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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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55. An Konsulent Joerdens in Hof.[106]
[Konzept]

Verzeihen Sie, daß ich Ihnen dieses Buch nicht eher geschikt.
Früher konte ich es der Person, von der ich es zurück bekommen, nicht
abfordern, one die Höflichkeit, die ich gegen Sie beobachten wollen,5
gegen einen dritten zu verlezen. Nach diesem Feler vergeben Sie noch
den, welchen ich iezt dadurch begehen werde, daß ich es wie die Holländer
mache, die wie man sagt, nichts umsonst geben und nicht einmal die
Antwort auf die Frage: wie viel Ur ist es? Ich bitte Sie nämlich auf
einige Tage um ein Buch, das eine deutsche Erklärung aller iuristi-10
schen Termen enthält.

56. An Oerthel in Leipzig.

Lieber Polygraph!

Auch Herkules war ein Polygraph: denn er schrieb in Einer Nacht15
mit Hülfe von 50 Musen, die ihn begeisterten, 50 Piecen, die hernach
mit der alexandrinischen Bibliothek verbranten. Jupiter war ein
mittelmäsiger Polygraph: denn er brachte zwei Nächte bei der Alkmene
zu, um den grössern Polygraphen Herkules zu ediren. Ich bin weder
ein Halbgot wie Herkules, noch ein ganzer Got wie Jupiter; und20
daher ein solcher Oligograph, daß ich schon eben soviel Monate, wie
die Weiber tragen, an meinem künftigen Teufel gezeugt, one noch
weiter als bis zum Hintern gekommen zu sein. Vielleicht dauert die
Schöpfung des Jungen so kurz wie das Leben desselben; auf änliche
Art schliessen dieienigen Mystiker, die behaupten, daß die Welt nur25
sechs tausend Jare leben werde, weil sie in sechs Tagen geschaffen
worden. Und fals man den Theologen den fidem pastoralem, der
ihnen bei den Geburtsscheinen der Kinder zukomt, auch bei dem
Geburtsschein der Erde zugesteht, den sie von anno 1. den 1. Sept.
datiren, so liesse sich das Ende der Welt nach der Analogie voraus30
weissagen. Später fält wol der iüngste Tag nicht, aber vielleicht eher,
vielleicht im Sommer, wo zugleich die Schnitter das Korn in ihre
Scheuren und die h. Engel die Schnitter in die himlischen
Scheuren samlen könten. Immer glaubte ich sonst, das Autodafe der
Erde würde am [!] November, wo onehin ieder das Leben verwünscht,[107]35

7*
55. An Konſulent Joerdens in Hof.[106]
[Konzept]

Verzeihen Sie, daß ich Ihnen dieſes Buch nicht eher geſchikt.
Früher konte ich es der Perſon, von der ich es zurück bekommen, nicht
abfordern, one die Höflichkeit, die ich gegen Sie beobachten wollen,5
gegen einen dritten zu verlezen. Nach dieſem Feler vergeben Sie noch
den, welchen ich iezt dadurch begehen werde, daß ich es wie die Holländer
mache, die wie man ſagt, nichts umſonſt geben und nicht einmal die
Antwort auf die Frage: wie viel Ur iſt es? Ich bitte Sie nämlich auf
einige Tage um ein Buch, das eine deutſche Erklärung aller iuriſti-10
ſchen Termen enthält.

56. An Oerthel in Leipzig.

Lieber Polygraph!

