und Alten nicht so wol zu verstehen (das kan ieder erlernen) als zu goutieren (welches von Got herkömt). Denk' ich Unrecht, wenn ich glaube, daß sonach ia auch alle Deutsche, die das Deutsche in der biblischen Geschichte inne hätten, die Messiade von Klopstok fühlen müsten, welches doch gar nicht ist. Und es wil mir vorkommen, daß5 wenn man auch einer Kleopatra Schleier und alle Röcke und Strümpfe abzöge, es einem Hämling im Serail nichts rechts hälfe. Anlangend Primaner: so hat noch keiner in allen primis einen Auktor aus dem goldnen Zeitalter goutiert, weil dieser Geschmak etc. ein Allerheiligstes ist, in das man den Weg erst durch den Heiden- und Weibervorhof des10 schlimmen Geschmaks und durch das Heilige des feinen nimt. Indes nehm' ich mein Urtheil von Primanern gern zurük ... Schlechter Geschmak kömt mit [?] daher, daß ich den Xenophon, Homer nicht zum Schulfenster hinauswerfen darf. Leider ists Reich der Wahrheit das Reich der Paradoxie. --15
Können Sie nicht Herrenschmidts osculologie für mich erstehen, weil ich ihn haben mus, um nur, wenn mich einer fragt: was ist ein Kus, mit einer Nominaldefinizion und einigen litterarischen Notizen[354] bei der Hand zu sein. Hier wil mirs kein Teufel definieren.
Am Mitwoch nach Ostern [27. April].20
"Die Feiertage sind fort" sagt ieder mit einem Seufzer über den Falkenflug der Erdenfreude. Heuer besteht für mich der Mai etc. aus lauter Feiertagen, weil diesen ganzen Sommer nach den besten meteoro- logischen Nativitätstellern und Teraphim am blossen nakten Himmel nichts zu sehen sein wird als die Sonne. Geniessen Sie den Mai, wo25 die Natur die ausgewinterte Erde mit Blüten räuchert .... Die Besorg- nis (Sie sind bös) hat Ihr Stilschweigen und erster Brief bestätigt, Ihr 2ter geschwächt und Ihr dritter möge sie tilgen. Ich bin vor dem Angesicht des ganzen liebenden Frühlings etc.
374. An Christian Otto.30
Schwarzenbach den 3 Mai 91.
Lieber Otto
Alles Feuer das in den Entschlus kömt, wird der Ausführung ent- zogen -- gegen dieses Wechselfieber so wie gegen das langsame Nerven- fieber aller Stubensizer, mit allem zu zögern und zu zögern, medizinier'35
und Alten nicht ſo wol zu verſtehen (das kan ieder erlernen) als zu goutieren (welches von Got herkömt). Denk’ ich Unrecht, wenn ich glaube, daß ſonach ia auch alle Deutſche, die das Deutſche in der bibliſchen Geſchichte inne hätten, die Meſſiade von Klopſtok fühlen müſten, welches doch gar nicht iſt. Und es wil mir vorkommen, daß5 wenn man auch einer Kleopatra Schleier und alle Röcke und Strümpfe abzöge, es einem Hämling im Serail nichts rechts hälfe. Anlangend Primaner: ſo hat noch keiner in allen primis einen Auktor aus dem goldnen Zeitalter goutiert, weil dieſer Geſchmak ꝛc. ein Allerheiligſtes iſt, in das man den Weg erſt durch den Heiden- und Weibervorhof des10 ſchlimmen Geſchmaks und durch das Heilige des feinen nimt. Indes nehm’ ich mein Urtheil von Primanern gern zurük … Schlechter Geſchmak kömt mit [?] daher, daß ich den Xenophon, Homer nicht zum Schulfenſter hinauswerfen darf. Leider iſts Reich der Wahrheit das Reich der Paradoxie. —15
Können Sie nicht Herrenſchmidts osculologie für mich erſtehen, weil ich ihn haben mus, um nur, wenn mich einer fragt: was iſt ein Kus, mit einer Nominaldefinizion und einigen litterariſchen Notizen[354] bei der Hand zu ſein. Hier wil mirs kein Teufel definieren.
