ich eile. Ich kan die Volständig- keit deiner vorigen Rezensionen nicht begehren, bei 60 Bogen: also be- ziehe dich nicht auf Sektores, sondern nur auf Nummern (ich kans5 auswendig und finde mich schon in deine Zitazionen) und merk' blos an Dunkelheit -- Karakter-Verstösse -- Fehler des Plans -- Unter- brechung des Interesse (z. B. die 3 Briefe Gustav's bedürfen, wie die fürstliche und Bousische Verführungs-Szenen eine gänzliche Einschmel- zung). -- Es ist so leicht, den Leser zu interessieren -- ohne Wiz, ohne10 Empfindung, ohne Wahrheit, durch blosse Geschichte wie es auch eine Stadtanekdote thut, oder wie zum Theil Schulz es in seinem Moriz durch zusammengerükte Begebenheiten thut, einige Bemerkungen aus- genommen, die aber das Interesse mehr entschuldigen als geben -- so leicht also, und von der andern Seite so unwürdig einer menschlichen15 Anstrengung, daß mir mein zu schwerer Zwek, Empfindungen und Wahrheiten darzustellen, lieber ist als jeder andre, den ich besser erreichte. -- Ich werde, wie im Handeln, so im Schreiben, meistens dir gegen mich recht geben; aber vielleicht werd ich zu Aenderungen, die die Kritik befiehlt, nur den Willen, nicht das Vermögen haben u. s. w.20
Es ist 1/2 Zwölf Uhr. -- Also am Sonabend, am Sonabend -- um 1/2 4 kom ich, da liegts schon auf der Kommode, ich lob' dich dan am 17 März und werde sagen: "ich hätt 100 rtl. darauf gewettet, er hat wieder nichts fertig, Fabius cunct[ator]."
Noch ein Wort: im Vivats-Konzert war ich gerade mit niemand25 mehr unzufrieden als mit mir, und mit niemand weniger als dir und ich lobte dich ein Paarmal innerlich ... Siehest du, so sind deine Syllogis- men aus dem Zufal; ich mach' es aber eben so und noch mehr.
R.
385. An Dr.Isenflamm in Erlangen.30
[Kopie][Schwarzenbach, 8. Mai 1792]
.... Wir machen es wie die Juden, die von den Jüngern, die das [368]Wunder nicht thun konten, zu dem Hern giengen, der es volendete. Meine histerische Frage, ob der intermittierende Puls, der wie die Frage eine Folge meiner Hypochondrie ist, deren materia medica die35
Um dein leztes Urtheil über mein Buch bitt’ ich dich auf den Son- abend ſehr. Vom erſten Urtheile befürcht’ ich die Zurüknahme weniger des Tadels als des Beifals. Eile, damit ich eile. Ich kan die Volſtändig- keit deiner vorigen Rezenſionen nicht begehren, bei 60 Bogen: alſo be- ziehe dich nicht auf Sektores, ſondern nur auf Nummern (ich kans5 auswendig und finde mich ſchon in deine Zitazionen) und merk’ blos an Dunkelheit — Karakter-Verſtöſſe — Fehler des Plans — Unter- brechung des Intereſſe (z. B. die 3 Briefe Guſtav’s bedürfen, wie die fürſtliche und Bouſiſche Verführungs-Szenen eine gänzliche Einſchmel- zung). — Es iſt ſo leicht, den Leſer zu intereſſieren — ohne Wiz, ohne10 Empfindung, ohne Wahrheit, durch bloſſe Geſchichte wie es auch eine Stadtanekdote thut, oder wie zum Theil Schulz es in ſeinem Moriz durch zuſammengerükte Begebenheiten thut, einige Bemerkungen aus- genommen, die aber das Intereſſe mehr entſchuldigen als geben — ſo leicht alſo, und von der andern Seite ſo unwürdig einer menſchlichen15 Anſtrengung, daß mir mein zu ſchwerer Zwek, Empfindungen und Wahrheiten darzuſtellen, lieber iſt als jeder andre, den ich beſſer erreichte. — Ich werde, wie im Handeln, ſo im Schreiben, meiſtens dir gegen mich recht geben; aber vielleicht werd ich zu Aenderungen, die die Kritik befiehlt, nur den Willen, nicht das Vermögen haben u. ſ. w.20
Es iſt ½ Zwölf Uhr. — Alſo am Sonabend, am Sonabend — um ½ 4 kom ich, da liegts ſchon auf der Kommode, ich lob’ dich dan am 17 März und werde ſagen: „ich hätt 100 rtl. darauf gewettet, er hat wieder nichts fertig, Fabius cunct[ator].“
Noch ein Wort: im Vivats-Konzert war ich gerade mit niemand25 mehr unzufrieden als mit mir, und mit niemand weniger als dir und ich lobte dich ein Paarmal innerlich … Sieheſt du, ſo ſind deine Syllogiſ- men aus dem Zufal; ich mach’ es aber eben ſo und noch mehr.
