geistlichlichten Gosen; ich hoffe, daß Leipzig auch wie Gosen, vor dem Würgengel Gnade finden wird. Die Juden in Gosen musten Oster- lämmer schlachten, um von dem himlischen Mezger der Menschen nicht geschlachtet zu werden. Ich rate dir daher, hinten im Schlosse alle Wochen etlichemal Lamsbraten zu fodern; ich tue zum Überflus5 noch Schöpsenbraten hinzu. Die hiesige Partikularkrankheit -- die Pest ist eine Universalkrankheit, und doch giebt's keine Universal- medizin -- ist die Rur. Das Vomiren der Erde wirkte das Purgiren der Menschen. In Eger wüten die ungarischen Flekken; und der Türk macht würgende Engel zur Avantgarde der Janitscharen; vielleicht daß10 seine kranken Krieger tapferer verwunden als seine gesunden, vielleicht daß er mit Leichnamen den Kaiser besiegt. -- Was vermögen alle Säbel in der Welt gegen die Sense des Todes, vorzüglich wenn sie erst vom Schwerdfeger gekommen? -- Der Nebel sol den Gewächsen eben so übel mitspielen als den Menschen; sterben wir nicht am Durchfal, so15 sterben wir am Gegenteil, an der Verstopfung d. h. am Hunger. Sterb' ich, so must du die Fragmente von meinem zweiten satirischen Teufelgen herausgeben, und sie mit einer Vorrede versehen, worin du meinen ganzen, aber leider! kurzen Lebenslauf mit beigefügten Anek- doten die über meinen Karakter einiges Licht werfen können, kurz20 aber gut erzälen und mich ungleich mer loben, als ich es in meinen Vorreden tun darf und dich zulezt Lorenz Adam Örthel unterschreiben. Diesen lezten Perioden kanst du in die Vorrede als eine Weissagung einrükken. -- Vor dem Tode vielleicht, aber nicht vor dem frühen solte man sich scheuen. Ob ich 60 oder 20 Jare gelebt, das ist, sobald ich sie25 gelebt, immer einerlei; und eine lange Vergangenheit hilft dem, der eine unendlich lange Zukunft hoft, so wenig wie die noch längere Ewigkeit a parte ante. Unser Leben gleicht der Gelegenheit; der vordere Teil trägt noch iugendliche Fruchtbarkeit, auf der hintern Seite aber ist alles kal. (Der weisse Schedel ist der weisse Grabstein des Gehirns.)30
Den 1. August.
Den 5. August.[109]
Heute kam ich von einem dir unbekanten Orte, wo ich drei Tage und drei Nächte gewesen war und also 3. Tage wenigstens nichts gedacht hatte, zurük und fand deinen Brief, der dein lezter von Leipzig aus, und35 nach meinem Gefül dein schönster ist. Überhaupt schien mir die Güte deiner Briefe mit ihrer Anzal zuzunemen. Das Gleichnis vom Gold,
geiſtlichlichten Goſen; ich hoffe, daß Leipzig auch wie Goſen, vor dem Würgengel Gnade finden wird. Die Juden in Goſen muſten Oſter- lämmer ſchlachten, um von dem himliſchen Mezger der Menſchen nicht geſchlachtet zu werden. Ich rate dir daher, hinten im Schloſſe alle Wochen etlichemal Lamsbraten zu fodern; ich tue zum Überflus5 noch Schöpſenbraten hinzu. Die hieſige Partikularkrankheit — die Peſt iſt eine Univerſalkrankheit, und doch giebt’s keine Univerſal- medizin — iſt die Rur. Das Vomiren der Erde wirkte das Purgiren der Menſchen. In Eger wüten die ungariſchen Flekken; und der Türk macht würgende Engel zur Avantgarde der Janitſcharen; vielleicht daß10 ſeine kranken Krieger tapferer verwunden als ſeine geſunden, vielleicht daß er mit Leichnamen den Kaiſer beſiegt. — Was vermögen alle Säbel in der Welt gegen die Senſe des Todes, vorzüglich wenn ſie erſt vom Schwerdfeger gekommen? — Der Nebel ſol den Gewächſen eben ſo übel mitſpielen als den Menſchen; ſterben wir nicht am Durchfal, ſo15 ſterben wir am Gegenteil, an der Verſtopfung d. h. am Hunger. Sterb’ ich, ſo muſt du die Fragmente von meinem zweiten ſatiriſchen Teufelgen herausgeben, und ſie mit einer Vorrede verſehen, worin du meinen ganzen, aber leider! kurzen Lebenslauf mit beigefügten Anek- doten die über meinen Karakter einiges Licht werfen können, kurz20 aber gut erzälen und mich ungleich mer loben, als ich es in meinen Vorreden tun darf und dich zulezt Lorenz Adam Örthel unterſchreiben. Dieſen lezten Perioden kanſt du in die Vorrede als eine Weiſſagung einrükken. — Vor dem Tode vielleicht, aber nicht vor dem frühen ſolte man ſich ſcheuen. Ob ich 60 oder 20 Jare gelebt, das iſt, ſobald ich ſie25 gelebt, immer einerlei; und eine lange Vergangenheit hilft dem, der eine unendlich lange Zukunft hoft, ſo wenig wie die noch längere Ewigkeit a parte ante. Unſer Leben gleicht der Gelegenheit; der vordere Teil trägt noch iugendliche Fruchtbarkeit, auf der hintern Seite aber iſt alles kal. (Der weiſſe Schedel iſt der weiſſe Grabſtein des Gehirns.)30
Den 1. Auguſt.