Am Mitwoch nach Oſtern [27. April].20
„Die Feiertage ſind fort“ ſagt ieder mit einem Seufzer über den Falkenflug der Erdenfreude. Heuer beſteht für mich der Mai ꝛc. aus lauter Feiertagen, weil dieſen ganzen Sommer nach den beſten meteoro- logiſchen Nativitätſtellern und Teraphim am bloſſen nakten Himmel nichts zu ſehen ſein wird als die Sonne. Genieſſen Sie den Mai, wo25 die Natur die ausgewinterte Erde mit Blüten räuchert .... Die Beſorg- nis (Sie ſind bös) hat Ihr Stilſchweigen und erſter Brief beſtätigt, Ihr 2ter geſchwächt und Ihr dritter möge ſie tilgen. Ich bin vor dem Angeſicht des ganzen liebenden Frühlings ꝛc.
374. An Chriſtian Otto.30
Schwarzenbach den 3 Mai 91.
Lieber Otto
Alles Feuer das in den Entſchlus kömt, wird der Ausführung ent- zogen — gegen dieſes Wechſelfieber ſo wie gegen das langſame Nerven- fieber aller Stubenſizer, mit allem zu zögern und zu zögern, medizinier’35
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0361"n="335"/>
und Alten nicht ſo wol zu verſtehen (das kan ieder erlernen) als zu<lb/>
goutieren (welches von Got herkömt). Denk’ ich Unrecht, wenn ich<lb/>
glaube, daß ſonach ia auch alle Deutſche, die das Deutſche in der<lb/>
bibliſchen Geſchichte inne hätten, die Meſſiade von Klopſtok fühlen<lb/>
müſten, welches doch gar nicht iſt. Und es wil mir vorkommen, daß<lbn="5"/>
wenn man auch einer Kleopatra Schleier und alle Röcke und Strümpfe<lb/>
abzöge, es einem Hämling im <hirendition="#aq">Serail</hi> nichts rechts hälfe. Anlangend<lb/>
Primaner: ſo hat noch keiner in allen <hirendition="#aq">primis</hi> einen Auktor aus dem<lb/>
goldnen Zeitalter goutiert, weil dieſer Geſchmak ꝛc. ein Allerheiligſtes<lb/>
iſt, in das man den Weg erſt durch den Heiden- und Weibervorhof des<lbn="10"/>ſchlimmen Geſchmaks und durch das Heilige des feinen nimt. Indes<lb/>
nehm’ ich mein Urtheil von Primanern gern zurük … Schlechter<lb/>
Geſchmak kömt mit <metamark>[?]</metamark> daher, daß ich den Xenophon, Homer nicht<lb/>
zum Schulfenſter hinauswerfen darf. Leider iſts Reich der Wahrheit<lb/>
das Reich der Paradoxie. —<lbn="15"/></p><p>Können Sie nicht Herrenſchmidts <hirendition="#aq">osculologie</hi> für mich erſtehen,<lb/>
weil ich ihn haben mus, um nur, wenn mich einer fragt: was iſt ein<lb/>
Kus, mit einer Nominaldefinizion und einigen litterariſchen Notizen<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd#_354">[354]</ref></note><lb/>
bei der Hand zu ſein. Hier wil mirs kein Teufel definieren.</p><lb/><p>Am Mitwoch nach Oſtern <metamark>[</metamark>27. April<metamark>]</metamark>.<lbn="20"/></p><p>„Die Feiertage ſind fort“ſagt ieder mit einem Seufzer über den<lb/>
Falkenflug der Erdenfreude. Heuer beſteht für mich der Mai ꝛc. aus<lb/>
lauter Feiertagen, weil dieſen ganzen Sommer nach den beſten meteoro-<lb/>
logiſchen Nativitätſtellern und Teraphim am bloſſen nakten Himmel<lb/>
nichts zu ſehen ſein wird als die Sonne. Genieſſen Sie den Mai, wo<lbn="25"/>
die Natur die ausgewinterte Erde mit Blüten räuchert .... Die Beſorg-<lb/>
