Uhr, die ohne Rast zum Nothwerk abruft. Frei steht der Mensch dann als ein Wesen, das auf Freude ein öffentliches unveräußerliches Recht hat, nicht bloß verstohlen sie nippen darf, und sich knechtischlüstern im Winkel berauscht. Zu¬ rückgeführt aus dem Jrrgewirr der Verkünste¬ lung in die einfachen Lebensverhältnisse, ge¬ winnt er eine wahre Erhöhung der Lebenskräf¬ te, eine nachwürkende Kraftvermehrung. Das ist anders als eine bloße Erregung, wie sie jede Art von Rauschmitteln giebt; anders als eine augenblickliche Stärkungseinnahme, die gleich darauf mit doppelter Schwäche niederschlägt; es wird eine Heiligung der Zeit. Darum ist es ein adelnder Vorzug für Menschen von Geist und Herzen, Feste zu feiern, die ihnen ausschlie߬ lich heilig sind. Wem das Leben nur ein Kerb¬ stock bleibt um Alltage zusammenzurechnen, wer aus diesen Zeitmerken nichts weiter heraus¬ bringt als eine große Zahl, der hat sich die Mühe vergeblich gemacht, der hat in den Tag und die Welt hineingelebt, als ein großstädtischer Morgenverschläfer, so die Sonne in ihrer Schönheit und Pracht niemals aufgehen sah.
Y 2
Uhr, die ohne Raſt zum Nothwerk abruft. Frei ſteht der Menſch dann als ein Weſen, das auf Freude ein öffentliches unveräußerliches Recht hat, nicht bloß verſtohlen ſie nippen darf, und ſich knechtiſchlüſtern im Winkel berauſcht. Zu¬ rückgeführt aus dem Jrrgewirr der Verkünſte¬ lung in die einfachen Lebensverhältniſſe, ge¬ winnt er eine wahre Erhöhung der Lebenskräf¬ te, eine nachwürkende Kraftvermehrung. Das iſt anders als eine bloße Erregung, wie ſie jede Art von Rauſchmitteln giebt; anders als eine augenblickliche Stärkungseinnahme, die gleich darauf mit doppelter Schwäche niederſchlägt; es wird eine Heiligung der Zeit. Darum iſt es ein adelnder Vorzug für Menſchen von Geiſt und Herzen, Feſte zu feiern, die ihnen ausſchlie߬ lich heilig ſind. Wem das Leben nur ein Kerb¬ ſtock bleibt um Alltage zuſammenzurechnen, wer aus dieſen Zeitmerken nichts weiter heraus¬ bringt als eine große Zahl, der hat ſich die Mühe vergeblich gemacht, der hat in den Tag und die Welt hineingelebt, als ein großſtädtiſcher Morgenverſchläfer, ſo die Sonne in ihrer Schönheit und Pracht niemals aufgehen ſah.
Y 2
<TEI><text><body><divn="1"><div><p><pbfacs="#f0369"n="339"/><fwtype="pageNum"place="top">339<lb/></fw>Uhr, die ohne Raſt zum Nothwerk abruft. Frei<lb/>ſteht der Menſch dann als ein Weſen, das auf<lb/>
Freude ein öffentliches unveräußerliches Recht<lb/>
hat, nicht bloß verſtohlen ſie nippen darf, und<lb/>ſich knechtiſchlüſtern im Winkel berauſcht. Zu¬<lb/>
rückgeführt aus dem Jrrgewirr der Verkünſte¬<lb/>
lung in die einfachen Lebensverhältniſſe, ge¬<lb/>
winnt er eine wahre Erhöhung der Lebenskräf¬<lb/>
te, eine nachwürkende Kraftvermehrung. Das<lb/>
iſt anders als eine bloße Erregung, wie ſie jede<lb/>
Art von Rauſchmitteln giebt; anders als eine<lb/>
augenblickliche Stärkungseinnahme, die gleich<lb/>
darauf mit doppelter Schwäche niederſchlägt; es<lb/>
wird eine Heiligung der Zeit. Darum iſt es<lb/>
ein adelnder Vorzug für Menſchen von Geiſt<lb/>
und Herzen, Feſte zu feiern, die ihnen ausſchlie߬<lb/>
lich heilig ſind. Wem das Leben nur ein Kerb¬<lb/>ſtock bleibt um Alltage zuſammenzurechnen,<lb/>
wer aus dieſen Zeitmerken nichts weiter heraus¬<lb/>
bringt als eine große Zahl, der hat ſich die<lb/>
Mühe vergeblich gemacht, der hat in den Tag<lb/>
und die Welt hineingelebt, als ein großſtädtiſcher<lb/>
Morgenverſchläfer, ſo die Sonne in ihrer<lb/>
Schönheit und Pracht niemals aufgehen ſah.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">Y 2<lb/></fw></div></div></body></text></TEI>
[339/0369]
339
Uhr, die ohne Raſt zum Nothwerk abruft. Frei
ſteht der Menſch dann als ein Weſen, das auf
Freude ein öffentliches unveräußerliches Recht
hat, nicht bloß verſtohlen ſie nippen darf, und
ſich knechtiſchlüſtern im Winkel berauſcht. Zu¬
rückgeführt aus dem Jrrgewirr der Verkünſte¬
lung in die einfachen Lebensverhältniſſe, ge¬
winnt er eine wahre Erhöhung der Lebenskräf¬
te, eine nachwürkende Kraftvermehrung. Das
iſt anders als eine bloße Erregung, wie ſie jede
Art von Rauſchmitteln giebt; anders als eine
augenblickliche Stärkungseinnahme, die gleich
darauf mit doppelter Schwäche niederſchlägt; es
wird eine Heiligung der Zeit. Darum iſt es
ein adelnder Vorzug für Menſchen von Geiſt
und Herzen, Feſte zu feiern, die ihnen ausſchlie߬
lich heilig ſind. Wem das Leben nur ein Kerb¬
ſtock bleibt um Alltage zuſammenzurechnen,
wer aus dieſen Zeitmerken nichts weiter heraus¬
bringt als eine große Zahl, der hat ſich die
Mühe vergeblich gemacht, der hat in den Tag
und die Welt hineingelebt, als ein großſtädtiſcher
Morgenverſchläfer, ſo die Sonne in ihrer
Schönheit und Pracht niemals aufgehen ſah.
Y 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/369>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.