"lassen Sie es geschehen, wir (beide) haben diesmal nicht mehr mit" (als nämlich 6. Bazen) versezte sie scherzend und lächelnd. -- Feine Lebensart und Sitten der grossen Welt sind unter dem hiesigen Adel etwas sehr gemeines, wie denn der ganze weibliche Theil auf der neu- lichen Retoude mit halb hervorstehenden und unbedekten Brüsten5 tanzte und weder das Gesicht noch den Busen mit einer Larve be- lästigte.
Dem Herman sage, daß er seine Furcht, hier in Hof sein Unglük zu[158] machen, fahren lasse: die hiesigen Doktoren werden das Opfer des ersten besten sein, der sie übertrift. Daß freilich Doppelmaier iezt in10 Rusland schwizt, daran ist er selber schuld: er hatte hier die ganze Kundschaft von Pazienten; allein er wolte den Arzt nicht spielen ausser etwan auf dem unfigürlichen Theater in Heiners Grün mit Kindern. --
Ich wolte nicht viel schreiben; und siehe! schon 8 Seiten hab' ich angefüllet. Ich erwarte, daß du zwar karg bist; allein nur 4 Seiten15 auf 8. Seiten antworten, das kanst du doch thun. Fals du den fehlenden Brief von Haugs Witwe nicht herausbrächtest: so schreib' mir es ia gleich.
An den Keyser in Erfurt schikke mein Manuskript etwan mit; er verlegt viele satirische Schriften.20
Um dich mit dem Landeshauptman auszusöhnen, meld' ich dir, daß er viel Gutes von dir spricht und auf deine Bekantschaft begierig ist. Wie gut ists, daß der Vorschlag des Momus, an der Brust des Menschen Fenster einzusezen, nicht durchgieng! Könten die Leute hier durch eine Glasthür in deine Brust hineinsehen: sie würden alle25 den Kopf schütteln und zu einander lächelnd sagen: "dem Menschen "sein Herz ist doch ein wenig gar zu gros". Auch dürfte dir, fals du eine hiesige Geselschaft mit feinen Scherzen belustigen woltest, der Kriegsrath Kranz die besten Dienste thun. --
Die Weinertin hat an meine Mutter geschrieben: sie wird ihr30 bald antworten.
Lebe wol mein theu[er]er Freund. Richter
Und grüsse mir den lieben Herman, der nichts von sich hören lässet.
Noch einmal frankir' ich meinen Brief nicht, aber warlich ich --35 kan nicht anders.
„laſſen Sie es geſchehen, wir (beide) haben diesmal nicht mehr mit“ (als nämlich 6. Bazen) verſezte ſie ſcherzend und lächelnd. — Feine Lebensart und Sitten der groſſen Welt ſind unter dem hieſigen Adel etwas ſehr gemeines, wie denn der ganze weibliche Theil auf der neu- lichen Retoude mit halb hervorſtehenden und unbedekten Brüſten5 tanzte und weder das Geſicht noch den Buſen mit einer Larve be- läſtigte.
Dem Herman ſage, daß er ſeine Furcht, hier in Hof ſein Unglük zu[158] machen, fahren laſſe: die hieſigen Doktoren werden das Opfer des erſten beſten ſein, der ſie übertrift. Daß freilich Doppelmaier iezt in10 Rusland ſchwizt, daran iſt er ſelber ſchuld: er hatte hier die ganze Kundſchaft von Pazienten; allein er wolte den Arzt nicht ſpielen auſſer etwan auf dem unfigürlichen Theater in Heiners Grün mit Kindern. —
Ich wolte nicht viel ſchreiben; und ſiehe! ſchon 8 Seiten hab’ ich angefüllet. Ich erwarte, daß du zwar karg biſt; allein nur 4 Seiten15 auf 8. Seiten antworten, das kanſt du doch thun. Fals du den fehlenden Brief von Haugs Witwe nicht herausbrächteſt: ſo ſchreib’ mir es ia gleich.
