"Aber diese Hypochondrie nahm auch die Kräfte seines Geistes "merklich mit und sein Kopf und sein Herz lit viel darunter. Ich be- "ruffe mich auf vorliegende Briefe selbst, worin er beides ausdrüklich "versichert; und in der That ist diese Versicherung auch gar nicht über- "flüssig. Denn der Inhalt der Briefe selbst scheinet sie schlecht zu5 "bestätigen; und sie haben mich oft zu dem Irthume verleitet, daß sie "gar Gesundheitspässe seiner Sele wären. O! entfernter Freund! "wie oft hoben deine Briefe mein Herz, das der Tugend wenig mehr "zu geloben im Stande ist als Entschlüsse! Wie oft erwärmte es deine "Menschenliebe! Wahrhaftig wenn dein elender Körper eine bewegliche10 "Leiche war, so war dein Geist eine Begräbnislampe, die das ewige "Feuer der Griechen enthält! Indessen bleibt demungeachtet das wahr, "was er selbst von sich sagt: denn er mus sich selbst wol am besten kennen.
"Um nicht in Übertreibungen des Lobes zu fallen, hab' ich den "gedachten Briefsteller diese Vorrede selbst vorher wol durchsehen15 [153]"und prüfen lassen. Indessen mus ich sie iezt beschliessen weil die Post "abgeht, die sie zu ihrem Verleger fährt, der nicht wol thut, daß er "mich sogar [!] sehr treibt. Weimar den 12 Mai 1832."
Jezt mus ich wieder wie gewöhnlich eilen, weil ich wie gewöhnlich von der Post getrieben werde.20
Deine Satire (mit dem halben Seneka u.s.w.) ist schön und treffend; aber doch trift sie mich nicht, so wie etwan ein Schüze, der sein Ziel verfehlet hat, immer treffend geschossen hätte, fals man nur an das Ort, wohin er wirklich traf, ein Ziel gestellet hätte. Denn ich bin nicht verliebt in die schöne Sp., und ich werd' es auch in keine auf den25 ersten Augenblik werden, ohne sie sonst zu kennen. -- Von der Madems. Schindlerin konte ich dir nichts schreiben, weil ich sie nur aus fremden und zweideutigen Schilderungen kenne: dein H. Vater aber wird mir vielleicht, (wie er versprochen) in etlichen Tagen den Schlitten schikken, um mich zu ihr holen zu lassen, wenn sie bei ihm ist. Dan wil30 ich ebenfals ein schönes Bild von ihr dir schikken und ich bin gewis, wenn mein Pinsel ihr sehr schmeichelt und in ihr Porträt mehrere Reize hineinspielet als ihr fehlen, so werd' ich einen glüklichen Versuch gethan haben, dich in sie verliebt zu machen, welches des H. Schindlers wegen wol zu wünschen wäre. -- Die Rezension der Mimik ist im35 Grunde eine satirische Rezension des Buches über "Sympathie,
„Aber dieſe Hypochondrie nahm auch die Kräfte ſeines Geiſtes „merklich mit und ſein Kopf und ſein Herz lit viel darunter. Ich be- „ruffe mich auf vorliegende Briefe ſelbſt, worin er beides ausdrüklich „verſichert; und in der That iſt dieſe Verſicherung auch gar nicht über- „flüſſig. Denn der Inhalt der Briefe ſelbſt ſcheinet ſie ſchlecht zu5 „beſtätigen; und ſie haben mich oft zu dem Irthume verleitet, daß ſie „gar Geſundheitspäſſe ſeiner Sele wären. O! entfernter Freund! „wie oft hoben deine Briefe mein Herz, das der Tugend wenig mehr „zu geloben im Stande iſt als Entſchlüſſe! Wie oft erwärmte es deine „Menſchenliebe! Wahrhaftig wenn dein elender Körper eine bewegliche10 „Leiche war, ſo war dein Geiſt eine Begräbnislampe, die das ewige „Feuer der Griechen enthält! Indeſſen bleibt demungeachtet das wahr, „was er ſelbſt von ſich ſagt: denn er mus ſich ſelbſt wol am beſten kennen.
