Tausend Hindernisse unterbrachen mein Pasquil auf den Wiz, welches iezt noch fortzusezen sein Stiefbruder, der Verstand, nicht Willens ist; auch würd' ich dadurch nur meinen Brief und mein Stil- schweigen zugleich verlängern. Du hast Recht in deinem lezten Brief,5 meine Nachlässigkeit mit einem sanften Fächerschlage zu bestrafen; allein ich bin eigentlich nicht im Briefschreiben sondern nur im Brief- schikken nachlässig und ie länger du von mir nichts gelesen, desto mer bekomst du aufeinmal zu lesen. So fastet man am Bustage, alle in wenn man isset, isset man mer als sonst und beschliesset die Enthaltsamkeit10 mit Schwelgerei, die Tugend mit dem Laster, sowie die Schwindsucht [97]in Wassersucht auszuarten pflegt. Ich gehe gern aus einem Gleichnis in das andre über, wie die schlechten Organisten aus einem Ton in den andern fallen; allein das Ende des Präludiums weiset sie und mich doch wieder in den Ton des prologirten Lieds zurük. Ich war dir schon15 einen Brief schuldig; und gestern bekam ich durch die Post von dir den andern geliehen, so wie auch Geld. Apollo hätte mir nicht mer auf- einmal geben können, der nach Popes Ausdruk Wiz und Gold reifet. Beiläufig das Zeichen des Phöbus ist in der Chemie auch das Zeichen des Goldes; und wirklich solte Wiz und Geld immer wie Körper und20 Schatten unzertrenbar sein, da zumal auf das Geld von Fürsten blos der Kopf geprägt wird. "Aber sonst grub man ia in die Münzen das Bild der Dumheit, einen Ochsen!" Leider! und auch iezt; doch hat man schon den Rumpf weggelassen. -- Beinahe möcht' ich doch mein Stil- schweigen entschuldigen, damit es nicht der Waffenträger des deinigen25 würde. Alle Tage ziehe ich mein Buch mit meinen chirurgischen Instrumenten etliche Linien weiter aus seiner Umhüllung heraus; allein ich gebäre länger als ich trage und das Kind wächst immer grösser in der ewigen Geburt, die noch nicht zu Ende ist. Die Nachgeburt sind Briefe, die ich iezt bald da bald dorthin an dumme Leute zu schreiben30 habe, welche gleich den Jakuten, die Nachgeburt, aber nicht das Kind verz[eren] -- mögen oder können. Meinem Wiz hätte ich sonach durch diese Anmerkung ein gültiges Testimonium Paupertatis gemacht, wodurch er von dir erhielte, daß du für ihn in deinen Briefen gratis läsest. Nim es also nicht übel, wenn ich dir von einem fliessenden35 Talglicht, das sich in [un]aufhörlicher Erleuchtung das Leben ab- frisset, nichts als das abgekrazte Fet, welches in den Leuchter herunter-
Den 19. Jul.
Tauſend Hinderniſſe unterbrachen mein Paſquil auf den Wiz, welches iezt noch fortzuſezen ſein Stiefbruder, der Verſtand, nicht Willens iſt; auch würd’ ich dadurch nur meinen Brief und mein Stil- ſchweigen zugleich verlängern. Du haſt Recht in deinem lezten Brief,5 meine Nachläſſigkeit mit einem ſanften Fächerſchlage zu beſtrafen; allein ich bin eigentlich nicht im Briefſchreiben ſondern nur im Brief- ſchikken nachläſſig und ie länger du von mir nichts geleſen, deſto mer bekomſt du aufeinmal zu leſen. So faſtet man am Bustage, alle in wenn man iſſet, iſſet man mer als ſonſt und beſchlieſſet die Enthaltſamkeit10 mit Schwelgerei, die Tugend mit dem Laſter, ſowie die Schwindſucht [97]in Waſſerſucht auszuarten pflegt. Ich gehe gern aus einem Gleichnis in das andre über, wie die ſchlechten Organiſten aus einem Ton in den andern fallen; allein das Ende des Präludiums weiſet ſie und mich doch wieder in den Ton des prologirten Lieds zurük. Ich war dir ſchon15 einen Brief ſchuldig; und geſtern bekam ich durch die Poſt von dir den andern geliehen, ſo wie auch Geld. Apollo hätte mir nicht mer auf- einmal geben können, der nach Popes Ausdruk Wiz und Gold reifet. Beiläufig das Zeichen des Phöbus iſt in der Chemie auch das Zeichen des Goldes; und wirklich ſolte Wiz und Geld immer wie Körper und20 Schatten unzertrenbar ſein, da zumal auf das Geld von Fürſten blos der Kopf geprägt wird. „Aber ſonſt grub man ia in die Münzen das Bild der Dumheit, einen Ochſen!