Den 5. Auguſt.[109]
Heute kam ich von einem dir unbekanten Orte, wo ich drei Tage und drei Nächte geweſen war und alſo 3. Tage wenigſtens nichts gedacht hatte, zurük und fand deinen Brief, der dein lezter von Leipzig aus, und35 nach meinem Gefül dein ſchönſter iſt. Überhaupt ſchien mir die Güte deiner Briefe mit ihrer Anzal zuzunemen. Das Gleichnis vom Gold,
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Würgengel Gnade finden wird. Die Juden in Goſen muſten Oſter-
lämmer ſchlachten, um von dem himliſchen Mezger der Menſchen
nicht geſchlachtet zu werden. Ich rate dir daher, hinten im Schloſſe
alle Wochen etlichemal Lamsbraten zu fodern; ich tue zum Überflus 5
noch Schöpſenbraten hinzu. Die hieſige Partikularkrankheit — die
Peſt iſt eine Univerſalkrankheit, und doch giebt’s keine Univerſal-
medizin — iſt die Rur. Das Vomiren der Erde wirkte das Purgiren der
Menſchen. In Eger wüten die ungariſchen Flekken; und der Türk macht
würgende Engel zur Avantgarde der Janitſcharen; vielleicht daß 10
ſeine kranken Krieger tapferer verwunden als ſeine geſunden, vielleicht
daß er mit Leichnamen den Kaiſer beſiegt. — Was vermögen alle
Säbel in der Welt gegen die Senſe des Todes, vorzüglich wenn ſie erſt
vom Schwerdfeger gekommen? — Der Nebel ſol den Gewächſen eben
ſo übel mitſpielen als den Menſchen; ſterben wir nicht am Durchfal, ſo 15
ſterben wir am Gegenteil, an der Verſtopfung d. h. am Hunger.
Sterb’ ich, ſo muſt du die Fragmente von meinem zweiten ſatiriſchen
Teufelgen herausgeben, und ſie mit einer Vorrede verſehen, worin du
meinen ganzen, aber leider! kurzen Lebenslauf mit beigefügten Anek-
doten die über meinen Karakter einiges Licht werfen können, kurz 20
aber gut erzälen und mich ungleich mer loben, als ich es in meinen
Vorreden tun darf und dich zulezt Lorenz Adam Örthel unterſchreiben.
Dieſen lezten Perioden kanſt du in die Vorrede als eine Weiſſagung
einrükken. — Vor dem Tode vielleicht, aber nicht vor dem frühen ſolte
man ſich ſcheuen. Ob ich 60 oder 20 Jare gelebt, das iſt, ſobald ich ſie 25
gelebt, immer einerlei; und eine lange Vergangenheit hilft dem, der
eine unendlich lange Zukunft hoft, ſo wenig wie die noch längere
Ewigkeit a parte ante. Unſer Leben gleicht der Gelegenheit; der vordere
Teil trägt noch iugendliche Fruchtbarkeit, auf der hintern Seite aber
iſt alles kal. (Der weiſſe Schedel iſt der weiſſe Grabſtein des Gehirns.) 30
Den 1. Auguſt.
Den 5. Auguſt.
Heute kam ich von einem dir unbekanten Orte, wo ich drei Tage und
drei Nächte geweſen war und alſo 3. Tage wenigſtens nichts gedacht
hatte, zurük und fand deinen Brief, der dein lezter von Leipzig aus, und 35
nach meinem Gefül dein ſchönſter iſt. Überhaupt ſchien mir die Güte
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/124>, abgerufen am 27.11.2024.
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