Warlich so oft ich von guten Menschen eine andre Belohnung als die ihres Beifals annehmen mus: so thut es mir wehe, daß es Bedürf- nisse giebt und daß man ausser dem grösten Glük, von Guten geliebt5 zu werden, noch ein elendes suchen mus.
373. An Wernlein in Neustadt a. d. Aisch.
[Kopie][Schwarzenbach, etwa 20. April 1791]
Unter dem Schatten Baierns -- nämlich der Karte von Baiern, die ich gegen die Sonne mit dem Federmesser stat des Vorhangs ans10 Fenster gepfählt -- schreib' ich Ihnen heute, da ich erst gestern Ihren Brief mit grossem Vergnügen bekam, [mit] noch grösserm las und mit dem allergrösten nach Hof trug, um einer solchen Stadt zu beweisen, daß mir der Kollaborator nicht blos 3 Kouverts sondern auch 1 Brief geschikt, so lang, so wizig sei dieser [?]. -- Mein Stilschweigen kam15 von Ihrem: den Henker! der sanfteste Johannes mus wol böse werden, wenn er hinter einem Ofen sizet und ein öffentlicher Schul- lehrer redet leise mit allen, die in der Stube sizen, mit ihm aber nicht und ich verdenk' es dem Johannes nicht, wenn er hinter seinem Ofen kein Wort zum öffentlichen Schullehrer hervorspricht. -- Da mein20 Brief auch eine epistola gratulatoria stat eines Karmens zu Ihrer Kollaboratur sein sol: so wil ich die nämliche Materie wie Sie ab- handeln und dan erst wollen wir einander bei der Hand anfassen und in[350] der Schulstube auf und abfahren und von allem reden. -- Entweder die Achtung 1) der Sprache oder die 2) des Geistes der Alten kan iezt25 sinken. Ich glaube a) beides ist und mus sein und b) es thut auch nichts.
a) In Rüksicht der Sprache wissen wir, daß das 15te, 16te Jahrhundert nicht mehr da ist, wo man durch ganz Europa nichts lernte und lehrte als 2 Sprachen und wo das Latein alle gelehrte30 Schlafröcke von England bis nach Italien in 1 Bund zusammenzog -- daß unser Latein deutsch ist gegen das eines Kamerarius, der ohne Noth den schmalkaldischen Krieg griechisch abfaste, und daß damals ieder Gelehrte Antiquar und Philolog war, der ein Inventar von allen Häusern in Rom im öden Kopfe hatte, und daß das Latein die Staats-35
372. An Kommiſſionsrat Vogel in Schwarzenbach.
[Kopie][Schwarzenbach, 23. (?) April 1791]
Warlich ſo oft ich von guten Menſchen eine andre Belohnung als die ihres Beifals annehmen mus: ſo thut es mir wehe, daß es Bedürf- niſſe giebt und daß man auſſer dem gröſten Glük, von Guten geliebt5 zu werden, noch ein elendes ſuchen mus.
373. An Wernlein in Neuſtadt a. d. Aiſch.
[Kopie][Schwarzenbach, etwa 20. April 1791]
Unter dem Schatten Baierns — nämlich der Karte von Baiern, die ich gegen die Sonne mit dem Federmeſſer ſtat des Vorhangs ans10 Fenſter gepfählt — ſchreib’ ich Ihnen heute, da ich erſt geſtern Ihren Brief mit groſſem Vergnügen bekam, [mit] noch gröſſerm las und mit dem allergröſten nach Hof trug, um einer ſolchen Stadt zu beweiſen, daß mir der Kollaborator nicht blos 3 Kouverts ſondern auch 1 Brief geſchikt, ſo lang, ſo wizig ſei dieſer [?]. — Mein Stilſchweigen kam15 von Ihrem: den Henker! der ſanfteſte Johannes mus wol böſe werden, wenn er hinter einem Ofen ſizet und ein öffentlicher Schul- lehrer redet leiſe mit allen, die in der Stube ſizen, mit ihm aber nicht und ich verdenk’ es dem Johannes nicht, wenn er hinter ſeinem Ofen kein Wort zum öffentlichen Schullehrer hervorſpricht. — Da mein20 Brief auch eine epistola gratulatoria ſtat eines Karmens zu Ihrer Kollaboratur ſein ſol: ſo wil ich die nämliche Materie wie Sie ab- handeln und dan erſt wollen wir einander bei der Hand anfaſſen und in[350] der Schulſtube auf und abfahren und von allem reden. — Entweder die Achtung 1) der Sprache oder die 2) des Geiſtes der Alten kan iezt25 ſinken. Ich glaube a) beides iſt und mus ſein und b) es thut auch nichts.