Auch Herkules war ein Polygraph: denn er ſchrieb in Einer Nacht15
mit Hülfe von 50 Muſen, die ihn begeiſterten, 50 Piecen, die hernach
mit der alexandriniſchen Bibliothek verbranten. Jupiter war ein
mittelmäſiger Polygraph: denn er brachte zwei Nächte bei der Alkmene
zu, um den gröſſern Polygraphen Herkules zu ediren. Ich bin weder
ein Halbgot wie Herkules, noch ein ganzer Got wie Jupiter; und20
daher ein ſolcher Oligograph, daß ich ſchon eben ſoviel Monate, wie
die Weiber tragen, an meinem künftigen Teufel gezeugt, one noch
weiter als bis zum Hintern gekommen zu ſein. Vielleicht dauert die
Schöpfung des Jungen ſo kurz wie das Leben deſſelben; auf änliche
Art ſchlieſſen dieienigen Myſtiker, die behaupten, daß die Welt nur25
ſechs tauſend Jare leben werde, weil ſie in ſechs Tagen geſchaffen
worden. Und fals man den Theologen den fidem pastoralem, der
ihnen bei den Geburtsſcheinen der Kinder zukomt, auch bei dem
Geburtsſchein der Erde zugeſteht, den ſie von anno 1. den 1. Sept.
datiren, ſo lieſſe ſich das Ende der Welt nach der Analogie voraus30
weiſſagen. Später fält wol der iüngſte Tag nicht, aber vielleicht eher,
vielleicht im Sommer, wo zugleich die Schnitter das Korn in ihre
Scheuren und die h. Engel die Schnitter in die himliſchen
Scheuren ſamlen könten. Immer glaubte ich ſonſt, das Autodafe der
Erde würde am [!] November, wo onehin ieder das Leben verwünſcht,[107]35

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[99/0122] 55. An Konſulent Joerdens in Hof. [Hof, Ende Juli 1783] Verzeihen Sie, daß ich Ihnen dieſes Buch nicht eher geſchikt. Früher konte ich es der Perſon, von der ich es zurück bekommen, nicht abfordern, one die Höflichkeit, die ich gegen Sie beobachten wollen, 5 gegen einen dritten zu verlezen. Nach dieſem Feler vergeben Sie noch den, welchen ich iezt dadurch begehen werde, daß ich es wie die Holländer mache, die wie man ſagt, nichts umſonſt geben und nicht einmal die Antwort auf die Frage: wie viel Ur iſt es? Ich bitte Sie nämlich auf einige Tage um ein Buch, das eine deutſche Erklärung aller iuriſti- 10 ſchen Termen enthält. 56. An Oerthel in Leipzig. [Hof, 1.—7. Auguſt 1783] Lieber Polygraph! Auch Herkules war ein Polygraph: denn er ſchrieb in Einer Nacht 15 mit Hülfe von 50 Muſen, die ihn begeiſterten, 50 Piecen, die hernach mit der alexandriniſchen Bibliothek verbranten. Jupiter war ein mittelmäſiger Polygraph: denn er brachte zwei Nächte bei der Alkmene zu, um den gröſſern Polygraphen Herkules zu ediren. Ich bin weder ein Halbgot wie Herkules, noch ein ganzer Got wie Jupiter; und 20 daher ein ſolcher Oligograph, daß ich ſchon eben ſoviel Monate, wie die Weiber tragen, an meinem künftigen Teufel gezeugt, one noch weiter als bis zum Hintern gekommen zu ſein. Vielleicht dauert die Schöpfung des Jungen ſo kurz wie das Leben deſſelben; auf änliche Art ſchlieſſen dieienigen Myſtiker, die behaupten, daß die Welt nur 25 ſechs tauſend Jare leben werde, weil ſie in ſechs Tagen geſchaffen worden. Und fals man den Theologen den fidem pastoralem, der ihnen bei den Geburtsſcheinen der Kinder zukomt, auch bei dem Geburtsſchein der Erde zugeſteht, den ſie von anno 1. den 1. Sept. datiren, ſo lieſſe ſich das Ende der Welt nach der Analogie voraus 30 weiſſagen. Später fält wol der iüngſte Tag nicht, aber vielleicht eher, vielleicht im Sommer, wo zugleich die Schnitter das Korn in ihre Scheuren und die h. Engel die Schnitter in die himliſchen Scheuren ſamlen könten. Immer glaubte ich ſonſt, das Autodafe der Erde würde am [!] November, wo onehin ieder das Leben verwünſcht, 35 [107] 7*

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/122>, abgerufen am 21.11.2024.