„Um nicht in Übertreibungen des Lobes zu fallen, hab’ ich den „gedachten Briefſteller dieſe Vorrede ſelbſt vorher wol durchſehen15 [153]„und prüfen laſſen. Indeſſen mus ich ſie iezt beſchlieſſen weil die Poſt „abgeht, die ſie zu ihrem Verleger fährt, der nicht wol thut, daß er „mich ſogar [!] ſehr treibt. Weimar den 12 Mai 1832.“
Jezt mus ich wieder wie gewöhnlich eilen, weil ich wie gewöhnlich von der Poſt getrieben werde.20
Deine Satire (mit dem halben Seneka u.ſ.w.) iſt ſchön und treffend; aber doch trift ſie mich nicht, ſo wie etwan ein Schüze, der ſein Ziel verfehlet hat, immer treffend geſchoſſen hätte, fals man nur an das Ort, wohin er wirklich traf, ein Ziel geſtellet hätte. Denn ich bin nicht verliebt in die ſchöne Sp., und ich werd’ es auch in keine auf den25 erſten Augenblik werden, ohne ſie ſonſt zu kennen. — Von der Mademſ. Schindlerin konte ich dir nichts ſchreiben, weil ich ſie nur aus fremden und zweideutigen Schilderungen kenne: dein H. Vater aber wird mir vielleicht, (wie er verſprochen) in etlichen Tagen den Schlitten ſchikken, um mich zu ihr holen zu laſſen, wenn ſie bei ihm iſt. Dan wil30 ich ebenfals ein ſchönes Bild von ihr dir ſchikken und ich bin gewis, wenn mein Pinſel ihr ſehr ſchmeichelt und in ihr Porträt mehrere Reize hineinſpielet als ihr fehlen, ſo werd’ ich einen glüklichen Verſuch gethan haben, dich in ſie verliebt zu machen, welches des H. Schindlers wegen wol zu wünſchen wäre. — Die Rezenſion der Mimik iſt im35 Grunde eine ſatiriſche Rezenſion des Buches über „Sympathie,
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><pbfacs="#f0168"n="144"/><p>„Aber dieſe Hypochondrie nahm auch die Kräfte ſeines Geiſtes<lb/>„merklich mit und ſein Kopf und ſein Herz lit viel darunter. Ich be-<lb/>„ruffe mich auf vorliegende Briefe ſelbſt, worin er beides ausdrüklich<lb/>„verſichert; und in der That iſt dieſe Verſicherung auch gar nicht über-<lb/>„flüſſig. Denn der Inhalt der Briefe ſelbſt ſcheinet ſie ſchlecht zu<lbn="5"/>„beſtätigen; und ſie haben mich oft zu dem Irthume verleitet, daß ſie<lb/>„gar <hirendition="#g">Geſundheitspäſſe</hi>ſeiner Sele wären. O! entfernter Freund!<lb/>„wie oft hoben deine Briefe mein Herz, das der Tugend wenig mehr<lb/>„zu geloben im Stande iſt als Entſchlüſſe! Wie oft erwärmte es deine<lb/>„Menſchenliebe! Wahrhaftig wenn dein elender Körper eine bewegliche<lbn="10"/>„Leiche war, ſo war dein Geiſt eine Begräbnislampe, die das <hirendition="#g">ewige<lb/>„Feuer</hi> der Griechen enthält! Indeſſen bleibt demungeachtet das wahr,<lb/>„was er ſelbſt von ſich ſagt: denn er mus ſich ſelbſt wol am beſten kennen.</p><lb/><p>„Um nicht in Übertreibungen des Lobes zu fallen, hab’ ich den<lb/>„gedachten Briefſteller dieſe Vorrede ſelbſt vorher wol durchſehen<lbn="15"/><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd#_153">[153]</ref></note>„und prüfen laſſen. Indeſſen mus ich ſie iezt beſchlieſſen weil die Poſt<lb/>„abgeht, die ſie zu ihrem Verleger fährt, der nicht wol thut, daß er<lb/>„mich ſogar <metamark>[</metamark>!<metamark>]</metamark>ſehr treibt. Weimar den 12 Mai 1832.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Jezt mus ich wieder wie gewöhnlich eilen, weil ich wie gewöhnlich<lb/>
von der Poſt getrieben werde.<lbn="20"/></p><p>Deine Satire (mit dem <hirendition="#g">halben</hi> Seneka u.ſ.w.) iſt ſchön und treffend;<lb/>
aber doch trift ſie mich nicht, ſo wie etwan ein Schüze, der ſein Ziel<lb/>
verfehlet hat, immer treffend geſchoſſen hätte, fals man nur an das<lb/>