a) In Rükſicht der Sprache wiſſen wir, daß das 15te, 16te Jahrhundert nicht mehr da iſt, wo man durch ganz Europa nichts lernte und lehrte als 2 Sprachen und wo das Latein alle gelehrte30 Schlafröcke von England bis nach Italien in 1 Bund zuſammenzog — daß unſer Latein deutſch iſt gegen das eines Kamerarius, der ohne Noth den ſchmalkaldiſchen Krieg griechiſch abfaſte, und daß damals ieder Gelehrte Antiquar und Philolog war, der ein Inventar von allen Häuſern in Rom im öden Kopfe hatte, und daß das Latein die Staats-35
<TEI><text><body><pbfacs="#f0357"n="331"/><divtype="letter"n="1"><head>372. An <hirendition="#g">Kommiſſionsrat Vogel in Schwarzenbach.</hi></head><lb/><notetype="editorial"><metamark>[</metamark>Kopie<metamark>]</metamark></note><dateline><hirendition="#right"><metamark>[</metamark>Schwarzenbach, 23. (?) April 1791<metamark>]</metamark></hi></dateline><lb/><p>Warlich ſo oft ich von guten Menſchen eine andre Belohnung als<lb/>
die ihres Beifals annehmen mus: ſo thut es mir wehe, daß es Bedürf-<lb/>
niſſe giebt und daß man auſſer dem gröſten Glük, von Guten geliebt<lbn="5"/>
zu werden, noch ein elendes ſuchen mus.</p></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>373. An <hirendition="#g">Wernlein in Neuſtadt a. d. Aiſch.</hi></head><lb/><notetype="editorial"><metamark>[</metamark>Kopie<metamark>]</metamark></note><dateline><hirendition="#right"><metamark>[</metamark>Schwarzenbach, etwa 20. April 1791<metamark>]</metamark></hi></dateline><lb/><p>Unter dem Schatten Baierns — nämlich der Karte von Baiern,<lb/>
die ich gegen die Sonne mit dem Federmeſſer ſtat des Vorhangs ans<lbn="10"/>
Fenſter gepfählt —ſchreib’ ich Ihnen heute, da ich erſt geſtern Ihren<lb/>
Brief mit groſſem Vergnügen bekam, <metamark>[</metamark>mit<metamark>]</metamark> noch gröſſerm las und mit<lb/>
dem allergröſten nach Hof trug, um einer ſolchen Stadt zu beweiſen,<lb/>
daß mir der Kollaborator nicht blos 3 Kouverts ſondern auch 1 Brief<lb/>
geſchikt, ſo lang, ſo wizig ſei dieſer <metamark>[?]</metamark>. — Mein Stilſchweigen kam<lbn="15"/>
von Ihrem: den Henker! der ſanfteſte Johannes mus wol böſe<lb/>
werden, wenn er hinter einem Ofen ſizet und ein öffentlicher Schul-<lb/>
lehrer redet leiſe mit allen, die in der Stube ſizen, mit ihm aber nicht<lb/>
und ich verdenk’ es dem Johannes nicht, wenn er hinter ſeinem Ofen<lb/>
kein Wort zum öffentlichen Schullehrer hervorſpricht. — Da mein<lbn="20"/>
Brief auch eine <hirendition="#aq">epistola gratulatoria</hi>ſtat eines Karmens zu Ihrer<lb/>
Kollaboratur ſein ſol: ſo wil ich die nämliche Materie wie Sie ab-<lb/>
handeln und dan erſt wollen wir einander bei der Hand anfaſſen und in<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd#_350">[350]</ref></note><lb/>
der Schulſtube auf und abfahren und von allem reden. — Entweder<lb/>
die Achtung 1) der Sprache oder die 2) des Geiſtes der Alten kan iezt<lbn="25"/>ſinken. Ich glaube <hirendition="#aq">a)</hi> beides iſt und mus ſein und <hirendition="#aq">b)</hi> es thut auch<lb/>
