Welt, die durch das Gesicht das Herz ersezen wollen und von denen wie vom Chinabaum nichts zu brauchen ist als blos die Rinde nämlich die Kleidung.
115. An Aktuar Vogel in Schwarzenbach.
[Kopie][Hof, 11. Sept. 1785]5
Mit dem grösten Dank send' ich Ihnen 2 von Ihren Büchern zurük, die Sie mir so willig geliehen wie andern Ihre Kentnisse; aber ich wil nicht so undankbar sein wie diese andern, die in ihre holen Köpfe wie die Bären in den Hut Almosen einsamlen und die gleichwol eben diese leren Köpfe den Klienten für volle verkaufen, wie et[wan] Schul-10 knaben mit verschlossener Hand, in der kein Heller ist, etwas in den Klingelbeutel einzulegen scheinen..... in dessen Buche Blumen die [184]Früchte mehr ersezen als verschönern sollen. Dafür verräth er ein so menschenfreundliches Herz und soviel Gefühl für die Leiden der Menschheit, daß ich vermuthen mus, er ist gar kein rechter Jurist: denn15 ein guter Jurist zeichnet sich alzeit durch ein gutes dauerhaftes und steinhartes Herz aus; daher würde man Sie, da Sie offenbar nur ein weiches menschenliebendes, aber kein iuristisches Herz besizen, für keinen volkommen Juristen gelten lassen können, wenn Ihnen nicht Ihr Kopf diesen Namen wieder erwürde. O du arme Menschheit, wenn20 ich alle drei Fakultäten zu deiner Verwundung zusammentreten sehe, wie der Theolog mit der Inquisizionsfakkel deine Glieder sengt und brät, wie der Jurist das Schwerdt der Gerechtigkeit gegen deine Hand [?] und deinen Hals erhebt und wie der Arzt mit der Sense des Todes die niedre Gerichtsbarkeit über die übrigen Glieder exerziret: so kan ich25 mich nicht enthalten, auszurufen: das Aderlasmängen im Kalender hat, so schlim es mit ihm steht, doch nicht soviele Wunden wie du, arme Menschheit! --
116. An Herder in Weimar.
[Kopie][Hof, 11. Sept. 1785]30
Wahrscheinlich haben Sie, edler Man, gegen den ich nicht den Muth habe, höflich zu sein, vor ungefähr 2 Monaten ein Manuskript etc. erhalten. Rührt Ihr Stilschweigen auf die Bitte, ihm den H. Hart- [knoch] zum Verleger zu verschaffen, von der weiten Entfernung des
Welt, die durch das Geſicht das Herz erſezen wollen und von denen wie vom Chinabaum nichts zu brauchen iſt als blos die Rinde nämlich die Kleidung.
115. An Aktuar Vogel in Schwarzenbach.
[Kopie][Hof, 11. Sept. 1785]5
Mit dem gröſten Dank ſend’ ich Ihnen 2 von Ihren Büchern zurük, die Sie mir ſo willig geliehen wie andern Ihre Kentniſſe; aber ich wil nicht ſo undankbar ſein wie dieſe andern, die in ihre holen Köpfe wie die Bären in den Hut Almoſen einſamlen und die gleichwol eben dieſe leren Köpfe den Klienten für volle verkaufen, wie et[wan] Schul-10 knaben mit verſchloſſener Hand, in der kein Heller iſt, etwas in den Klingelbeutel einzulegen ſcheinen..... in deſſen Buche Blumen die [184]Früchte mehr erſezen als verſchönern ſollen. Dafür verräth er ein ſo menſchenfreundliches Herz und ſoviel Gefühl für die Leiden der Menſchheit, daß ich vermuthen mus, er iſt gar kein rechter Juriſt: denn15 ein guter Juriſt zeichnet ſich alzeit durch ein gutes dauerhaftes und ſteinhartes Herz aus; daher würde man Sie, da Sie offenbar nur ein weiches menſchenliebendes, aber kein iuriſtiſches Herz beſizen, für keinen volkommen Juriſten gelten laſſen können, wenn Ihnen nicht Ihr Kopf dieſen Namen wieder erwürde. O du arme Menſchheit, wenn20 ich alle drei Fakultäten zu deiner Verwundung zuſammentreten ſehe, wie der Theolog mit der Inquiſizionsfakkel deine Glieder ſengt und brät, wie der Juriſt das Schwerdt der Gerechtigkeit gegen deine Hand [?] und deinen Hals erhebt und wie der Arzt mit der Senſe des Todes die niedre Gerichtsbarkeit über die übrigen Glieder exerziret: ſo kan ich25 mich nicht enthalten, auszurufen: das Aderlasmängen im Kalender hat, ſo ſchlim es mit ihm ſteht, doch nicht ſoviele Wunden wie du, arme Menſchheit! —
