gleich auch ankommen. Aber meinetwegen verschiebe deine Eröfnung keinen Augenblik.
Von litterarischen Neuigkeiten lese und höre ich hier sehr wenig. Ich habe zwar erwartet, du würdest ein genaues Tagebuch über alle Neuigkeit des Parnasses führen: ich glaubte sogar, du würdest es mir5 hernach gern mittheilen; allein soviel ich sehe hast du Lust, mir besagtes Tagebuch gar vorzuenthalten und ich werde mit der Lesung desselben wol so lange warten müssen bis ich dir es einmal selber stehle.
Deine Antwort auf den meinigen [!] ist so kurz wie ein Kommando- wort und ist im Grunde nur eine geschikte Abbreviatur eines Briefes;[156]10 allein das ist eine Kürze, die man wol so wenig wie die senekaische empfehlen kan. Zizero gab auf die Frage: welche Rede des Demosthenes die schönste wäre; die Antwort: die längste. Aber eben diese Schönheit, die Schönheit der Bogenzahl, die allen andern Schönheiten erst die Krone aufsezt, vermiss' ich an deinen Briefen nur gar zu sehr: träten15 sie einmal gedrukt ans Licht, so würd' ich sie gewis rezensiren, aber dan vielleicht diesen Fehler nicht sehr freundschaftlich rügen. Ich würde ihn indessen doch entschuldigen, diesen Fehler, wenn ich nur nicht wüste, daß du ihn freiwillig begehest, blos um einige Dreier Papier zu er- kargen.20
Kant ist in gewissem Betrachte eine Misgeburt. Neulich las ich von einer in Frankreich (glaub' ich) die ein Herz hatte, das so gros war wie der Kopf selbst; der ähnlicht Kant völlig. Sein Herz giebt seinem Kopfe wenig nach. Ich wil die Ironie verlassen: hast du einen Aufsaz von ihm über eine neue Art von Geschichte in der berlinischen Monats-25 schrift gelesen? Da find' ich den edlen Geist des Alterthums, durch welchen Herder, Garve etc. entzükken, eine Vaterlandsliebe der ganzen Welt und nur den Epikur nicht, diesen Zizisbeo von der Jungfer Europa. Dasselbe Gepräge trägt auch iene Stelle in seiner "Kritik", wo er von den Idealen und von Plato's Republik (die ich iezt auch30 gelesen habe; über die Tugend ist gar noch nichts so geschrieben worden wie diese Rep[ublik]: ich weis, du bist ausser dir, wenn du sie lesen wirst) spricht; oder auch das Ende derselben, wo er den Säzen, deren schwache Stüzen er zerbrochen hatte, bessere unterstellet. Ich weis aber nicht wie Platner ihn mit Hume vergleichen können, da er nichts35 weniger als ein Skeptiker ist: es müste denn ieder einer sein, der etwas läugnet. In der A. D. Bibliothek stehet eine Rezension der "Kritik" die
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gleich auch ankommen. Aber meinetwegen verſchiebe deine Eröfnung keinen Augenblik.
Von litterariſchen Neuigkeiten leſe und höre ich hier ſehr wenig. Ich habe zwar erwartet, du würdeſt ein genaues Tagebuch über alle Neuigkeit des Parnaſſes führen: ich glaubte ſogar, du würdeſt es mir5 hernach gern mittheilen; allein ſoviel ich ſehe haſt du Luſt, mir beſagtes Tagebuch gar vorzuenthalten und ich werde mit der Leſung deſſelben wol ſo lange warten müſſen bis ich dir es einmal ſelber ſtehle.