nichts.</p><lb/><p><hirendition="#aq">a)</hi> In <hirendition="#g">Rükſicht der Sprache</hi> wiſſen wir, daß das 15<hirendition="#sup">te</hi>, 16<hirendition="#sup">te</hi><lb/>
Jahrhundert nicht mehr da iſt, wo man durch ganz Europa nichts<lb/>
lernte und lehrte als 2 Sprachen und wo das Latein alle gelehrte<lbn="30"/>
Schlafröcke von England bis nach Italien in 1 Bund zuſammenzog<lb/>— daß unſer Latein deutſch iſt gegen das eines Kamerarius, der ohne<lb/>
Noth den ſchmalkaldiſchen Krieg griechiſch abfaſte, und daß damals<lb/>
ieder Gelehrte Antiquar und Philolog war, der ein Inventar von allen<lb/>
Häuſern in Rom im öden Kopfe hatte, und daß das Latein die Staats-<lbn="35"/><lb/></p></div></body></text></TEI>
[331/0357]
372. An Kommiſſionsrat Vogel in Schwarzenbach.
[Schwarzenbach, 23. (?) April 1791]
Warlich ſo oft ich von guten Menſchen eine andre Belohnung als
die ihres Beifals annehmen mus: ſo thut es mir wehe, daß es Bedürf-
niſſe giebt und daß man auſſer dem gröſten Glük, von Guten geliebt 5
zu werden, noch ein elendes ſuchen mus.
373. An Wernlein in Neuſtadt a. d. Aiſch.
[Schwarzenbach, etwa 20. April 1791]
Unter dem Schatten Baierns — nämlich der Karte von Baiern,
die ich gegen die Sonne mit dem Federmeſſer ſtat des Vorhangs ans 10
Fenſter gepfählt — ſchreib’ ich Ihnen heute, da ich erſt geſtern Ihren
Brief mit groſſem Vergnügen bekam, [mit] noch gröſſerm las und mit
dem allergröſten nach Hof trug, um einer ſolchen Stadt zu beweiſen,
daß mir der Kollaborator nicht blos 3 Kouverts ſondern auch 1 Brief
geſchikt, ſo lang, ſo wizig ſei dieſer [?]. — Mein Stilſchweigen kam 15
von Ihrem: den Henker! der ſanfteſte Johannes mus wol böſe
werden, wenn er hinter einem Ofen ſizet und ein öffentlicher Schul-
lehrer redet leiſe mit allen, die in der Stube ſizen, mit ihm aber nicht
und ich verdenk’ es dem Johannes nicht, wenn er hinter ſeinem Ofen
kein Wort zum öffentlichen Schullehrer hervorſpricht. — Da mein 20
Brief auch eine epistola gratulatoria ſtat eines Karmens zu Ihrer
Kollaboratur ſein ſol: ſo wil ich die nämliche Materie wie Sie ab-
handeln und dan erſt wollen wir einander bei der Hand anfaſſen und in
der Schulſtube auf und abfahren und von allem reden. — Entweder
die Achtung 1) der Sprache oder die 2) des Geiſtes der Alten kan iezt 25
ſinken. Ich glaube a) beides iſt und mus ſein und b) es thut auch
nichts.
[350]
a) In Rükſicht der Sprache wiſſen wir, daß das 15te, 16te
Jahrhundert nicht mehr da iſt, wo man durch ganz Europa nichts
lernte und lehrte als 2 Sprachen und wo das Latein alle gelehrte 30
Schlafröcke von England bis nach Italien in 1 Bund zuſammenzog
— daß unſer Latein deutſch iſt gegen das eines Kamerarius, der ohne
Noth den ſchmalkaldiſchen Krieg griechiſch abfaſte, und daß damals
ieder Gelehrte Antiquar und Philolog war, der ein Inventar von allen
Häuſern in Rom im öden Kopfe hatte, und daß das Latein die Staats- 35
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/357>, abgerufen am 04.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.