116. An Herder in Weimar.
[Kopie][Hof, 11. Sept. 1785]30
Wahrſcheinlich haben Sie, edler Man, gegen den ich nicht den Muth habe, höflich zu ſein, vor ungefähr 2 Monaten ein Manuſkript ꝛc. erhalten. Rührt Ihr Stilſchweigen auf die Bitte, ihm den H. Hart- [knoch] zum Verleger zu verſchaffen, von der weiten Entfernung des
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0199"n="174"/>
Welt, die durch das Geſicht das Herz erſezen wollen und von denen wie<lb/>
vom Chinabaum nichts zu brauchen iſt als blos die Rinde nämlich die<lb/>
Kleidung.</p></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>115. An <hirendition="#g">Aktuar Vogel in Schwarzenbach.</hi></head><lb/><notetype="editorial"><metamark>[</metamark>Kopie<metamark>]</metamark></note><dateline><hirendition="#right"><metamark>[</metamark>Hof, 11. Sept. 1785<metamark>]</metamark></hi></dateline><lbn="5"/><p>Mit dem gröſten Dank ſend’ ich Ihnen 2 von Ihren Büchern zurük,<lb/>
die Sie mir ſo willig geliehen wie andern Ihre Kentniſſe; aber ich wil<lb/>
nicht ſo undankbar ſein wie dieſe andern, die in ihre holen Köpfe wie die<lb/>
Bären in den Hut Almoſen einſamlen und die gleichwol eben dieſe<lb/>
leren Köpfe den Klienten für volle verkaufen, wie et<metamark>[</metamark>wan<metamark>]</metamark> Schul-<lbn="10"/>
knaben mit verſchloſſener Hand, in der kein Heller iſt, etwas in den<lb/>
Klingelbeutel einzulegen ſcheinen..... in deſſen Buche Blumen die<lb/><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd#_184">[184]</ref></note>Früchte mehr erſezen als verſchönern ſollen. Dafür verräth er ein ſo<lb/>
menſchenfreundliches Herz und ſoviel Gefühl für die Leiden der<lb/>
Menſchheit, daß ich vermuthen mus, er iſt gar kein rechter Juriſt: denn<lbn="15"/>
ein guter Juriſt zeichnet ſich alzeit durch ein gutes dauerhaftes und<lb/>ſteinhartes Herz aus; daher würde man Sie, da Sie offenbar nur ein<lb/>
weiches menſchenliebendes, aber kein iuriſtiſches Herz beſizen, für<lb/>
keinen volkommen Juriſten gelten laſſen können, wenn Ihnen nicht Ihr<lb/>
Kopf dieſen Namen wieder erwürde. O du arme Menſchheit, wenn<lbn="20"/>
ich alle drei Fakultäten zu deiner Verwundung zuſammentreten ſehe,<lb/>
wie der Theolog mit der Inquiſizionsfakkel deine Glieder ſengt und<lb/>
brät, wie der Juriſt das Schwerdt der Gerechtigkeit gegen deine Hand<lb/><metamark>[?]</metamark> und deinen Hals erhebt und wie der Arzt mit der Senſe des Todes<lb/>
die niedre Gerichtsbarkeit über die übrigen Glieder exerziret: ſo kan ich<lbn="25"/>
mich nicht enthalten, auszurufen: das Aderlasmängen im Kalender hat,<lb/>ſo ſchlim es mit ihm ſteht, doch nicht ſoviele Wunden wie du, arme<lb/>
