Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

Bild:
<< vorherige Seite

scheint mir Ihre Vorhersagung nicht eintreffen zu wollen. Die Informa-
zionen sind hier selten -- und die Menge der[er], die informiren, ist
unsäglich gros. In grossen Häusern nimt man nur die zu Informa-
toren an, die Empfelungen an sie haben. Eine Informazion also ist
hier ein nicht so gewönliches Ding -- und eine gute ist selten. Dies5
hab' ich selbst aus dem Munde verschiedner Professoren gehört. Alle
haben mir das, eben nicht tröstliche Sprichwort von Leipzig gesagt:
Lipsia vult exspectari. Und das exspectari ist so unbestimt, daß
man, wenn einer 50 Jar' in Leipzig ist, und in diesen 50 J[aren] kein
Brod [?] be[kommen], ihm immer noch vorpredigen kan, er solle nur10
warten, es würde sich schon geben. -- Die Mode ist der Tyran, der
diese Stad beherscht. Alles gleisset und schimmert von aussen -- so die
Studenten -- aber von innen, wie ich einen schon kennen gelernt habe,
felt es an Kopf und Herz. -- Der H. Magister Kirsch von Hof ist mit
mir und dem Örtel nach Leipzig mit gereiset. Seine Gegenwart hier15
hat mir viel geholfen. Er hat mich bei etlichen auf's beste rekomman-
dirt -- beim Seger, und bei Bel. Er hat mir auch ein recht gutes
Testimonium Paupertatis geschrieben -- dieses darf ich nur vorzeigen,
um alle Kollegien geschenkt zu bekommen: besonders viel hat mir
dieses Zeugnis bei Prof. Platner geholfen, der die Ph[ilosophie] ser20
liebt. -- Dies sind lauter unbedeutende Dinge: aber ich habe iezt
nichts anders zu schreiben, und wenn ich der Zerstreuung, in der ich
mich iezt immer noch befinde, entgangen bin, so wil ich Sie vielleicht
[?] mit wicht[igeren] Dingen unterhalten. Schreiben Sie recht bald.
Mein Logis ist: in dem Gasthof zu den drei Rosen in der Petersstrasse,25
zwei Treppen, No. 2. gerade in dem Hause, wo der Örtel wont; unsre
Zimmer stossen zusammen.

Denken [?] Sie ferner an Ihren Freund, der weit von Ihnen ent-
fernt ist, der aber demungeachtet immer sich an die seligen Stunden
erinnert, die er in Ihrem Umgange verlebte -- der nie aufhört zu sein30

Ew. Hochedelgeboren
gehorsamster Diener, Gefatter und wärmster Freund.

Ich war neulich, da [ich] mich von al meinen Freunden in Schwar-[8]
zenbach trente, so kalt; ich schien's wenigstens. Ich konte mir's
damals nicht erklären. Jezt kan ich's. Ich wil ein Gleichnis dafür her-35
sezzen: ie ruhiger auf dem weiten Weltmer alle Welgen, alle Lüftgen

ſcheint mir Ihre Vorherſagung nicht eintreffen zu wollen. Die Informa-
zionen ſind hier ſelten — und die Menge der[er], die informiren, iſt
unſäglich gros. In groſſen Häuſern nimt man nur die zu Informa-
toren an, die Empfelungen an ſie haben. Eine Informazion alſo iſt
hier ein nicht ſo gewönliches Ding — und eine gute iſt ſelten. Dies5
hab’ ich ſelbſt aus dem Munde verſchiedner Profeſſoren gehört. Alle
haben mir das, eben nicht tröſtliche Sprichwort von Leipzig geſagt:
Lipsia vult exspectari. Und das exspectari iſt ſo unbeſtimt, daß
man, wenn einer 50 Jar’ in Leipzig iſt, und in dieſen 50 J[aren] kein
Brod [?] be[kommen], ihm immer noch vorpredigen kan, er ſolle nur10
warten, es würde ſich ſchon geben. — Die Mode iſt der Tyran, der
dieſe Stad beherſcht. Alles gleiſſet und ſchimmert von auſſen — ſo die
Studenten — aber von innen, wie ich einen ſchon kennen gelernt habe,
felt es an Kopf und Herz. — Der H. Magiſter Kirſch von Hof iſt mit
mir und dem Örtel nach Leipzig mit gereiſet. Seine Gegenwart hier15
hat mir viel geholfen. Er hat mich bei etlichen auf’s beſte rekomman-
dirt — beim Seger, und bei Bel. Er hat mir auch ein recht gutes
Teſtimonium Paupertatis geſchrieben — dieſes darf ich nur vorzeigen,
um alle Kollegien geſchenkt zu bekommen: beſonders viel hat mir
dieſes Zeugnis bei Prof. Platner geholfen, der die Ph[iloſophie] ſer20
liebt. — Dies ſind lauter unbedeutende Dinge: aber ich habe iezt
nichts anders zu ſchreiben, und wenn ich der Zerſtreuung, in der ich
mich iezt immer noch befinde, entgangen bin, ſo wil ich Sie vielleicht
[?] mit wicht[igeren] Dingen unterhalten. Schreiben Sie recht bald.
Mein Logis iſt: in dem Gaſthof zu den drei Roſen in der Petersſtraſſe,25
zwei Treppen, No. 2. gerade in dem Hauſe, wo der Örtel wont; unſre
Zimmer ſtoſſen zuſammen.

