Ich freue mich über die Anlandung Voltaires am meisten, nicht weil er in meine Stube kömt sondern weil ich eher in Ihre darf -- daß Sie meinen Körper ungern sahen, weil er Ihnen eine stumme5 Frage, ob V[oltaire] da wäre, scheinen muste; iezt sind wir nirgends mehr Gegner als auf dem Schachbret. -- hat ihm das gröste metal- lische Vergnügen gemacht, das Sie vermehren werden, wenn Sie kommen. Und obendrein auch das Ihres etc.
243. An Hermann in Göttingen.10
[Kopie][Töpen, 8. Dez. 1788 bis Jan. 1789]
Ich erhielt deine 2 Brieftaschen. Ich wil den heutigen beantworten, weil er iezt mein Gehirn inne hat, und wie ein 2tes Chor oder Anti-[267] phonienweise antwortet ieder Zeile von dir eine von mir. Dein Kuffer [!] sezt mich in wahre Beängstigungen nicht wegen seines materiellen15 sondern hieroglyphischen und philosophischen Inhalts, weil deine Fötusse -- daher du oft Sachen verbrenst, die von niemand solten ver- brant werden als von einem Orthodoxen -- mir angenehmere und ge- liebtere Schooskinder sind als majorenne Geburten andrer Köpfe. Eben so ärgert mich dein Geklage über den Inhalt deiner Briefe, deren Ein-20 kleidung deinem Kopf von aussen ähnlich und deren Inhalt deinem inneren Kopf gleich ist. Selbst deine historischen Einwebungen sind mir eben so interessant wie meine Geschichte, blos weil dein und mein Ich mich interessirt. Racine schlug ein Couvert an der königlichen Tafel aus, weil er einen Karpfen mit seinen Kindern zu essen hätte;25 die Philosophie ists Kouvert, und der Karpfe ist eine historische Anek- dote. Und hier hast du Karpfen .. Ich würde deine Schwester fast heirathen, wenn ich mich nicht schämte dich dadurch mit zu heirathen, weil dein und ihr Gesicht = 1 .... der moralische menschenkennerische [?] Gehalt desselben steigt in meinen Augen täglich -- Apropos (meinen30 Brief web' ich aus solchen und wie eine Idee mir aufspringt, treib' ich sie aufs Papier) du soltest kein Buch über 1 Materie schreiben, sondern dich zu einem zwingen, wo du deine Paradoxien [in möglichster Kürze] auf Frisuren und Perükken und Köpfe hageln liessest. ... Die Zungenbänder der Göttinger Philosophen sind in den zügelnden35
242. An Buchhändler Maier in Hof?
[Kopie][Töpen, 16. Dez. 1788]
Ich freue mich über die Anlandung Voltaires am meiſten, nicht weil er in meine Stube kömt ſondern weil ich eher in Ihre darf — daß Sie meinen Körper ungern ſahen, weil er Ihnen eine ſtumme5 Frage, ob V[oltaire] da wäre, ſcheinen muſte; iezt ſind wir nirgends mehr Gegner als auf dem Schachbret. — hat ihm das gröſte metal- liſche Vergnügen gemacht, das Sie vermehren werden, wenn Sie kommen. Und obendrein auch das Ihres ꝛc.
