Abmarkung der Wissenschaften kan nur in Zeiten fallen, wo ihr Feld gros ist; je kleiner, desto mehr Polyhistors -- so endlich Westen-, Hosen-, Rokschneider. -- daß nur ein Gleichgewicht zwischen Krone und Krone, nicht zwischen Krone und Unterthanen geboren wird, daß[364] zwar Vergrössern verhütet wird, daß aber die Grösse bleibt und daß,5 da die Zahl einander temperierender Staaten wilkürlich ist, im Grund, da einmal nur 2 Staaten, der Kirchen- und der weltliche Staat, wie Mufti und Sultan gegen ein[ander] im Gleichgewicht, auch das euro- päische beinahe, aber ohne jene [?] Wirkung dagewesen ist. -- Richte [dich] nicht nach meinen Worten, deren keines ich im Vertrauen auf10 deine Exegese auf grosse oder kleine Wagen legte. -- Ich leihe dir meine Kritik nur wie der Jude, der sich das Doppelte dokumentieren lässet und der mit einem Roman ankömt und sich ganz anders wil bezahlen [lassen] als er geborgt hat.
383. An Christian Otto.15
[Schwarzenbach] 25 Feb. 1792 [Sonnabend].
Lieber Otto!
Endlich ist nach einem Jahr die konvulsivische Geburtszeit meines Romans vorüber. Ich wolt dir tausend Dinge sagen; folglich kan ich gar keines. -- Wo fang' ich an? -- In der künftigen Woche, wo ich nichts20 zu thun habe, wil ich über meinen und alle Romane reden. -- Apropos: auf dem Titel des meinigen steht mit "romantische Biographie".
Ich kont' es nimmer erwarten, ihn dir zu geben -- also bekömst du ihn mit allen Lücken, mit allen Mängeln, die ich selber sehe und aus Minuten-Armuth stehen lassen muß, und mit leeren Seiten und ohne25 satirische oder philosophasterische Digressionen. Ich wil es doch noch einmal sagen: daß ich ihn noch nicht korrigiert habe und daß die lezten 2/3 der erste Ausbruch aus meiner Konzept-Feder sind.
Wie ein Vieh hab ich diese Woche geschrieben -- der Appetit ist längst fort -- je näher man dem Ende kömt, desto krampfhafter30 schreibt man und ich, der ich sonst alle 2 Tage schrieb, brütet täglich 2 mal daran.
In acht Tagen sei so gut (ich kans nicht erwarten) und schreibe mir ein algemeines Urtheil darüber: das entwickelte kanst du eine Woche später fällen. --35
Abmarkung der Wiſſenſchaften kan nur in Zeiten fallen, wo ihr Feld gros iſt; je kleiner, deſto mehr Polyhiſtors — ſo endlich Weſten-, Hoſen-, Rokſchneider. — daß nur ein Gleichgewicht zwiſchen Krone und Krone, nicht zwiſchen Krone und Unterthanen geboren wird, daß[364] zwar Vergröſſern verhütet wird, daß aber die Gröſſe bleibt und daß,5 da die Zahl einander temperierender Staaten wilkürlich iſt, im Grund, da einmal nur 2 Staaten, der Kirchen- und der weltliche Staat, wie Mufti und Sultan gegen ein[ander] im Gleichgewicht, auch das euro- päiſche beinahe, aber ohne jene [?] Wirkung dageweſen iſt. — Richte [dich] nicht nach meinen Worten, deren keines ich im Vertrauen auf10 deine Exegeſe auf groſſe oder kleine Wagen legte. — Ich leihe dir meine Kritik nur wie der Jude, der ſich das Doppelte dokumentieren läſſet und der mit einem Roman ankömt und ſich ganz anders wil bezahlen [laſſen] als er geborgt hat.
383. An Chriſtian Otto.15
[Schwarzenbach] 25 Feb. 1792 [Sonnabend].
Lieber Otto!
