hier mit meinem pädagogischen Quentlein Drachma wuchere und Einem Orte nüze: thu' ich wieder allen übrigen Orten den wirklichen Schaden, daß ich nichts Satirisches hecke. Ich werde mich wahrhaftig schlecht bei der klugen Welt entschuldigen, wenn ich mich mit den vielen Bänden blos entworfner Satiren, die ich iede Stunde gerichtlich5 niederlegen kan, zu decken meine: denn die Welt kan sich gar zu leicht denken, daß ihrem Vergnügen nur die Sachen zu Passe kommen, die ich schon zum Drucke fertig gemacht. Dazu zwingt, treibt und lokt mich aber iezt gar nichts, wenn du es nicht -- aus Liebe zur Welt -- thuest; und zu diesem Zwingen etc. wil ich dich wieder zwingen, treiben10 und locken: und dieser Brief ist der Perpendikel für 4 Räder auf einmal.
Den 18 Jul. Hof [Sonntag].
Ich wil dir hier das Uebrige kurz und ernsthaft schreiben. Ich bitte dich nämlich, 1) mein Publikum und mein Leser zu werden, damit ich einen Reiz zum Machen habe. 2) Mein Rezensent auch zu werden. Du[315]15 köntest ia mit 2, 3 Worten das Schlimste und das Beste anzeichnen, weil man, ohne alle äussere Winke und Meilenzeiger, sich warlich am Ende in eine so fehlerhafte Originalität hineinarbeiten könte, daß es Got erbarmen möchte, aber nicht die Rezensenten. Geniert dichs indes: so schlag' mir nur den 3) Punkt nicht ab, daß du aus beigefügtem20 Register, dessen Vermehrung ich dir bald schicken wil, die Satiren erliesest, die du mir zu machen befiehlst, weil meine eigne Wahl alle begint und keine endigt. Sobald ich mit 1 oder 2 Pensis fertig wäre: gäbest du mir alzeit neue auf. Und so wird etwas aus mir werden.
Dem Pfarrer in Schwarzenbach oder Wernlein mach' ichs mit25 dem Ernsthaften so -- und so würd' ichs auch gegen dich mit dem Romane machen, an dem ich laiche, wäre dein Geschmak weniger durch die Lesung der besten Romane verdorben.
-- Aber lang passe nicht und heute gieb mir deine mündliche oder schriftliche Antwort.30
Das Ding über den Tod ist nicht das längere, wovon ich dir einmal sagte.
Thu mir ia den Tort nicht, mir meinen feinen Entwurf, mich selber zu erziehen, zu vereiteln.
Ich bin
Dein Erz- und Hofprophet und Fr[eun]d35 Richter
[Adr]. Des Herrn Christian Otto Hochedelgeboren. Mit 41/2 Bogen.
hier mit meinem pädagogiſchen Quentlein 〈Drachma〉 wuchere und Einem Orte nüze: thu’ ich wieder allen übrigen Orten den wirklichen Schaden, daß ich nichts Satiriſches hecke. Ich werde mich wahrhaftig ſchlecht bei der klugen Welt entſchuldigen, wenn ich mich mit den vielen Bänden blos entworfner Satiren, die ich iede Stunde gerichtlich5 niederlegen kan, zu decken meine: denn die Welt kan ſich gar zu leicht denken, daß ihrem Vergnügen nur die Sachen zu Paſſe kommen, die ich ſchon zum Drucke fertig gemacht. Dazu zwingt, treibt und lokt mich aber iezt gar nichts, wenn du es nicht — aus Liebe zur Welt — thueſt; und zu dieſem Zwingen ꝛc. wil ich dich wieder zwingen, treiben10 und locken: und dieſer Brief iſt der Perpendikel für 4 Räder auf einmal.
Den 18 Jul. Hof [Sonntag].
Ich wil dir hier das Uebrige kurz und ernſthaft ſchreiben. Ich bitte dich nämlich, 1) mein Publikum und mein Leſer zu werden, damit ich einen Reiz zum Machen habe. 2) Mein Rezenſent auch zu werden. Du[315]15 könteſt ia mit 2, 3 Worten das Schlimſte und das Beſte anzeichnen, weil man, ohne alle äuſſere Winke und Meilenzeiger, ſich warlich am Ende in eine ſo fehlerhafte Originalität hineinarbeiten könte, daß es Got erbarmen möchte, aber nicht die Rezenſenten. Geniert dichs indes: ſo ſchlag’ mir nur den 3) Punkt nicht ab, daß du aus beigefügtem20 Regiſter, deſſen Vermehrung ich dir bald ſchicken wil, die Satiren erlieſeſt, die du mir zu machen befiehlſt, weil meine eigne Wahl alle begint und keine endigt. Sobald ich mit 1 oder 2 Penſis fertig wäre: gäbeſt du mir alzeit neue auf. Und ſo wird etwas aus mir werden.