Menſchheit! —</p></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>116. An <hirendition="#g">Herder in Weimar.</hi></head><lb/><notetype="editorial"><metamark>[</metamark>Kopie<metamark>]</metamark></note><dateline><hirendition="#right"><metamark>[</metamark>Hof, 11. Sept. 1785<metamark>]</metamark></hi></dateline><lbn="30"/><p>Wahrſcheinlich haben Sie, edler Man, gegen den ich nicht den<lb/>
Muth habe, höflich zu ſein, vor ungefähr 2 Monaten ein Manuſkript<lb/>ꝛc. erhalten. Rührt Ihr Stilſchweigen auf die Bitte, ihm den H. Hart-<lb/><metamark>[</metamark>knoch<metamark>]</metamark> zum Verleger zu verſchaffen, von der weiten Entfernung des<lb/></p></div></body></text></TEI>
[174/0199]
Welt, die durch das Geſicht das Herz erſezen wollen und von denen wie
vom Chinabaum nichts zu brauchen iſt als blos die Rinde nämlich die
Kleidung.
115. An Aktuar Vogel in Schwarzenbach.
[Hof, 11. Sept. 1785] 5
Mit dem gröſten Dank ſend’ ich Ihnen 2 von Ihren Büchern zurük,
die Sie mir ſo willig geliehen wie andern Ihre Kentniſſe; aber ich wil
nicht ſo undankbar ſein wie dieſe andern, die in ihre holen Köpfe wie die
Bären in den Hut Almoſen einſamlen und die gleichwol eben dieſe
leren Köpfe den Klienten für volle verkaufen, wie et[wan] Schul- 10
knaben mit verſchloſſener Hand, in der kein Heller iſt, etwas in den
Klingelbeutel einzulegen ſcheinen..... in deſſen Buche Blumen die
Früchte mehr erſezen als verſchönern ſollen. Dafür verräth er ein ſo
menſchenfreundliches Herz und ſoviel Gefühl für die Leiden der
Menſchheit, daß ich vermuthen mus, er iſt gar kein rechter Juriſt: denn 15
ein guter Juriſt zeichnet ſich alzeit durch ein gutes dauerhaftes und
ſteinhartes Herz aus; daher würde man Sie, da Sie offenbar nur ein
weiches menſchenliebendes, aber kein iuriſtiſches Herz beſizen, für
keinen volkommen Juriſten gelten laſſen können, wenn Ihnen nicht Ihr
Kopf dieſen Namen wieder erwürde. O du arme Menſchheit, wenn 20
ich alle drei Fakultäten zu deiner Verwundung zuſammentreten ſehe,
wie der Theolog mit der Inquiſizionsfakkel deine Glieder ſengt und
brät, wie der Juriſt das Schwerdt der Gerechtigkeit gegen deine Hand
[?] und deinen Hals erhebt und wie der Arzt mit der Senſe des Todes
die niedre Gerichtsbarkeit über die übrigen Glieder exerziret: ſo kan ich 25
mich nicht enthalten, auszurufen: das Aderlasmängen im Kalender hat,
ſo ſchlim es mit ihm ſteht, doch nicht ſoviele Wunden wie du, arme
Menſchheit! —
[184]
116. An Herder in Weimar.
[Hof, 11. Sept. 1785] 30
Wahrſcheinlich haben Sie, edler Man, gegen den ich nicht den
Muth habe, höflich zu ſein, vor ungefähr 2 Monaten ein Manuſkript
ꝛc. erhalten. Rührt Ihr Stilſchweigen auf die Bitte, ihm den H. Hart-
[knoch] zum Verleger zu verſchaffen, von der weiten Entfernung des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/199>, abgerufen am 25.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.