“ Leider! und auch iezt; doch hat man ſchon den Rumpf weggelaſſen. — Beinahe möcht’ ich doch mein Stil- ſchweigen entſchuldigen, damit es nicht der Waffenträger des deinigen25 würde. Alle Tage ziehe ich mein Buch mit meinen chirurgiſchen Inſtrumenten etliche Linien weiter aus ſeiner Umhüllung heraus; allein ich gebäre länger als ich trage und das Kind wächſt immer gröſſer in der ewigen Geburt, die noch nicht zu Ende iſt. Die Nachgeburt ſind Briefe, die ich iezt bald da bald dorthin an dumme Leute zu ſchreiben30 habe, welche gleich den Jakuten, die Nachgeburt, aber nicht das Kind verz[eren] — mögen oder können. Meinem Wiz hätte ich ſonach durch dieſe Anmerkung ein gültiges Teſtimonium Paupertatis gemacht, wodurch er von dir erhielte, daß du für ihn in deinen Briefen gratis läſeſt. Nim es alſo nicht übel, wenn ich dir von einem flieſſenden35 Talglicht, das ſich in [un]aufhörlicher Erleuchtung das Leben ab- friſſet, nichts als das abgekrazte Fet, welches in den Leuchter herunter-
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><pbfacs="#f0113"n="90"/><p><date><hirendition="#c">Den 19. Jul.</hi></date></p><lb/><p>Tauſend Hinderniſſe unterbrachen mein Paſquil auf den Wiz,<lb/>
welches iezt noch fortzuſezen ſein Stiefbruder, der Verſtand, nicht<lb/>
Willens iſt; auch würd’ ich dadurch nur meinen Brief und mein Stil-<lb/>ſchweigen zugleich verlängern. Du haſt Recht in deinem lezten Brief,<lbn="5"/>
meine Nachläſſigkeit mit einem ſanften Fächerſchlage zu beſtrafen;<lb/>
allein ich bin eigentlich nicht im Briefſchreiben ſondern nur im Brief-<lb/>ſchikken nachläſſig und ie länger du von mir nichts geleſen, deſto mer<lb/>
bekomſt du aufeinmal zu leſen. So faſtet man am Bustage, alle in wenn<lb/>
man iſſet, iſſet man mer als ſonſt und beſchlieſſet die Enthaltſamkeit<lbn="10"/>
mit Schwelgerei, die Tugend mit dem Laſter, ſowie die Schwindſucht<lb/><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd#_97">[97]</ref></note>in Waſſerſucht auszuarten pflegt. Ich gehe gern aus einem Gleichnis<lb/>
in das andre über, wie die ſchlechten Organiſten aus einem Ton in den<lb/>
andern fallen; allein das Ende des Präludiums weiſet ſie und mich<lb/>
doch wieder in den Ton des prologirten Lieds zurük. Ich war dir ſchon<lbn="15"/>
einen Brief ſchuldig; und geſtern bekam ich durch die Poſt von dir den<lb/>
andern geliehen, ſo wie auch Geld. Apollo hätte mir nicht mer auf-<lb/>
einmal geben können, der nach Popes Ausdruk Wiz und Gold reifet.<lb/>
Beiläufig das Zeichen des Phöbus iſt in der Chemie auch das Zeichen<lb/>
des Goldes; und wirklich ſolte Wiz und Geld immer wie Körper und<lbn="20"/>
Schatten unzertrenbar ſein, da zumal auf das Geld von Fürſten blos<lb/>
der <hirendition="#g">Kopf</hi> geprägt wird. „Aber ſonſt grub man ia in die Münzen das<lb/>
Bild der Dumheit, einen Ochſen!“ Leider! und auch iezt; doch hat man<lb/>ſchon den Rumpf weggelaſſen. — Beinahe möcht’ ich doch mein Stil-<lb/>ſchweigen entſchuldigen, damit es nicht der Waffenträger des deinigen<lbn="25"/>
würde. Alle Tage ziehe ich mein Buch mit meinen chirurgiſchen<lb/>
Inſtrumenten etliche Linien weiter aus ſeiner Umhüllung heraus; allein<lb/>
ich gebäre länger als ich trage und das Kind wächſt immer gröſſer in<lb/>
der ewigen Geburt, die noch nicht zu Ende iſt. Die Nachgeburt ſind<lb/>
Briefe, die ich iezt bald da bald dorthin an dumme Leute zu ſchreiben<lbn="30"/>
habe, welche gleich den Jakuten, die Nachgeburt, aber nicht das Kind<lb/>
verz<metamark>[</metamark>eren<metamark>]</metamark>— mögen oder können. Meinem Wiz hätte ich ſonach durch<lb/>
dieſe Anmerkung ein gültiges Teſtimonium Paupertatis gemacht,<lb/>
wodurch er von dir erhielte, daß du für ihn in deinen Briefen gratis<lb/>
läſeſt. Nim es alſo nicht übel, wenn ich dir von einem flieſſenden<lbn="35"/>
Talglicht, das ſich in <metamark>[</metamark>un<metamark>]</metamark>aufhörlicher Erleuchtung das Leben ab-<lb/>
friſſet, nichts als das abgekrazte Fet, welches in den Leuchter herunter-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[90/0113]
Den 19. Jul.