Dem Pfarrer in Schwarzenbach oder Wernlein mach’ ichs mit25 dem Ernſthaften ſo — und ſo würd’ ichs auch gegen dich mit dem Romane machen, an dem ich laiche, wäre dein Geſchmak weniger durch die Leſung der beſten Romane verdorben.
— Aber lang paſſe nicht und heute gieb mir deine mündliche oder ſchriftliche Antwort.30
Das Ding über den Tod iſt nicht das längere, wovon ich dir einmal ſagte.
Thu mir ia den Tort nicht, mir meinen feinen Entwurf, mich ſelber zu erziehen, zu vereiteln.
Ich bin
Dein Erz- und Hofprophet und Fr[eun]d35 Richter
[Adr]. Des Herrn Chriſtian Otto Hochedelgeboren. Mit 4½ Bogen.
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hier mit meinem pädagogiſchen Quentlein 〈Drachma〉 wuchere und
Einem Orte nüze: thu’ ich wieder allen übrigen Orten den wirklichen
Schaden, daß ich nichts Satiriſches hecke. Ich werde mich wahrhaftig
ſchlecht bei der klugen Welt entſchuldigen, wenn ich mich mit den
vielen Bänden blos entworfner Satiren, die ich iede Stunde gerichtlich 5
niederlegen kan, zu decken meine: denn die Welt kan ſich gar zu leicht
denken, daß ihrem Vergnügen nur die Sachen zu Paſſe kommen, die
ich ſchon zum Drucke fertig gemacht. Dazu zwingt, treibt und lokt
mich aber iezt gar nichts, wenn du es nicht — aus Liebe zur Welt —
thueſt; und zu dieſem Zwingen ꝛc. wil ich dich wieder zwingen, treiben 10
und locken: und dieſer Brief iſt der Perpendikel für 4 Räder auf einmal.
Den 18 Jul. Hof [Sonntag].
Ich wil dir hier das Uebrige kurz und ernſthaft ſchreiben. Ich bitte
dich nämlich, 1) mein Publikum und mein Leſer zu werden, damit ich
einen Reiz zum Machen habe. 2) Mein Rezenſent auch zu werden. Du 15
könteſt ia mit 2, 3 Worten das Schlimſte und das Beſte anzeichnen,
weil man, ohne alle äuſſere Winke und Meilenzeiger, ſich warlich am
Ende in eine ſo fehlerhafte Originalität hineinarbeiten könte, daß es
Got erbarmen möchte, aber nicht die Rezenſenten. Geniert dichs indes:
ſo ſchlag’ mir nur den 3) Punkt nicht ab, daß du aus beigefügtem 20
Regiſter, deſſen Vermehrung ich dir bald ſchicken wil, die Satiren
erlieſeſt, die du mir zu machen befiehlſt, weil meine eigne Wahl alle
begint und keine endigt. Sobald ich mit 1 oder 2 Penſis fertig wäre:
gäbeſt du mir alzeit neue auf. Und ſo wird etwas aus mir werden.
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Dem Pfarrer in Schwarzenbach oder Wernlein mach’ ichs mit 25
dem Ernſthaften ſo — und ſo würd’ ichs auch gegen dich mit dem
Romane machen, an dem ich laiche, wäre dein Geſchmak weniger
durch die Leſung der beſten Romane verdorben.
— Aber lang paſſe nicht und heute gieb mir deine mündliche oder
ſchriftliche Antwort. 30
Das Ding über den Tod iſt nicht das längere, wovon ich dir einmal ſagte.
Thu mir ia den Tort nicht, mir meinen feinen Entwurf, mich ſelber
zu erziehen, zu vereiteln.
Ich bin
Dein Erz- und Hofprophet und Fr[eun]d 35
Richter
[Adr]. Des Herrn Chriſtian Otto Hochedelgeboren. Mit 4½ Bogen.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/325>, abgerufen am 25.07.2024.
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