R.
385. An Dr.Iſenflamm in Erlangen.30
[Kopie][Schwarzenbach, 8. Mai 1792]
.... Wir machen es wie die Juden, die von den Jüngern, die das [368]Wunder nicht thun konten, zu dem Hern giengen, der es volendete. Meine hiſteriſche Frage, ob der intermittierende Puls, der wie die Frage eine Folge meiner Hypochondrie iſt, deren materia medica die35
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des Tadels als des Beifals. Eile, damit ich eile. Ich kan die Volſtändig-
keit deiner vorigen Rezenſionen nicht begehren, bei 60 Bogen: alſo be-
ziehe dich nicht auf Sektores, ſondern nur auf Nummern (ich kans 5
auswendig und finde mich ſchon in deine Zitazionen) und merk’ blos an
Dunkelheit — Karakter-Verſtöſſe — Fehler des Plans — Unter-
brechung des Intereſſe (z. B. die 3 Briefe Guſtav’s bedürfen, wie die
fürſtliche und Bouſiſche Verführungs-Szenen eine gänzliche Einſchmel-
zung). — Es iſt ſo leicht, den Leſer zu intereſſieren — ohne Wiz, ohne 10
Empfindung, ohne Wahrheit, durch bloſſe Geſchichte wie es auch eine
Stadtanekdote thut, oder wie zum Theil Schulz es in ſeinem Moriz
durch zuſammengerükte Begebenheiten thut, einige Bemerkungen aus-
genommen, die aber das Intereſſe mehr entſchuldigen als geben — ſo
leicht alſo, und von der andern Seite ſo unwürdig einer menſchlichen 15
Anſtrengung, daß mir mein zu ſchwerer Zwek, Empfindungen und
Wahrheiten darzuſtellen, lieber iſt als jeder andre, den ich beſſer
erreichte. — Ich werde, wie im Handeln, ſo im Schreiben, meiſtens dir
gegen mich recht geben; aber vielleicht werd ich zu Aenderungen, die
die Kritik befiehlt, nur den Willen, nicht das Vermögen haben u. ſ. w. 20
Es iſt ½ Zwölf Uhr. — Alſo am Sonabend, am Sonabend — um
½ 4 kom ich, da liegts ſchon auf der Kommode, ich lob’ dich dan am
17 März und werde ſagen: „ich hätt 100 rtl. darauf gewettet, er hat
wieder nichts fertig, Fabius cunct[ator].“
Noch ein Wort: im Vivats-Konzert war ich gerade mit niemand 25
mehr unzufrieden als mit mir, und mit niemand weniger als dir und ich
lobte dich ein Paarmal innerlich … Sieheſt du, ſo ſind deine Syllogiſ-
men aus dem Zufal; ich mach’ es aber eben ſo und noch mehr.
R.
385. An Dr. Iſenflamm in Erlangen. 30
[Schwarzenbach, 8. Mai 1792]
.... Wir machen es wie die Juden, die von den Jüngern, die das
Wunder nicht thun konten, zu dem Hern giengen, der es volendete.
Meine hiſteriſche Frage, ob der intermittierende Puls, der wie die
Frage eine Folge meiner Hypochondrie iſt, deren materia medica die 35
[368]
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/374>, abgerufen am 25.07.2024.
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