243. An Hermann in Göttingen.10
[Kopie][Töpen, 8. Dez. 1788 bis Jan. 1789]
Ich erhielt deine 2 Brieftaſchen. Ich wil den heutigen beantworten, weil er iezt mein Gehirn inne hat, und wie ein 2tes Chor oder Anti-[267] phonienweiſe antwortet ieder Zeile von dir eine von mir. Dein Kuffer [!] ſezt mich in wahre Beängſtigungen nicht wegen ſeines materiellen15 ſondern hieroglyphiſchen und philoſophiſchen Inhalts, weil deine Fötuſſe — daher du oft Sachen verbrenſt, die von niemand ſolten ver- brant werden als von einem Orthodoxen — mir angenehmere und ge- liebtere Schooskinder ſind als majorenne Geburten andrer Köpfe. Eben ſo ärgert mich dein Geklage über den Inhalt deiner Briefe, deren Ein-20 kleidung deinem Kopf von auſſen ähnlich und deren Inhalt deinem inneren Kopf gleich iſt. Selbſt deine hiſtoriſchen Einwebungen ſind mir eben ſo intereſſant wie meine Geſchichte, blos weil dein und mein Ich mich intereſſirt. Racine ſchlug ein Couvert an der königlichen Tafel aus, weil er einen Karpfen mit ſeinen Kindern zu eſſen hätte;25 die Philoſophie iſts Kouvert, und der Karpfe iſt eine hiſtoriſche Anek- dote. Und hier haſt du Karpfen .. Ich würde deine Schweſter faſt heirathen, wenn ich mich nicht ſchämte dich dadurch mit zu heirathen, weil dein und ihr Geſicht = 1 .... der moraliſche menſchenkenneriſche [?] Gehalt deſſelben ſteigt in meinen Augen täglich — Apropos (meinen30 Brief web’ ich aus ſolchen und wie eine Idee mir aufſpringt, treib’ ich ſie aufs Papier) du ſolteſt kein Buch über 1 Materie ſchreiben, ſondern dich zu einem zwingen, wo du deine Paradoxien [in möglichſter Kürze] auf Friſuren und Perükken und Köpfe hageln lieſſeſt. … Die Zungenbänder der Göttinger Philoſophen ſind in den zügelnden35
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[253/0278]
242. An Buchhändler Maier in Hof?
[Töpen, 16. Dez. 1788]
Ich freue mich über die Anlandung Voltaires am meiſten, nicht
weil er in meine Stube kömt ſondern weil ich eher in Ihre darf —
daß Sie meinen Körper ungern ſahen, weil er Ihnen eine ſtumme 5
Frage, ob V[oltaire] da wäre, ſcheinen muſte; iezt ſind wir nirgends
mehr Gegner als auf dem Schachbret. — hat ihm das gröſte metal-
liſche Vergnügen gemacht, das Sie vermehren werden, wenn Sie
kommen. Und obendrein auch das Ihres ꝛc.
243. An Hermann in Göttingen. 10
[Töpen, 8. Dez. 1788 bis Jan. 1789]
Ich erhielt deine 2 Brieftaſchen. Ich wil den heutigen beantworten,
weil er iezt mein Gehirn inne hat, und wie ein 2tes Chor oder Anti-
phonienweiſe antwortet ieder Zeile von dir eine von mir. Dein Kuffer
[!] ſezt mich in wahre Beängſtigungen nicht wegen ſeines materiellen 15
ſondern hieroglyphiſchen und philoſophiſchen Inhalts, weil deine
Fötuſſe — daher du oft Sachen verbrenſt, die von niemand ſolten ver-
brant werden als von einem Orthodoxen — mir angenehmere und ge-
liebtere Schooskinder ſind als majorenne Geburten andrer Köpfe. Eben
ſo ärgert mich dein Geklage über den Inhalt deiner Briefe, deren Ein- 20
kleidung deinem Kopf von auſſen ähnlich und deren Inhalt deinem
inneren Kopf gleich iſt. Selbſt deine hiſtoriſchen Einwebungen ſind
mir eben ſo intereſſant wie meine Geſchichte, blos weil dein und mein
Ich mich intereſſirt. Racine ſchlug ein Couvert an der königlichen
Tafel aus, weil er einen Karpfen mit ſeinen Kindern zu eſſen hätte; 25
die Philoſophie iſts Kouvert, und der Karpfe iſt eine hiſtoriſche Anek-
dote. Und hier haſt du Karpfen .. Ich würde deine Schweſter faſt
heirathen, wenn ich mich nicht ſchämte dich dadurch mit zu heirathen,
weil dein und ihr Geſicht = 1 .... der moraliſche menſchenkenneriſche [?]
Gehalt deſſelben ſteigt in meinen Augen täglich — Apropos (meinen 30
Brief web’ ich aus ſolchen und wie eine Idee mir aufſpringt, treib’
ich ſie aufs Papier) du ſolteſt kein Buch über 1 Materie ſchreiben,
ſondern dich zu einem zwingen, wo du deine Paradoxien [in möglichſter
Kürze] auf Friſuren und Perükken und Köpfe hageln lieſſeſt. … Die
Zungenbänder der Göttinger Philoſophen ſind in den zügelnden 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/278>, abgerufen am 16.02.2025.
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