Ort, wohin er wirklich traf, ein Ziel geſtellet hätte. Denn ich bin nicht<lb/>
verliebt in die ſchöne Sp., und ich werd’ es auch in keine auf den<lbn="25"/>
erſten Augenblik werden, ohne ſie ſonſt zu kennen. — Von der Mademſ.<lb/>
Schindlerin konte ich dir nichts ſchreiben, weil ich ſie nur aus fremden<lb/>
und zweideutigen Schilderungen kenne: dein H. Vater aber wird mir<lb/>
vielleicht, (wie er verſprochen) in etlichen Tagen den Schlitten<lb/>ſchikken, um mich zu ihr holen zu laſſen, wenn ſie bei ihm iſt. Dan wil<lbn="30"/>
ich ebenfals ein ſchönes Bild von ihr dir ſchikken und ich bin gewis,<lb/>
wenn mein Pinſel ihr ſehr ſchmeichelt und in ihr Porträt mehrere<lb/>
Reize hineinſpielet als ihr fehlen, ſo werd’ ich einen glüklichen Verſuch<lb/>
gethan haben, dich in ſie verliebt zu machen, welches des H. Schindlers<lb/>
wegen wol zu wünſchen wäre. — Die Rezenſion der Mimik iſt im<lbn="35"/>
Grunde eine ſatiriſche Rezenſion des Buches über „Sympathie,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[144/0168]
„Aber dieſe Hypochondrie nahm auch die Kräfte ſeines Geiſtes
„merklich mit und ſein Kopf und ſein Herz lit viel darunter. Ich be-
„ruffe mich auf vorliegende Briefe ſelbſt, worin er beides ausdrüklich
„verſichert; und in der That iſt dieſe Verſicherung auch gar nicht über-
„flüſſig. Denn der Inhalt der Briefe ſelbſt ſcheinet ſie ſchlecht zu 5
„beſtätigen; und ſie haben mich oft zu dem Irthume verleitet, daß ſie
„gar Geſundheitspäſſe ſeiner Sele wären. O! entfernter Freund!
„wie oft hoben deine Briefe mein Herz, das der Tugend wenig mehr
„zu geloben im Stande iſt als Entſchlüſſe! Wie oft erwärmte es deine
„Menſchenliebe! Wahrhaftig wenn dein elender Körper eine bewegliche 10
„Leiche war, ſo war dein Geiſt eine Begräbnislampe, die das ewige
„Feuer der Griechen enthält! Indeſſen bleibt demungeachtet das wahr,
„was er ſelbſt von ſich ſagt: denn er mus ſich ſelbſt wol am beſten kennen.
„Um nicht in Übertreibungen des Lobes zu fallen, hab’ ich den
„gedachten Briefſteller dieſe Vorrede ſelbſt vorher wol durchſehen 15
„und prüfen laſſen. Indeſſen mus ich ſie iezt beſchlieſſen weil die Poſt
„abgeht, die ſie zu ihrem Verleger fährt, der nicht wol thut, daß er
„mich ſogar [!] ſehr treibt. Weimar den 12 Mai 1832.“
[153]
Jezt mus ich wieder wie gewöhnlich eilen, weil ich wie gewöhnlich
von der Poſt getrieben werde. 20
Deine Satire (mit dem halben Seneka u.ſ.w.) iſt ſchön und treffend;
aber doch trift ſie mich nicht, ſo wie etwan ein Schüze, der ſein Ziel
verfehlet hat, immer treffend geſchoſſen hätte, fals man nur an das
Ort, wohin er wirklich traf, ein Ziel geſtellet hätte. Denn ich bin nicht
verliebt in die ſchöne Sp., und ich werd’ es auch in keine auf den 25
erſten Augenblik werden, ohne ſie ſonſt zu kennen. — Von der Mademſ.
Schindlerin konte ich dir nichts ſchreiben, weil ich ſie nur aus fremden
und zweideutigen Schilderungen kenne: dein H. Vater aber wird mir
vielleicht, (wie er verſprochen) in etlichen Tagen den Schlitten
ſchikken, um mich zu ihr holen zu laſſen, wenn ſie bei ihm iſt. Dan wil 30
ich ebenfals ein ſchönes Bild von ihr dir ſchikken und ich bin gewis,
wenn mein Pinſel ihr ſehr ſchmeichelt und in ihr Porträt mehrere
Reize hineinſpielet als ihr fehlen, ſo werd’ ich einen glüklichen Verſuch
gethan haben, dich in ſie verliebt zu machen, welches des H. Schindlers
wegen wol zu wünſchen wäre. — Die Rezenſion der Mimik iſt im 35
Grunde eine ſatiriſche Rezenſion des Buches über „Sympathie,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/168>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.