Endlich iſt nach einem Jahr die konvulſiviſche Geburtszeit meines Romans vorüber. Ich wolt dir tauſend Dinge ſagen; folglich kan ich gar keines. — Wo fang’ ich an? — In der künftigen Woche, wo ich nichts20 zu thun habe, wil ich über meinen und alle Romane reden. — Apropos: auf dem Titel des meinigen ſteht mit „romantiſche Biographie“.
Ich kont’ es nimmer erwarten, ihn dir zu geben — alſo bekömſt du ihn mit allen Lücken, mit allen Mängeln, die ich ſelber ſehe und aus Minuten-Armuth ſtehen laſſen muß, und mit leeren Seiten und ohne25 ſatiriſche oder philoſophaſteriſche Digreſſionen. Ich wil es doch noch einmal ſagen: daß ich ihn noch nicht korrigiert habe und daß die lezten ⅔ der erſte Ausbruch aus meiner Konzept-Feder ſind.
Wie ein Vieh hab ich dieſe Woche geſchrieben — der Appetit iſt längſt fort — je näher man dem Ende kömt, deſto krampfhafter30 ſchreibt man und ich, der ich ſonſt alle 2 Tage ſchrieb, brütet täglich 2 mal daran.
In acht Tagen ſei ſo gut (ich kans nicht erwarten) und ſchreibe mir ein algemeines Urtheil darüber: das entwickelte kanſt du eine Woche ſpäter fällen. —35
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Abmarkung der Wiſſenſchaften kan nur in Zeiten fallen, wo ihr Feld
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Hoſen-, Rokſchneider. — daß nur ein Gleichgewicht zwiſchen Krone
und Krone, nicht zwiſchen Krone und Unterthanen geboren wird, daß
zwar Vergröſſern verhütet wird, daß aber die Gröſſe bleibt und daß, 5
da die Zahl einander temperierender Staaten wilkürlich iſt, im Grund,
da einmal nur 2 Staaten, der Kirchen- und der weltliche Staat, wie
Mufti und Sultan gegen ein[ander] im Gleichgewicht, auch das euro-
päiſche beinahe, aber ohne jene [?] Wirkung dageweſen iſt. — Richte
[dich] nicht nach meinen Worten, deren keines ich im Vertrauen auf 10
deine Exegeſe auf groſſe oder kleine Wagen legte. — Ich leihe dir
meine Kritik nur wie der Jude, der ſich das Doppelte dokumentieren
läſſet und der mit einem Roman ankömt und ſich ganz anders wil
bezahlen [laſſen] als er geborgt hat.
[364]
383. An Chriſtian Otto. 15
[Schwarzenbach] 25 Feb. 1792 [Sonnabend].
Lieber Otto!
Endlich iſt nach einem Jahr die konvulſiviſche Geburtszeit meines
Romans vorüber. Ich wolt dir tauſend Dinge ſagen; folglich kan ich gar
keines. — Wo fang’ ich an? — In der künftigen Woche, wo ich nichts 20
zu thun habe, wil ich über meinen und alle Romane reden. — Apropos:
auf dem Titel des meinigen ſteht mit „romantiſche Biographie“.
Ich kont’ es nimmer erwarten, ihn dir zu geben — alſo bekömſt du
ihn mit allen Lücken, mit allen Mängeln, die ich ſelber ſehe und aus
Minuten-Armuth ſtehen laſſen muß, und mit leeren Seiten und ohne 25
ſatiriſche oder philoſophaſteriſche Digreſſionen. Ich wil es doch noch
einmal ſagen: daß ich ihn noch nicht korrigiert habe und daß die lezten
⅔ der erſte Ausbruch aus meiner Konzept-Feder ſind.
Wie ein Vieh hab ich dieſe Woche geſchrieben — der Appetit iſt
längſt fort — je näher man dem Ende kömt, deſto krampfhafter 30
ſchreibt man und ich, der ich ſonſt alle 2 Tage ſchrieb, brütet täglich
2 mal daran.
In acht Tagen ſei ſo gut (ich kans nicht erwarten) und ſchreibe mir
ein algemeines Urtheil darüber: das entwickelte kanſt du eine Woche
ſpäter fällen. — 35
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/371>, abgerufen am 25.07.2024.
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