Sache, nicht an den Autor, den handhabst du nur wie Werkzeug, wie die Gräfin an dem Musikmeister nur von seinen Fingern Notiz nimt; der ganze unmusikalische Rumpf geht sie gar nichts an. Nichts ist ver- ächtl[icher], als wenn ein Mensch in der Hand eines Mensch[en] ein blosses Werkzeug ist. Ein Autor ists aber nicht, sobald er zu machen weis,5 daß wir die Wissenschaft mehr seinetwegen als ihn der Wissenschaft wegen anhören und tragen -- und dies weis er zu machen, sobald er nicht mit isolierten Seelenkräften -- gewisse Menschen vermögen wenn sie in einer Wissenschaft ackern, sich nicht auf das zu besinnen was sie aus einer anderen wissen -- sondern mit einem volstimmigen Konzert10 aller Kräfte zu uns redet und sobald er nicht blos den Kopf vorstekt sondern auch das Herz. Aus dem Musikmeister wird der Freund, dessen Personalien uns dan interessieren. Von Voltaire, Kardan, Herder etc. etc. etc. möcht' ich sogar die Hosen, das Schlafzimmer und das Kinds Schreibbuch sehen; aber vom sonst vortreflichen Pütter, Ernesti,15 Baumgarten, Rennebaum keinen Fezen -- was geht mich ihr Haus- halten an?
Ich habe dirs also schon gesagt, wie sehr es mir gefället, daß du in deiner Abhandlung (ein anders mal übertitle sie) leibst und lebst und daß du deinen Abgus in keinen spröden, brüchigen, sandigen Thon sondern20 in aufgreiffendes Wachs zu drücken gewust. Ganz so hab ichs haben wollen und so windet sich eine sonst so trokne Materie um einen mit Epheuschlingen herum. Am liebsten wars mir, daß du mich mit nach Mariakulm genommen (du wurdest von einem ganz anderen mit- genommen) und mich als Zizerone unter den Antiken der Natur herum-25 geführet und daß du das Abendroth der Seele, nämlich SeelenRuhe, in deinen Landschaftshimmel hineingemalt.
Mach deine Vierteljährige Arbeit ia nicht anders; es stärkt eine solche Einkleidung und eine solche Einwebung fremder Materie den [345]Verfasser selbst unter der einförmigen Anstrengung und es ist, als30 machst du das Fenster des Schreibtisches dem Dufte der Bäume draussen auf.
Möser und Voltaire verstecken allemal den Kern in die polierte Schale so, daß sie alzeit am Ende der Abhandlung noch einen Blik auf die Einkleidung werfen als wäre diese der Zwek und nicht das35 Mittel gewesen.
Gegen deine Vereinigung beider Meinungen ist wol nichts zu sagen.
Sache, nicht an den Autor, den handhabſt du nur wie Werkzeug, wie die Gräfin an dem Muſikmeiſter nur von ſeinen Fingern Notiz nimt; der ganze unmuſikaliſche Rumpf geht ſie gar nichts an. Nichts iſt ver- ächtl[icher], als wenn ein Menſch in der Hand eines Menſch[en] ein bloſſes Werkzeug iſt. Ein Autor iſts aber nicht, ſobald er zu machen weis,5 daß wir die Wiſſenſchaft mehr ſeinetwegen als ihn der Wiſſenſchaft wegen anhören und tragen — und dies weis er zu machen, ſobald er nicht mit iſolierten Seelenkräften — gewiſſe Menſchen vermögen wenn ſie in einer Wiſſenſchaft ackern, ſich nicht auf das zu beſinnen was ſie aus einer anderen wiſſen — ſondern mit einem volſtimmigen Konzert10 aller Kräfte zu uns redet und ſobald er nicht blos den Kopf vorſtekt ſondern auch das Herz. Aus dem Muſikmeiſter wird der Freund, deſſen Perſonalien uns dan intereſſieren. Von Voltaire, Kardan, Herder ꝛc. ꝛc. ꝛc. möcht’ ich ſogar die Hoſen, das Schlafzimmer und das Kinds Schreibbuch ſehen; aber vom ſonſt vortreflichen Pütter, Erneſti,15 Baumgarten, Rennebaum keinen Fezen — was geht mich ihr Haus- halten an?
