Ihrem Geschmakke, der doch allein in der Annahme dieser Satiren stimmen mus, ein überflüssiger Zusaz sein. Aber ist es wahr, daß sich an Ihrer Hand schon mehrere Niedergedrükte aufgerichtet, so besizen Sie ausser Ihrem Geschmakke auch noch eine Eigenschaft, die ienen Zusaz wenigstens minder unverzeihlig finden und mich es nicht bereuen5 lassen wird, die tode Sprache der Aufrichtigkeit gesprochen zu haben.
Das Manuskript, oder die günstigere Antwort haben Sie die Güte zu dem Hern von Örthel in Flier's Hause in der Petersstrasse zu schikken. --
-- Brechen Sie, wenn es sein mus, den Stab über meine Hof-10 nungen wenigstens nur bald. Ich bin mit Versicherung der Hoch- achtung, auf welche die Freundschaft so vieler vortreflicher Männer Ihnen Anspruch giebt,
[Spaltenumbruch]Leipzig den 22. Mai 1784.[Spaltenumbruch]Ew. Hochedelgeboren gehors. Diener15 J. P. F. R--r.
*73. In Christian Heinrich Schützes Stammbuch. Eine wolgerathne Betrachtung über die Stambücher, welche einen geschiktern Kopf zu weiterm Nachdenken darüber anfrischen sol.20
Es ist kläglich genug, daß man dieses Feld zur Zeit noch gar schlecht bearbeitet hat: denn wahrhaftig, ich wüste niemand, der uns darüber besonders glükliche und einigermassen scharfsinnige Gedanken mit- getheilet hätte -- ich müste denn mich selbst ausnehmen. Diese Aus- nahme zu rechtfertigen, wil ich hier dem Publikum in nuce die Ab-25 handlungen, welche ich einen Satyr und darauf die Wahrheit über diese Materie glüklicherweise halten hörte, gütigst bekant machen und sie für meine eignen Produkte ausgeben, wie ich gemeiniglich zu thun pflege.
Der Satyr sprach so:30
Ein Stambuch ist ein Reallexikon, eine Musterrolle, oder auch ein Lekzionskatalogus von Freunden. Ich weis nicht, drükke ich mich viel- leicht deutlicher aus, wenn ich noch hinzuseze: man kan es auch sehr wol einen Passagierzettel, ein Inventarium, oder gar eine Produktenkarte [129]von Freunden nennen. Am besten aber hiesse man es einen orbis pictus35
Ihrem Geſchmakke, der doch allein in der Annahme dieſer Satiren ſtimmen mus, ein überflüſſiger Zuſaz ſein. Aber iſt es wahr, daß ſich an Ihrer Hand ſchon mehrere Niedergedrükte aufgerichtet, ſo beſizen Sie auſſer Ihrem Geſchmakke auch noch eine Eigenſchaft, die ienen Zuſaz wenigſtens minder unverzeihlig finden und mich es nicht bereuen5 laſſen wird, die tode Sprache der Aufrichtigkeit geſprochen zu haben.
Das Manuſkript, oder die günſtigere Antwort haben Sie die Güte zu dem Hern von Örthel in Flier’s Hauſe in der Petersſtraſſe zu ſchikken. —
— Brechen Sie, wenn es ſein mus, den Stab über meine Hof-10 nungen wenigſtens nur bald. Ich bin mit Verſicherung der Hoch- achtung, auf welche die Freundſchaft ſo vieler vortreflicher Männer Ihnen Anſpruch giebt,
[Spaltenumbruch]Leipzig den 22. Mai 1784.[Spaltenumbruch]Ew. Hochedelgeboren gehorſ. Diener15 J. P. F. R—r.
*73. In Chriſtian Heinrich Schützes Stammbuch. Eine wolgerathne Betrachtung über die Stambücher, welche einen geſchiktern Kopf zu weiterm Nachdenken darüber anfriſchen ſol.20
Es iſt kläglich genug, daß man dieſes Feld zur Zeit noch gar ſchlecht bearbeitet hat: denn wahrhaftig, ich wüſte niemand, der uns darüber beſonders glükliche und einigermaſſen ſcharfſinnige Gedanken mit- getheilet hätte — ich müſte denn mich ſelbſt ausnehmen. Dieſe Aus- nahme zu rechtfertigen, wil ich hier dem Publikum in nuce die Ab-25 handlungen, welche ich einen Satyr und darauf die Wahrheit über dieſe Materie glüklicherweiſe halten hörte, gütigſt bekant machen und ſie für meine eignen Produkte ausgeben, wie ich gemeiniglich zu thun pflege.
Der Satyr ſprach ſo:30
Ein Stambuch iſt ein Reallexikon, eine Muſterrolle, oder auch ein Lekzionskatalogus von Freunden. Ich weis nicht, drükke ich mich viel- leicht deutlicher aus, wenn ich noch hinzuſeze: man kan es auch ſehr wol einen Paſſagierzettel, ein Inventarium, oder gar eine Produktenkarte [129]von Freunden nennen. Am beſten aber hieſſe man es einen orbis pictus35
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Ihrem Geſchmakke, der doch allein in der Annahme dieſer Satiren
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an Ihrer Hand ſchon mehrere Niedergedrükte aufgerichtet, ſo beſizen
Sie auſſer Ihrem Geſchmakke auch noch eine Eigenſchaft, die ienen
Zuſaz wenigſtens minder unverzeihlig finden und mich es nicht bereuen 5
laſſen wird, die tode Sprache der Aufrichtigkeit geſprochen zu haben.
Das Manuſkript, oder die günſtigere Antwort haben Sie die Güte
zu dem Hern von Örthel in Flier’s Hauſe in der Petersſtraſſe zu
ſchikken. —
— Brechen Sie, wenn es ſein mus, den Stab über meine Hof- 10
nungen wenigſtens nur bald. Ich bin mit Verſicherung der Hoch-
achtung, auf welche die Freundſchaft ſo vieler vortreflicher Männer
Ihnen Anſpruch giebt,
Leipzig den 22. Mai
1784.
Ew. Hochedelgeboren
gehorſ. Diener 15
J. P. F. R—r.
*73. In Chriſtian Heinrich Schützes Stammbuch.
Eine wolgerathne Betrachtung über die Stambücher,
welche einen geſchiktern Kopf zu weiterm Nachdenken
darüber anfriſchen ſol. 20
Es iſt kläglich genug, daß man dieſes Feld zur Zeit noch gar ſchlecht
bearbeitet hat: denn wahrhaftig, ich wüſte niemand, der uns darüber
beſonders glükliche und einigermaſſen ſcharfſinnige Gedanken mit-
getheilet hätte — ich müſte denn mich ſelbſt ausnehmen. Dieſe Aus-
nahme zu rechtfertigen, wil ich hier dem Publikum in nuce die Ab- 25
handlungen, welche ich einen Satyr und darauf die Wahrheit über
dieſe Materie glüklicherweiſe halten hörte, gütigſt bekant machen und
ſie für meine eignen Produkte ausgeben, wie ich gemeiniglich zu thun
pflege.
Der Satyr ſprach ſo: 30
Ein Stambuch iſt ein Reallexikon, eine Muſterrolle, oder auch ein
Lekzionskatalogus von Freunden. Ich weis nicht, drükke ich mich viel-
leicht deutlicher aus, wenn ich noch hinzuſeze: man kan es auch ſehr wol
einen Paſſagierzettel, ein Inventarium, oder gar eine Produktenkarte
von Freunden nennen. Am beſten aber hieſſe man es einen orbis pictus 35
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/144>, abgerufen am 16.02.2025.
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