Denken [?] Sie ferner an Ihren Freund, der weit von Ihnen ent-
fernt iſt, der aber demungeachtet immer ſich an die ſeligen Stunden
erinnert, die er in Ihrem Umgange verlebte — der nie aufhört zu ſein30

Ew. Hochedelgeboren
gehorſamſter Diener, Gefatter und wärmſter Freund.

Ich war neulich, da [ich] mich von al meinen Freunden in Schwar-[8]
zenbach trente, ſo kalt; ich ſchien’s wenigſtens. Ich konte mir’s
damals nicht erklären. Jezt kan ich’s. Ich wil ein Gleichnis dafür her-35
ſezzen: ie ruhiger auf dem weiten Weltmer alle Welgen, alle Lüftgen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="7"/>
&#x017F;cheint mir Ihre Vorher&#x017F;agung nicht eintreffen zu wollen. Die Informa-<lb/>
zionen &#x017F;ind hier &#x017F;elten &#x2014; und die Menge der<metamark>[</metamark>er<metamark>]</metamark>, die informiren, i&#x017F;t<lb/>
un&#x017F;äglich gros. In gro&#x017F;&#x017F;en Häu&#x017F;ern nimt man nur die zu Informa-<lb/>
toren an, die Empfelungen an &#x017F;ie haben. Eine Informazion al&#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
hier ein nicht &#x017F;o gewönliches Ding &#x2014; und eine gute i&#x017F;t &#x017F;elten. Dies<lb n="5"/>
hab&#x2019; ich &#x017F;elb&#x017F;t aus dem Munde ver&#x017F;chiedner Profe&#x017F;&#x017F;oren gehört. Alle<lb/>
haben mir das, eben nicht trö&#x017F;tliche Sprichwort von Leipzig ge&#x017F;agt:<lb/><hi rendition="#aq">Lipsia vult exspectari.</hi> Und das <hi rendition="#aq">exspectari</hi> i&#x017F;t &#x017F;o unbe&#x017F;timt, daß<lb/>
man, wenn einer 50 Jar&#x2019; in Leipzig i&#x017F;t, und in die&#x017F;en 50 J<metamark>[</metamark>aren<metamark>]</metamark> kein<lb/>
Brod <metamark>[?]</metamark> be<metamark>[</metamark>kommen<metamark>]</metamark>, ihm immer noch vorpredigen kan, er &#x017F;olle nur<lb n="10"/> <hi rendition="#g">warten,</hi> es würde &#x017F;ich &#x017F;chon geben. &#x2014; Die Mode i&#x017F;t der Tyran, der<lb/>
die&#x017F;e Stad beher&#x017F;cht. Alles glei&#x017F;&#x017F;et und &#x017F;chimmert von au&#x017F;&#x017F;en &#x2014; &#x017F;o die<lb/>
Studenten &#x2014; aber von innen, wie ich einen &#x017F;chon kennen gelernt habe,<lb/>
felt es an Kopf und Herz. &#x2014; Der H. Magi&#x017F;ter Kir&#x017F;ch von Hof i&#x017F;t mit<lb/>
mir und dem Örtel nach Leipzig mit gerei&#x017F;et. Seine Gegenwart hier<lb n="15"/>
hat mir viel geholfen. Er hat mich bei etlichen auf&#x2019;s be&#x017F;te rekomman-<lb/>
dirt &#x2014; beim Seger, und bei Bel. Er hat mir auch ein recht gutes<lb/>
Te&#x017F;timonium Paupertatis ge&#x017F;chrieben &#x2014; die&#x017F;es darf ich nur vorzeigen,<lb/>
um alle Kollegien ge&#x017F;chenkt zu bekommen: be&#x017F;onders viel hat mir<lb/>
die&#x017F;es Zeugnis bei Prof. Platner geholfen, der die Ph<metamark>[</metamark>ilo&#x017F;ophie<metamark>]</metamark> &#x017F;er<lb n="20"/>
liebt. &#x2014; Dies &#x017F;ind lauter unbedeutende Dinge: aber ich habe iezt<lb/>
nichts anders zu &#x017F;chreiben, und wenn ich der Zer&#x017F;treuung, in der ich<lb/>
mich iezt immer noch befinde, entgangen bin, &#x017F;o wil ich Sie vielleicht<lb/><metamark>[?]</metamark> mit wicht<metamark>[</metamark>igeren<metamark>]</metamark> Dingen unterhalten. Schreiben Sie recht bald.<lb/>
Mein Logis i&#x017F;t: in dem Ga&#x017F;thof zu den drei Ro&#x017F;en in der Peters&#x017F;tra&#x017F;&#x017F;e,<lb n="25"/>
zwei Treppen, <hi rendition="#aq">No.</hi> 2. gerade in dem Hau&#x017F;e, wo der Örtel wont; un&#x017F;re<lb/>
Zimmer &#x017F;to&#x017F;&#x017F;en zu&#x017F;ammen.</p><lb/>
