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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

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Nur die Gerechtigkeitsliebe walte das Rich¬
teramt. Jch will Beweis vor der Verdammung.
Roh ist allerdings der junge Vogelsteller, der
Nachtigallen einfängt: Aber er ist vielleicht
arm! Was ist nun der Reiche, der des Armen
Sünde sich mitkauft, und den geblendeten Sän¬
ger in den Bauer setzt? Grausam sind die
Thierquäler, die schädliche Maikäfer zu Tode
martern. Aber ist denn die Staatsaufsicht keine
Hegerin und Pflegerin dieser Unbilden, wenn
sie öffentlich und offenbar auf Straßen und
Märkten verübt werden? wenn die Thierchen
als Handelswaare in Kobern zur Stadt gebracht
werden, und hernach stückweise bei den Obst¬
händlerinnen feil sind? Und dies geschah sonst
öffentlich in einer Stadt, die in Hinsicht von
Bildungsanstalten den Ton angeben will -- in
Halle an der Saale -- und geschieht vielleicht
dort und anderswo noch jetzt.

Neuerdings hat sich das Vorurtheil aus¬
gebreitet: "der Deutsche könne nun kein Kunst¬
"volk mehr, bloß ein Denkervolk annoch sein;
"das Leben der Dichterwelt blühe am Rhein
"nur, nicht an der nackten Elbe und kahlen

Nur die Gerechtigkeitsliebe walte das Rich¬
teramt. Jch will Beweis vor der Verdammung.
Roh iſt allerdings der junge Vogelſteller, der
Nachtigallen einfängt: Aber er iſt vielleicht
arm! Was iſt nun der Reiche, der des Armen
Sünde ſich mitkauft, und den geblendeten Sän¬
ger in den Bauer ſetzt? Grauſam ſind die
Thierquäler, die ſchädliche Maikäfer zu Tode
martern. Aber iſt denn die Staatsaufſicht keine
Hegerin und Pflegerin dieſer Unbilden, wenn
ſie öffentlich und offenbar auf Straßen und
Märkten verübt werden? wenn die Thierchen
als Handelswaare in Kobern zur Stadt gebracht
werden, und hernach ſtückweiſe bei den Obſt¬
händlerinnen feil ſind? Und dies geſchah ſonſt
öffentlich in einer Stadt, die in Hinſicht von
Bildungsanſtalten den Ton angeben will — in
Halle an der Saale — und geſchieht vielleicht
dort und anderswo noch jetzt.

Neuerdings hat ſich das Vorurtheil aus¬
gebreitet: „der Deutſche könne nun kein Kunſt¬
„volk mehr, bloß ein Denkervolk annoch ſein;
„das Leben der Dichterwelt blühe am Rhein
„nur, nicht an der nackten Elbe und kahlen

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[239/0269] 239 Nur die Gerechtigkeitsliebe walte das Rich¬ teramt. Jch will Beweis vor der Verdammung. Roh iſt allerdings der junge Vogelſteller, der Nachtigallen einfängt: Aber er iſt vielleicht arm! Was iſt nun der Reiche, der des Armen Sünde ſich mitkauft, und den geblendeten Sän¬ ger in den Bauer ſetzt? Grauſam ſind die Thierquäler, die ſchädliche Maikäfer zu Tode martern. Aber iſt denn die Staatsaufſicht keine Hegerin und Pflegerin dieſer Unbilden, wenn ſie öffentlich und offenbar auf Straßen und Märkten verübt werden? wenn die Thierchen als Handelswaare in Kobern zur Stadt gebracht werden, und hernach ſtückweiſe bei den Obſt¬ händlerinnen feil ſind? Und dies geſchah ſonſt öffentlich in einer Stadt, die in Hinſicht von Bildungsanſtalten den Ton angeben will — in Halle an der Saale — und geſchieht vielleicht dort und anderswo noch jetzt. Neuerdings hat ſich das Vorurtheil aus¬ gebreitet: „der Deutſche könne nun kein Kunſt¬ „volk mehr, bloß ein Denkervolk annoch ſein; „das Leben der Dichterwelt blühe am Rhein „nur, nicht an der nackten Elbe und kahlen

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Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/269>, abgerufen am 15.08.2024.