nis (Sie ſind bös) hat Ihr Stilſchweigen und erſter Brief beſtätigt,<lb/>
Ihr 2<hirendition="#sup">ter</hi> geſchwächt und Ihr dritter möge ſie tilgen. Ich bin vor dem<lb/>
Angeſicht des ganzen liebenden Frühlings ꝛc.</p></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>374. An <hirendition="#g">Chriſtian Otto.</hi><lbn="30"/></head><dateline><hirendition="#right">Schwarzenbach den 3 Mai 91.</hi></dateline><lb/><opener><salute><hirendition="#et">Lieber Otto</hi></salute></opener><lb/><p>Alles Feuer das in den Entſchlus kömt, wird der Ausführung ent-<lb/>
zogen — gegen dieſes Wechſelfieber ſo wie gegen das langſame Nerven-<lb/>
fieber aller Stubenſizer, mit allem zu zögern und zu zögern, medizinier’<lbn="35"/><lb/></p></div></body></text></TEI>
[335/0361]
und Alten nicht ſo wol zu verſtehen (das kan ieder erlernen) als zu
goutieren (welches von Got herkömt). Denk’ ich Unrecht, wenn ich
glaube, daß ſonach ia auch alle Deutſche, die das Deutſche in der
bibliſchen Geſchichte inne hätten, die Meſſiade von Klopſtok fühlen
müſten, welches doch gar nicht iſt. Und es wil mir vorkommen, daß 5
wenn man auch einer Kleopatra Schleier und alle Röcke und Strümpfe
abzöge, es einem Hämling im Serail nichts rechts hälfe. Anlangend
Primaner: ſo hat noch keiner in allen primis einen Auktor aus dem
goldnen Zeitalter goutiert, weil dieſer Geſchmak ꝛc. ein Allerheiligſtes
iſt, in das man den Weg erſt durch den Heiden- und Weibervorhof des 10
ſchlimmen Geſchmaks und durch das Heilige des feinen nimt. Indes
nehm’ ich mein Urtheil von Primanern gern zurük … Schlechter
Geſchmak kömt mit [?] daher, daß ich den Xenophon, Homer nicht
zum Schulfenſter hinauswerfen darf. Leider iſts Reich der Wahrheit
das Reich der Paradoxie. — 15
Können Sie nicht Herrenſchmidts osculologie für mich erſtehen,
weil ich ihn haben mus, um nur, wenn mich einer fragt: was iſt ein
Kus, mit einer Nominaldefinizion und einigen litterariſchen Notizen
bei der Hand zu ſein. Hier wil mirs kein Teufel definieren.
[354]
Am Mitwoch nach Oſtern [27. April]. 20
„Die Feiertage ſind fort“ ſagt ieder mit einem Seufzer über den
Falkenflug der Erdenfreude. Heuer beſteht für mich der Mai ꝛc. aus
lauter Feiertagen, weil dieſen ganzen Sommer nach den beſten meteoro-
logiſchen Nativitätſtellern und Teraphim am bloſſen nakten Himmel
nichts zu ſehen ſein wird als die Sonne. Genieſſen Sie den Mai, wo 25
die Natur die ausgewinterte Erde mit Blüten räuchert .... Die Beſorg-
nis (Sie ſind bös) hat Ihr Stilſchweigen und erſter Brief beſtätigt,
Ihr 2ter geſchwächt und Ihr dritter möge ſie tilgen. Ich bin vor dem
Angeſicht des ganzen liebenden Frühlings ꝛc.
374. An Chriſtian Otto. 30
Schwarzenbach den 3 Mai 91.
Lieber Otto
Alles Feuer das in den Entſchlus kömt, wird der Ausführung ent-
zogen — gegen dieſes Wechſelfieber ſo wie gegen das langſame Nerven-
fieber aller Stubenſizer, mit allem zu zögern und zu zögern, medizinier’ 35
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/361>, abgerufen am 25.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.