        <p>Denken <metamark>[?]</metamark> Sie ferner an Ihren Freund, der weit von Ihnen ent-<lb/>
fernt i&#x017F;t, der aber demungeachtet immer &#x017F;ich an die &#x017F;eligen Stunden<lb/>
erinnert, die er in Ihrem Umgange verlebte &#x2014; der nie aufhört zu &#x017F;ein<lb n="30"/>
</p>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#c">Ew. Hochedelgeboren<lb/>
gehor&#x017F;am&#x017F;ter Diener, Gefatter und wärm&#x017F;ter Freund.</hi> </salute>
        </closer><lb/>
        <postscript>
          <p>Ich war neulich, da <metamark>[</metamark>ich<metamark>]</metamark> mich von al meinen Freunden in Schwar-<note place="right"><ref target="1922_Bd#_8">[8]</ref></note><lb/>
zenbach trente, &#x017F;o kalt; ich &#x017F;chien&#x2019;s wenig&#x017F;tens. Ich konte mir&#x2019;s<lb/>
damals nicht erklären. Jezt kan ich&#x2019;s. Ich wil ein Gleichnis dafür her-<lb n="35"/>
&#x017F;ezzen: ie ruhiger auf dem weiten Weltmer alle Welgen, alle Lüftgen<lb/></p>
        </postscript>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0029] ſcheint mir Ihre Vorherſagung nicht eintreffen zu wollen. Die Informa- zionen ſind hier ſelten — und die Menge der[er], die informiren, iſt unſäglich gros. In groſſen Häuſern nimt man nur die zu Informa- toren an, die Empfelungen an ſie haben. Eine Informazion alſo iſt hier ein nicht ſo gewönliches Ding — und eine gute iſt ſelten. Dies 5 hab’ ich ſelbſt aus dem Munde verſchiedner Profeſſoren gehört. Alle haben mir das, eben nicht tröſtliche Sprichwort von Leipzig geſagt: Lipsia vult exspectari. Und das exspectari iſt ſo unbeſtimt, daß man, wenn einer 50 Jar’ in Leipzig iſt, und in dieſen 50 J[aren] kein Brod [?] be[kommen], ihm immer noch vorpredigen kan, er ſolle nur 10 warten, es würde ſich ſchon geben. — Die Mode iſt der Tyran, der dieſe Stad beherſcht. Alles gleiſſet und ſchimmert von auſſen — ſo die Studenten — aber von innen, wie ich einen ſchon kennen gelernt habe, felt es an Kopf und Herz. — Der H. Magiſter Kirſch von Hof iſt mit mir und dem Örtel nach Leipzig mit gereiſet. Seine Gegenwart hier 15 hat mir viel geholfen. Er hat mich bei etlichen auf’s beſte rekomman- dirt — beim Seger, und bei Bel. Er hat mir auch ein recht gutes Teſtimonium Paupertatis geſchrieben — dieſes darf ich nur vorzeigen, um alle Kollegien geſchenkt zu bekommen: beſonders viel hat mir dieſes Zeugnis bei Prof. Platner geholfen, der die Ph[iloſophie] ſer 20 liebt. — Dies ſind lauter unbedeutende Dinge: aber ich habe iezt nichts anders zu ſchreiben, und wenn ich der Zerſtreuung, in der ich mich iezt immer noch befinde, entgangen bin, ſo wil ich Sie vielleicht [?] mit wicht[igeren] Dingen unterhalten. Schreiben Sie recht bald. Mein Logis iſt: in dem Gaſthof zu den drei Roſen in der Petersſtraſſe, 25 zwei Treppen, No. 2. gerade in dem Hauſe, wo der Örtel wont; unſre Zimmer ſtoſſen zuſammen. Denken [?] Sie ferner an Ihren Freund, der weit von Ihnen ent- fernt iſt, der aber demungeachtet immer ſich an die ſeligen Stunden erinnert, die er in Ihrem Umgange verlebte — der nie aufhört zu ſein 30 Ew. Hochedelgeboren gehorſamſter Diener, Gefatter und wärmſter Freund. Ich war neulich, da [ich] mich von al meinen Freunden in Schwar- zenbach trente, ſo kalt; ich ſchien’s wenigſtens. Ich konte mir’s damals nicht erklären. Jezt kan ich’s. Ich wil ein Gleichnis dafür her- 35 ſezzen: ie ruhiger auf dem weiten Weltmer alle Welgen, alle Lüftgen [8]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/29
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/29>, abgerufen am 21.11.2024.