Deine Antwort auf den meinigen [!] iſt ſo kurz wie ein Kommando- wort und iſt im Grunde nur eine geſchikte Abbreviatur eines Briefes;[156]10 allein das iſt eine Kürze, die man wol ſo wenig wie die ſenekaiſche empfehlen kan. Zizero gab auf die Frage: welche Rede des Demoſthenes die ſchönſte wäre; die Antwort: die längſte. Aber eben dieſe Schönheit, die Schönheit der Bogenzahl, die allen andern Schönheiten erſt die Krone aufſezt, vermiſſ’ ich an deinen Briefen nur gar zu ſehr: träten15 ſie einmal gedrukt ans Licht, ſo würd’ ich ſie gewis rezenſiren, aber dan vielleicht dieſen Fehler nicht ſehr freundſchaftlich rügen. Ich würde ihn indeſſen doch entſchuldigen, dieſen Fehler, wenn ich nur nicht wüſte, daß du ihn freiwillig begeheſt, blos um einige Dreier Papier zu er- kargen.20
Kant iſt in gewiſſem Betrachte eine Misgeburt. Neulich las ich von einer in Frankreich (glaub’ ich) die ein Herz hatte, das ſo gros war wie der Kopf ſelbſt; der ähnlicht Kant völlig. Sein Herz giebt ſeinem Kopfe wenig nach. Ich wil die Ironie verlaſſen: haſt du einen Aufſaz von ihm über eine neue Art von Geſchichte in der berliniſchen Monats-25 ſchrift geleſen? Da find’ ich den edlen Geiſt des Alterthums, durch welchen Herder, Garve ꝛc. entzükken, eine Vaterlandsliebe der ganzen Welt und nur den Epikur nicht, dieſen Zizisbeo von der Jungfer Europa. Daſſelbe Gepräge trägt auch iene Stelle in ſeiner „Kritik“, wo er von den Idealen und von Plato’s Republik (die ich iezt auch30 geleſen habe; über die Tugend iſt gar noch nichts ſo geſchrieben worden wie dieſe Rep[ublik]: ich weis, du biſt auſſer dir, wenn du ſie leſen wirſt) ſpricht; oder auch das Ende derſelben, wo er den Säzen, deren ſchwache Stüzen er zerbrochen hatte, beſſere unterſtellet. Ich weis aber nicht wie Platner ihn mit Hume vergleichen können, da er nichts35 weniger als ein Skeptiker iſt: es müſte denn ieder einer ſein, der etwas läugnet. In der A. D. Bibliothek ſtehet eine Rezenſion der „Kritik“ die
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gleich auch ankommen. Aber meinetwegen verſchiebe deine Eröfnung
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Von litterariſchen Neuigkeiten leſe und höre ich hier ſehr wenig.
Ich habe zwar erwartet, du würdeſt ein genaues Tagebuch über alle
Neuigkeit des Parnaſſes führen: ich glaubte ſogar, du würdeſt es mir 5
hernach gern mittheilen; allein ſoviel ich ſehe haſt du Luſt, mir beſagtes
Tagebuch gar vorzuenthalten und ich werde mit der Leſung deſſelben
wol ſo lange warten müſſen bis ich dir es einmal ſelber ſtehle.
Deine Antwort auf den meinigen [!] iſt ſo kurz wie ein Kommando-
wort und iſt im Grunde nur eine geſchikte Abbreviatur eines Briefes; 10
allein das iſt eine Kürze, die man wol ſo wenig wie die ſenekaiſche
empfehlen kan. Zizero gab auf die Frage: welche Rede des Demoſthenes
die ſchönſte wäre; die Antwort: die längſte. Aber eben dieſe Schönheit,
die Schönheit der Bogenzahl, die allen andern Schönheiten erſt die
Krone aufſezt, vermiſſ’ ich an deinen Briefen nur gar zu ſehr: träten 15
ſie einmal gedrukt ans Licht, ſo würd’ ich ſie gewis rezenſiren, aber dan
vielleicht dieſen Fehler nicht ſehr freundſchaftlich rügen. Ich würde ihn
indeſſen doch entſchuldigen, dieſen Fehler, wenn ich nur nicht wüſte,
daß du ihn freiwillig begeheſt, blos um einige Dreier Papier zu er-
kargen. 20
[156]Kant iſt in gewiſſem Betrachte eine Misgeburt. Neulich las ich von
einer in Frankreich (glaub’ ich) die ein Herz hatte, das ſo gros war
wie der Kopf ſelbſt; der ähnlicht Kant völlig. Sein Herz giebt ſeinem
Kopfe wenig nach. Ich wil die Ironie verlaſſen: haſt du einen Aufſaz
von ihm über eine neue Art von Geſchichte in der berliniſchen Monats- 25
ſchrift geleſen? Da find’ ich den edlen Geiſt des Alterthums, durch
welchen Herder, Garve ꝛc. entzükken, eine Vaterlandsliebe der ganzen
Welt und nur den Epikur nicht, dieſen Zizisbeo von der Jungfer
Europa. Daſſelbe Gepräge trägt auch iene Stelle in ſeiner „Kritik“,
wo er von den Idealen und von Plato’s Republik (die ich iezt auch 30
geleſen habe; über die Tugend iſt gar noch nichts ſo geſchrieben worden
wie dieſe Rep[ublik]: ich weis, du biſt auſſer dir, wenn du ſie leſen
wirſt) ſpricht; oder auch das Ende derſelben, wo er den Säzen, deren
ſchwache Stüzen er zerbrochen hatte, beſſere unterſtellet. Ich weis
aber nicht wie Platner ihn mit Hume vergleichen können, da er nichts 35
weniger als ein Skeptiker iſt: es müſte denn ieder einer ſein, der etwas
läugnet. In der A. D. Bibliothek ſtehet eine Rezenſion der „Kritik“ die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/171>, abgerufen am 22.11.2024.
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