An den Keyſer in Erfurt ſchikke mein Manuſkript etwan mit; er verlegt viele ſatiriſche Schriften.20
Um dich mit dem Landeshauptman auszuſöhnen, meld’ ich dir, daß er viel Gutes von dir ſpricht und auf deine Bekantſchaft begierig iſt. Wie gut iſts, daß der Vorſchlag des Momus, an der Bruſt des Menſchen Fenſter einzuſezen, nicht durchgieng! Könten die Leute hier durch eine Glasthür in deine Bruſt hineinſehen: ſie würden alle25 den Kopf ſchütteln und zu einander lächelnd ſagen: „dem Menſchen „ſein Herz iſt doch ein wenig gar zu gros“. Auch dürfte dir, fals du eine hieſige Geſelſchaft mit feinen Scherzen beluſtigen wolteſt, der Kriegsrath Kranz die beſten Dienſte thun. —
Die Weinertin hat an meine Mutter geſchrieben: ſie wird ihr30 bald antworten.
Lebe wol mein theu[er]er Freund. Richter
Und grüſſe mir den lieben Herman, der nichts von ſich hören läſſet.
Noch einmal frankir’ ich meinen Brief nicht, aber warlich ich —35 kan nicht anders.
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„laſſen Sie es geſchehen, wir (beide) haben diesmal nicht mehr mit“
(als nämlich 6. Bazen) verſezte ſie ſcherzend und lächelnd. — Feine
Lebensart und Sitten der groſſen Welt ſind unter dem hieſigen Adel
etwas ſehr gemeines, wie denn der ganze weibliche Theil auf der neu-
lichen Retoude mit halb hervorſtehenden und unbedekten Brüſten 5
tanzte und weder das Geſicht noch den Buſen mit einer Larve be-
läſtigte.
Dem Herman ſage, daß er ſeine Furcht, hier in Hof ſein Unglük zu
machen, fahren laſſe: die hieſigen Doktoren werden das Opfer des
erſten beſten ſein, der ſie übertrift. Daß freilich Doppelmaier iezt in 10
Rusland ſchwizt, daran iſt er ſelber ſchuld: er hatte hier die ganze
Kundſchaft von Pazienten; allein er wolte den Arzt nicht ſpielen auſſer
etwan auf dem unfigürlichen Theater in Heiners Grün mit Kindern. —
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Ich wolte nicht viel ſchreiben; und ſiehe! ſchon 8 Seiten hab’ ich
angefüllet. Ich erwarte, daß du zwar karg biſt; allein nur 4 Seiten 15
auf 8. Seiten antworten, das kanſt du doch thun. Fals du den fehlenden
Brief von Haugs Witwe nicht herausbrächteſt: ſo ſchreib’ mir es ia
gleich.
An den Keyſer in Erfurt ſchikke mein Manuſkript etwan mit; er
verlegt viele ſatiriſche Schriften. 20
Um dich mit dem Landeshauptman auszuſöhnen, meld’ ich dir, daß
er viel Gutes von dir ſpricht und auf deine Bekantſchaft begierig iſt.
Wie gut iſts, daß der Vorſchlag des Momus, an der Bruſt des
Menſchen Fenſter einzuſezen, nicht durchgieng! Könten die Leute hier
durch eine Glasthür in deine Bruſt hineinſehen: ſie würden alle 25
den Kopf ſchütteln und zu einander lächelnd ſagen: „dem Menſchen
„ſein Herz iſt doch ein wenig gar zu gros“. Auch dürfte dir, fals du
eine hieſige Geſelſchaft mit feinen Scherzen beluſtigen wolteſt, der
Kriegsrath Kranz die beſten Dienſte thun. —
Die Weinertin hat an meine Mutter geſchrieben: ſie wird ihr 30
bald antworten.
Lebe wol mein theu[er]er Freund.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/173>, abgerufen am 04.07.2024.
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