Ich habe dirs alſo ſchon geſagt, wie ſehr es mir gefället, daß du in deiner Abhandlung (ein anders mal übertitle ſie) leibſt und lebſt und daß du deinen Abgus in keinen ſpröden, brüchigen, ſandigen Thon ſondern20 in aufgreiffendes Wachs zu drücken gewuſt. Ganz ſo hab ichs haben wollen und ſo windet ſich eine ſonſt ſo trokne Materie um einen mit Epheuſchlingen herum. Am liebſten wars mir, daß du mich mit nach Mariakulm genommen (du wurdeſt von einem ganz anderen mit- genommen) und mich als Zizerone unter den Antiken der Natur herum-25 geführet und daß du das Abendroth der Seele, nämlich SeelenRuhe, in deinen Landſchaftshimmel hineingemalt.
Mach deine Vierteljährige Arbeit ia nicht anders; es ſtärkt eine ſolche Einkleidung und eine ſolche Einwebung fremder Materie den [345]Verfaſſer ſelbſt unter der einförmigen Anſtrengung und es iſt, als30 machſt du das Fenſter des Schreibtiſches dem Dufte der Bäume drauſſen auf.
Möſer und Voltaire verſtecken allemal den Kern in die polierte Schale ſo, daß ſie alzeit am Ende der Abhandlung noch einen Blik auf die Einkleidung werfen als wäre dieſe der Zwek und nicht das35 Mittel geweſen.
Gegen deine Vereinigung beider Meinungen iſt wol nichts zu ſagen.
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Sache, nicht an den Autor, den handhabſt du nur wie Werkzeug, wie
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der ganze unmuſikaliſche Rumpf geht ſie gar nichts an. Nichts iſt ver-
ächtl[icher], als wenn ein Menſch in der Hand eines Menſch[en] ein
bloſſes Werkzeug iſt. Ein Autor iſts aber nicht, ſobald er zu machen weis, 5
daß wir die Wiſſenſchaft mehr ſeinetwegen als ihn der Wiſſenſchaft
wegen anhören und tragen — und dies weis er zu machen, ſobald er
nicht mit iſolierten Seelenkräften — gewiſſe Menſchen vermögen wenn
ſie in einer Wiſſenſchaft ackern, ſich nicht auf das zu beſinnen was ſie
aus einer anderen wiſſen — ſondern mit einem volſtimmigen Konzert 10
aller Kräfte zu uns redet und ſobald er nicht blos den Kopf vorſtekt
ſondern auch das Herz. Aus dem Muſikmeiſter wird der Freund, deſſen
Perſonalien uns dan intereſſieren. Von Voltaire, Kardan, Herder ꝛc.
ꝛc. ꝛc. möcht’ ich ſogar die Hoſen, das Schlafzimmer und das Kinds
Schreibbuch ſehen; aber vom ſonſt vortreflichen Pütter, Erneſti, 15
Baumgarten, Rennebaum keinen Fezen — was geht mich ihr Haus-
halten an?
Ich habe dirs alſo ſchon geſagt, wie ſehr es mir gefället, daß du in
deiner Abhandlung (ein anders mal übertitle ſie) leibſt und lebſt und daß
du deinen Abgus in keinen ſpröden, brüchigen, ſandigen Thon ſondern 20
in aufgreiffendes Wachs zu drücken gewuſt. Ganz ſo hab ichs haben
wollen und ſo windet ſich eine ſonſt ſo trokne Materie um einen mit
Epheuſchlingen herum. Am liebſten wars mir, daß du mich mit nach
Mariakulm genommen (du wurdeſt von einem ganz anderen mit-
genommen) und mich als Zizerone unter den Antiken der Natur herum- 25
geführet und daß du das Abendroth der Seele, nämlich SeelenRuhe,
in deinen Landſchaftshimmel hineingemalt.
Mach deine Vierteljährige Arbeit ia nicht anders; es ſtärkt eine
ſolche Einkleidung und eine ſolche Einwebung fremder Materie den
Verfaſſer ſelbſt unter der einförmigen Anſtrengung und es iſt, als 30
machſt du das Fenſter des Schreibtiſches dem Dufte der Bäume
drauſſen auf.
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Möſer und Voltaire verſtecken allemal den Kern in die polierte
Schale ſo, daß ſie alzeit am Ende der Abhandlung noch einen Blik
auf die Einkleidung werfen als wäre dieſe der Zwek und nicht das 35
Mittel geweſen.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/352>, abgerufen am 25.07.2024.
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