(Der Anblik des kleinen Pakets wird dich gegen meine Saumseligkeit im Verkaufe des Manuskripts erzürnet haben; aber du must deinen Zorn widerruffen: denn eben die Post, die dir diesen Brief bringet, bringet dem H. Reiche mein Manuskript, das er an dich wieder zurük- geben wird, wenn ers nicht annimt, wie ich fürchte.)*) Seit meiner5 Abreise hab' ich 12 Bogen umgearbeitet, die neu gearbeiteten un- gerechnet. Jede Umänderung, die ich machte, war eine Bestätigung des Tadels des H. Weiße und ich geb' ihm iezt in allem Recht. Ich habe schon so oft den Kritiken, über die ich anfangs die schiefen Achseln zukte, zulezt Folge geleistet, daß ich mir für die Zukunft vorsezen werde,10 unter die Gründe, womit ein berühmter Man seine Aussprüche unter- stüzet, auch sein Ansehen zu rechnen und auf seinen Ruhm mehr Ge- wicht als auf meine Einwürfe zu legen d. h. meine Vernunft zuweilen gefangen zu nehmen. Im Grunde giebt es gar keine Gefangennehmung der Vernunft, und die Entschliessung, einem andern aufs Wort zu15 glauben, ist eben ein Kind meiner Vernunft und verdankt dieser ihre Festigkeit: aber die Theologen bedenken nur nicht, daß diese Ent- schliessung (zu ihrer Gefangennehmung in theologischen Sachen) nur von historischen Wahrscheinlichkeiten gewirket wird und gleichwol sol sie auch auf wirkliche Widersprüche sich erstrekken, der Grund von20 Sumpf, der ein Kartenhäusgen sehr gut trägt, sol einen steinernen Pallast tragen und die Wahrscheinlichkeit, daß die Apostel uns nicht betrogen, wie es ihre Proselyten thaten, sol bei uns das Über- gewicht über die Gewisheit, daß 3 wol nicht 1. ist, behaupten. --
Deine Klagen über die Intoleranz (auf dem ersten Blatte deines25 lezten Briefes) hast du gewis nicht ganz auf mich gerichtet; sie wären alsdan wol gelinder; auch hab' ich dir niemals -- die einzigen Augen- [143]blikke der Hize des Disputirens ausgenommen -- offenbaren Anlas zu ihnen gegeben. O wenn man sich vom Ehrgeize so leicht loszu- wikkeln vermöchte als vom Eigennuze, wie leicht wäre dan die Tugend!30 Aber so trit der erstere auf die Bühne wieder auf, von der man mit Mühe den leztern veriagte, und alle Fehler, die diesen begleiteten, vermehren wieder das Gefolge von ienem. Ich beneide wol schwerlich dem Nächsten sein Glük, noch gönn' ich ihm sein Elend; auch werd' ich wol schwerlich ihn bestehlen, noch auch mich ie entschliessen, ihn zu35
*) Wie du schon gesehen, so hab' ich meine Meinung wieder geändert.
(Der Anblik des kleinen Pakets wird dich gegen meine Saumſeligkeit im Verkaufe des Manuſkripts erzürnet haben; aber du muſt deinen Zorn widerruffen: denn eben die Poſt, die dir dieſen Brief bringet, bringet dem H. Reiche mein Manuſkript, das er an dich wieder zurük- geben wird, wenn ers nicht annimt, wie ich fürchte.)*) Seit meiner5 Abreiſe hab’ ich 12 Bogen umgearbeitet, die neu gearbeiteten un- gerechnet. Jede Umänderung, die ich machte, war eine Beſtätigung des Tadels des H. Weiße und ich geb’ ihm iezt in allem Recht. Ich habe ſchon ſo oft den Kritiken, über die ich anfangs die ſchiefen Achſeln zukte, zulezt Folge geleiſtet, daß ich mir für die Zukunft vorſezen werde,10 unter die Gründe, womit ein berühmter Man ſeine Ausſprüche unter- ſtüzet, auch ſein Anſehen zu rechnen und auf ſeinen Ruhm mehr Ge- wicht als auf meine Einwürfe zu legen d. h. meine Vernunft zuweilen gefangen zu nehmen. Im Grunde giebt es gar keine Gefangennehmung der Vernunft, und die Entſchlieſſung, einem andern aufs Wort zu15 glauben, iſt eben ein Kind meiner Vernunft und verdankt dieſer ihre Feſtigkeit: aber die Theologen bedenken nur nicht, daß dieſe Ent- ſchlieſſung (zu ihrer Gefangennehmung in theologiſchen Sachen) nur von hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeiten gewirket wird und gleichwol ſol ſie auch auf wirkliche Widerſprüche ſich erſtrekken, der Grund von20 Sumpf, der ein Kartenhäusgen ſehr gut trägt, ſol einen ſteinernen Pallaſt tragen und die Wahrſcheinlichkeit, daß die Apoſtel uns nicht betrogen, wie es ihre Proſelyten thaten, ſol bei uns das Über- gewicht über die Gewisheit, daß 3 wol nicht 1. iſt, behaupten. —