Tauſend Hinderniſſe unterbrachen mein Paſquil auf den Wiz,
welches iezt noch fortzuſezen ſein Stiefbruder, der Verſtand, nicht
Willens iſt; auch würd’ ich dadurch nur meinen Brief und mein Stil-
ſchweigen zugleich verlängern. Du haſt Recht in deinem lezten Brief, 5
meine Nachläſſigkeit mit einem ſanften Fächerſchlage zu beſtrafen;
allein ich bin eigentlich nicht im Briefſchreiben ſondern nur im Brief-
ſchikken nachläſſig und ie länger du von mir nichts geleſen, deſto mer
bekomſt du aufeinmal zu leſen. So faſtet man am Bustage, alle in wenn
man iſſet, iſſet man mer als ſonſt und beſchlieſſet die Enthaltſamkeit 10
mit Schwelgerei, die Tugend mit dem Laſter, ſowie die Schwindſucht
in Waſſerſucht auszuarten pflegt. Ich gehe gern aus einem Gleichnis
in das andre über, wie die ſchlechten Organiſten aus einem Ton in den
andern fallen; allein das Ende des Präludiums weiſet ſie und mich
doch wieder in den Ton des prologirten Lieds zurük. Ich war dir ſchon 15
einen Brief ſchuldig; und geſtern bekam ich durch die Poſt von dir den
andern geliehen, ſo wie auch Geld. Apollo hätte mir nicht mer auf-
einmal geben können, der nach Popes Ausdruk Wiz und Gold reifet.
Beiläufig das Zeichen des Phöbus iſt in der Chemie auch das Zeichen
des Goldes; und wirklich ſolte Wiz und Geld immer wie Körper und 20
Schatten unzertrenbar ſein, da zumal auf das Geld von Fürſten blos
der Kopf geprägt wird. „Aber ſonſt grub man ia in die Münzen das
Bild der Dumheit, einen Ochſen!“ Leider! und auch iezt; doch hat man
ſchon den Rumpf weggelaſſen. — Beinahe möcht’ ich doch mein Stil-
ſchweigen entſchuldigen, damit es nicht der Waffenträger des deinigen 25
würde. Alle Tage ziehe ich mein Buch mit meinen chirurgiſchen
Inſtrumenten etliche Linien weiter aus ſeiner Umhüllung heraus; allein
ich gebäre länger als ich trage und das Kind wächſt immer gröſſer in
der ewigen Geburt, die noch nicht zu Ende iſt. Die Nachgeburt ſind
Briefe, die ich iezt bald da bald dorthin an dumme Leute zu ſchreiben 30
habe, welche gleich den Jakuten, die Nachgeburt, aber nicht das Kind
verz[eren] — mögen oder können. Meinem Wiz hätte ich ſonach durch
dieſe Anmerkung ein gültiges Teſtimonium Paupertatis gemacht,
wodurch er von dir erhielte, daß du für ihn in deinen Briefen gratis
läſeſt. Nim es alſo nicht übel, wenn ich dir von einem flieſſenden 35
Talglicht, das ſich in [un]aufhörlicher Erleuchtung das Leben ab-
friſſet, nichts als das abgekrazte Fet, welches in den Leuchter herunter-
[97]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/113>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.