Liebe kann lange noch gegenstandslos sein, ehe sie sich vom Jrrsehnen ahnend auf ein Wesen festet. Glücklich, unaussprechlich selig, zu won¬ nereich für die Erdenwelt, wer suchend gleich fand, und einen Bund knüpfte, der durch das Folgeleben wie neue zugeborne Seele fortwaltet.
Oft und zuerst wird gewöhnlich im Lieben nur die Liebe geliebt, im Lieben schon gleich die Geliebte zu lieben ist etwas anderes und seltner. Manches herzkalte Wesen kommt unverdient zur Ehre die erste Liebe gewesen zu sein, und es war gewöhnlich nur ein Leiter des himmlischen Funken, der den Menschen durchglüht. So sind ja Feuerstahl und Stein auch kalte Kör¬ per, und doch lässet sich durch sie eine Flamme hervorschlagen, die zum Brand und zur Brunst lodert.
Was erste Liebe genannt wird, lebt fort in der zweiten, in jeder nachfolgenden, wird in je¬ der spätern neugeboren: Denn die Liebe ist ewig und Eins, und zählt Wonnen nicht nach arm¬ seligen Zahlen; rechnet sich nicht die Pulsschlä¬ ge des Herzens nach dem Einmahleins vor; und die Liebewelt ist erst die Welt, Vermählung von
Liebe kann lange noch gegenſtandſlos ſein, ehe ſie ſich vom Jrrſehnen ahnend auf ein Weſen feſtet. Glücklich, unausſprechlich ſelig, zu won¬ nereich für die Erdenwelt, wer ſuchend gleich fand, und einen Bund knüpfte, der durch das Folgeleben wie neue zugeborne Seele fortwaltet.
Oft und zuerſt wird gewöhnlich im Lieben nur die Liebe geliebt, im Lieben ſchon gleich die Geliebte zu lieben iſt etwas anderes und ſeltner. Manches herzkalte Weſen kommt unverdient zur Ehre die erſte Liebe geweſen zu ſein, und es war gewöhnlich nur ein Leiter des himmliſchen Funken, der den Menſchen durchglüht. So ſind ja Feuerſtahl und Stein auch kalte Kör¬ per, und doch läſſet ſich durch ſie eine Flamme hervorſchlagen, die zum Brand und zur Brunſt lodert.
Was erſte Liebe genannt wird, lebt fort in der zweiten, in jeder nachfolgenden, wird in je¬ der ſpätern neugeboren: Denn die Liebe iſt ewig und Eins, und zählt Wonnen nicht nach arm¬ ſeligen Zahlen; rechnet ſich nicht die Pulsſchlä¬ ge des Herzens nach dem Einmahleins vor; und die Liebewelt iſt erſt die Welt, Vermählung von
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nereich für die Erdenwelt, wer ſuchend gleich
fand, und einen Bund knüpfte, der durch das
Folgeleben wie neue zugeborne Seele fortwaltet.
Oft und zuerſt wird gewöhnlich im Lieben
nur die Liebe geliebt, im Lieben ſchon gleich die
Geliebte zu lieben iſt etwas anderes und ſeltner.
Manches herzkalte Weſen kommt unverdient
zur Ehre die erſte Liebe geweſen zu ſein, und es
war gewöhnlich nur ein Leiter des himmliſchen
Funken, der den Menſchen durchglüht. So
ſind ja Feuerſtahl und Stein auch kalte Kör¬
per, und doch läſſet ſich durch ſie eine Flamme
hervorſchlagen, die zum Brand und zur Brunſt
lodert.
Was erſte Liebe genannt wird, lebt fort in
der zweiten, in jeder nachfolgenden, wird in je¬
der ſpätern neugeboren: Denn die Liebe iſt ewig
und Eins, und zählt Wonnen nicht nach arm¬
ſeligen Zahlen; rechnet ſich nicht die Pulsſchlä¬
ge des Herzens nach dem Einmahleins vor; und
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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/450>, abgerufen am 22.11.2024.
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