Deine Klagen über die Intoleranz (auf dem erſten Blatte deines25 lezten Briefes) haſt du gewis nicht ganz auf mich gerichtet; ſie wären alsdan wol gelinder; auch hab’ ich dir niemals — die einzigen Augen- [143]blikke der Hize des Diſputirens ausgenommen — offenbaren Anlas zu ihnen gegeben. O wenn man ſich vom Ehrgeize ſo leicht loszu- wikkeln vermöchte als vom Eigennuze, wie leicht wäre dan die Tugend!30 Aber ſo trit der erſtere auf die Bühne wieder auf, von der man mit Mühe den leztern veriagte, und alle Fehler, die dieſen begleiteten, vermehren wieder das Gefolge von ienem. Ich beneide wol ſchwerlich dem Nächſten ſein Glük, noch gönn’ ich ihm ſein Elend; auch werd’ ich wol ſchwerlich ihn beſtehlen, noch auch mich ie entſchlieſſen, ihn zu35
*) Wie du ſchon geſehen, ſo hab’ ich meine Meinung wieder geändert.
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geben wird, wenn ers nicht annimt, wie ich fürchte.) *) Seit meiner 5
Abreiſe hab’ ich 12 Bogen umgearbeitet, die neu gearbeiteten un-
gerechnet. Jede Umänderung, die ich machte, war eine Beſtätigung
des Tadels des H. Weiße und ich geb’ ihm iezt in allem Recht. Ich
habe ſchon ſo oft den Kritiken, über die ich anfangs die ſchiefen Achſeln
zukte, zulezt Folge geleiſtet, daß ich mir für die Zukunft vorſezen werde, 10
unter die Gründe, womit ein berühmter Man ſeine Ausſprüche unter-
ſtüzet, auch ſein Anſehen zu rechnen und auf ſeinen Ruhm mehr Ge-
wicht als auf meine Einwürfe zu legen d. h. meine Vernunft zuweilen
gefangen zu nehmen. Im Grunde giebt es gar keine Gefangennehmung
der Vernunft, und die Entſchlieſſung, einem andern aufs Wort zu 15
glauben, iſt eben ein Kind meiner Vernunft und verdankt dieſer ihre
Feſtigkeit: aber die Theologen bedenken nur nicht, daß dieſe Ent-
ſchlieſſung (zu ihrer Gefangennehmung in theologiſchen Sachen) nur
von hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeiten gewirket wird und gleichwol ſol
ſie auch auf wirkliche Widerſprüche ſich erſtrekken, der Grund von 20
Sumpf, der ein Kartenhäusgen ſehr gut trägt, ſol einen ſteinernen
Pallaſt tragen und die Wahrſcheinlichkeit, daß die Apoſtel uns
nicht betrogen, wie es ihre Proſelyten thaten, ſol bei uns das Über-
gewicht über die Gewisheit, daß 3 wol nicht 1. iſt, behaupten. —
Deine Klagen über die Intoleranz (auf dem erſten Blatte deines 25
lezten Briefes) haſt du gewis nicht ganz auf mich gerichtet; ſie wären
alsdan wol gelinder; auch hab’ ich dir niemals — die einzigen Augen-
blikke der Hize des Diſputirens ausgenommen — offenbaren Anlas zu
ihnen gegeben. O wenn man ſich vom Ehrgeize ſo leicht loszu-
wikkeln vermöchte als vom Eigennuze, wie leicht wäre dan die Tugend! 30
Aber ſo trit der erſtere auf die Bühne wieder auf, von der man mit
Mühe den leztern veriagte, und alle Fehler, die dieſen begleiteten,
vermehren wieder das Gefolge von ienem. Ich beneide wol ſchwerlich
dem Nächſten ſein Glük, noch gönn’ ich ihm ſein Elend; auch werd’ ich
wol ſchwerlich ihn beſtehlen, noch auch mich ie entſchlieſſen, ihn zu 35
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*) Wie du ſchon geſehen, ſo hab’ ich meine Meinung wieder geändert.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/158>, abgerufen am 24.11.2024.
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